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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Ich war entrüstet. „Wohlan, gehen wir auf die Commandantur,“ sagte ich. Noch wenige Schritte, und wir waren vor dem Hause angelangt, wo der Major Funk, derzeitiger Commandant der Stadt Flensburg, wohnt. Er empfing mich in etwas barscher Weise. Ich verlangte sofort zu dem preußischen Regierungscommissar geführt zu werden, und protestirte gegen meine Verhaftung als eine Gewaltthat. Alle Vorstellungen waren umsonst. „Ich muß Sie auf die Hauptwache führen lassen,“ erwiderte der Commandant, „finden Sie sich in die Sache, Sie sehen, wir haben hier die Gewalt.“

Ich schaute mich um in dem Zimmer und sah nur bewaffnete Soldaten. „Allerdings, das sehe ich,“ erwiderte ich, „und ich bin augenblicklich ohne Waffen. Aber ich werde mir die Satisfaction holen!“

Immer der Officier neben und die beiden Jäger hinter mir, kam ich in der preußischen Hauptwache an, welche in dem ehemaligen Zuchthause in Flensburg aufgeschlagen war. Das alte Zuchthaus war voll von Militärgefangenen. Das große Vorzimmer zur Officierstube wimmelte von österreichischen Soldaten, welche hier auf Stroh campirten. Tornister, Waffen und Soldatenmäntel hingen an den Wänden oder lagen auf der Erde. In der Officierstube trat uns ein hochgewachsener österreichischer Jägerlieutenant entgegen und nahm mich in Empfang. „Ich soll Ihnen besonders sagen, Herr Camerad,“ schloß der preußische Officier seine Meldung, „daß der Arrestant mit Niemandem correspondirt.“ Dann ging er, sich mehrmals gegen mich entschuldigend. Er übernahm es, sofort den Major im großen Generalstabe, Geerz, einen gebornen Schleswiger, von meiner Verhaftung in Kenntniß zu setzen.

Als er fort war, saßen wir uns in der trüben Wachtstube einander am Tische gegenüber, der österreichische Jägerlieutenant und ich. Er war ein Tiroler, aus Imst im obern Innthale gebürtig, ein liebenswürdiger junger Mann, unterrichtet, intelligent, von einnehmenden Manieren, einer der Tapfern von Oeversee.

Bald waren wir miteinander im interessantesten Gespräch. Er holte Wein und Cigarren. „Jeder unserer Officiere,“ sagte er, „hat von Kieler Damen einige Flaschen Wein und funfzig Stück Cigarren zum Geschenk erhalten. Kommen Sie, trinken wir den Wein und rauchen wir die Cigarren. Vielleicht kommt Beides von schöner Hand.“ Wir ließen frisches Holz in den großen Ofen legen, schoben unsere Stühle vor das flackernde Feuer und tranken auf „das schöne Land Tirol“. Die Wachtstube war übrigens ganz miserabel eingerichtet. Nichts als die kahlen Wände, ein gebrechlicher Tisch und vier Stühle. Der Nachtwind pfiff durch die mit einem Teppich verhangenen, zerbrochenen Fensterscheiben. An der Wand war ein Strohlager ausgebreitet. Auf dem Stroh schliefen zwei Männer, Jeder mit einem Mantel bedeckt. Der Eine trug die Uniform eines Unterofficiers der dänischen Cavallerie. „Auch zwei Arrestanten,“ sagte der Jägerlieutenant, „Sie werden sie schon morgen früh kennen lernen. Der eine ist Correspondent einer Pariser Zeitung, der andere ein dänischer Cavallerieunterofficier, ein geborner Schleswiger. Sie sind schon mehrere Tage hier.“ Dann knüpften wir den Faden unsers unterbrochenen Gespräches wieder an. Die öde Wachtstube verschwand mit ihren kahlen Wänden vor unsern Blicken. Draußen tobte der Schneesturm mit fürchterlicher Gewalt und übertönte das Rasseln der Wagen, welche noch während der Nacht nach Gravenstein hinausfuhren. Um drei Uhr schliefen wir in unsere Mantel gehüllt neben einander einen erquickenden Schlaf.

Das Schicksal des Krieges hatte es auch diesmal nicht böse mit mir gemeint. Ich saß freilich gefangen in der elenden Officiersstube einer preußischen Hauptwache im Lande des „verlassenen Bruderstammes“, aber das Kriegsglück hatte mich an die interessanteste Stelle der Stadt Flensburg gestellt. Die großen Fenster gingen hinaus auf die Straße, welche nach Gravenstein und zu den Düppler Schanzen führte, die in den nächsten Tagen der Schauplatz neuer, blutiger Kriegsscenen werden sollten. Von frühem Morgen an rasselten die Wagen und Geschütze vorüber, welche auf dem neuen Kriegstheater eine Rolle zu spielen hatten. Der ganze Belagerungspark zog an mir vorbei, endlose Wagenreihen mit Pontons zu Brücken, mit Munition, mit Brod und Fleischvorräthen, mit Lazaretheinrichtungen, mit Gepäck. Es war ein mit jeder Minute wechselndes, interessantes Bild des Krieges.

Am Morgen hatte ich bereits an den preußischen Regierungscommissar geschrieben und seine sofortige Intervention beansprucht. Nun machte ich auch die Bekanntschaft meiner beiden Mitgefangenen. Der Eine war, wie schon erwähnt, Unterofficier in der dänischen Cavallerie, ein geborener Schleswiger. Er hatte sich bei Nübel einer preußischen Patrouille gefangen gegeben. Unglücklicherweise hatte er sich geäußert, daß die Düppler Schanzen von den Dänen verlassen sein. Eine Recognoscirung, bei der funfzehn Mann gefallen oder verwundet waren, hatte das Gegentheil ergeben. Jetzt wurde er bis auf Weiteres gefangen gehalten. Der andere war der Correspondent des Pariser Blattes „Le Siècle“, Eugène d’Arnould. Auf einen Befehl des Feldmarschalls Wrangel, ihn festzunehmen, wo er sich in Schleswig betreten ließe, war er bei Missunde verhaftet und zu Wagen nach Flensburg gebracht worden. Sein ganzes Verbrechen bestand darin, seinen Correspondenzen eine preußenfeindliche Färbung gegeben zu haben. Er befand sich schon vier Tage auf der Hauptwache, jeder Bequemlichkeit entbehrend, zum Nachtlager nur das Stroh. Er hatte mit dem großen Befreier Süditaliens unter den Tausend von Marsala den Feldzug nach Sicilien mitgemacht. Im Lager von Capua hatte ich seinen Namen als den des Capitains einer Compagnie Infanterie gehört. Meine Gegenwart war ihm eine Erscheinung des Himmels. Der Arme verstand kein Wort Deutsch und war nicht im Stande, sich auch nur ein Mittagsessen zu bestellen. Auch ihm hatte man jede Communication mit der Welt außerhalb der Hauptwache abgeschnitten.

Den langen Nachmittag hatte ich Muße genug, aus einer guten Karte und mit Hülfe des schleswigschen Unterofficiers die Stellung von Düppel zu studiren. Um acht Uhr Abends saß ich mit dem commandirenden Officier der Hauptwache, dem Lieutenant v. Otterstedt, der auch bei Oeversee mit gefochten hatte, vor dem lodernden Feuer. Wir tranken einen „schleswig-holsteinschen“ Thee, und d’Arnould sang mit mir den berühmten Gesang der Girondisten, der auf so manchen Schlachtfeldern erklang. Das „mourir pour la patrie“ des Refrains hörten die öden Wände der ehemaligen Zuchthauswache gewiß heute zum ersten Male.

Der andere Morgen brachte mir meine Befreiung. Auf ein energisches Schreiben an den Commandanten, mich binnen zwei Stunden freizulassen, widrigenfalls ich äußerst unangenehme Schritte thun würde, wurde ich nun zu dem Regierungscommissar v. Zedlitz geführt. In den höflichsten Formen erklärte er mir, daß ich bei Vermeidung militärischer Escorte Schleswig sofort verlassen müsse, da die Anwesenheit einer durch ihre jahrelange literarische und politische Thätigkeit so prononcirten Persönlichkeit, wie die meinige, mit der Ruhe im Herzogthum unvereinbar sei. Die Flensburger Bürger hatten nichts für meine Befreiung gethan, der Major vom großen Generalstabe hatte gefürchtet, sich zu compromittiren, wenn er sich um mich bekümmerte. Die österreichischen Officiere äußerten entrüstet: „Wir machen nur die Dänen auf dem Schlachtfelde zu Gefangenen, welche die Waffen in der Hand haben.“ Niemand, als ein alter Freund, Dr. Mahler, den ich zufällig in Flensburg getroffen, hatte sich um meine Freilassung bemüht.

Gustav Rasch. 




Blätter und Blüthen.

Auf den Altar des Vaterlandes! Es ist erhebende Wahrheit geworden, was ich in Nr. 5 meiner „Gartenlaube“ vorahnend aussprach: „Die Hochherzigkeit des deutschen Volks von 1813 will in unseren Tagen sich erneuen.“ Die Kunde von dem einen „Frauenschmuck für Schleswig-Holstein“, ja die Erinnerung nur an jene Opferfreudigkeit der deutschen Frauen im „heiligen Kriege“ genügte, um nah’ und fern edle Frauenherzen zu neuen Opfergaben zu begeistern, welche jenen der großen Zeit weder an Werth noch an patriotischer Wärme der begleitenden Worte nachstehen. Mit tieferregtem Gefühl gehe ich an die Veröffentlichung dieser Worte und die Darlegung der Gaben, erfüllt von der freudigen Gewißheit, daß Beide, Worte wie Gaben, kein braves deutsches Herz ungerührt lassen und Allen, die Etwas zu opfern vermögen, die Mahnung zurufen werden: „Gehet hin und thuet desgleichen!“

Für den in Nr. 5 der Gartenlaube zur Versteigerung ausgebotenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_159.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)