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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

den Coup gegen mich ausgeführt hat, wie ich sichern Grund habe zu vermuthen, so hat er doch jedenfalls gemeint in Ihrem Sinne zu handeln. Lassen Sie uns klar und offen unsere Stellung nehmen, Herr Maçon; vielleicht aber geben Ihnen einige Worte meinerseits eine richtigere Anschauung der Dinge, als Sie diese bis jetzt zu haben scheinen. – Ihr Vater hat mir sein Geld anvertraut, als er als Flüchtling in unsere Stadt kam,“ fuhr er ohne Unterbrechung fort; „er beabsichtigte damals mit in mein Geschäft einzutreten und sein Capital darin zu verwerthen. Unser gegenseitiges Uebereinkommen aber blieb ohne Abschluß, da er von Neuem die Flucht ergreifen mußte. Ich habe sein Geld über zwanzig Jahre redlich verwaltet, und es liegt heute, durch die Zinsen vermehrt, zur Verfügung seines Erben. In dieser langen Zeit habe ich keine einzige Willensäußerung Ihres Vaters erhalten, welche das zwischen uns besprochene Uebereinkommen zur That hatte werden lassen. Mit welcher Forderung können Sie also gegen mich auftreten, die Ihre Aeußerung von „Glücksstörung“ und „Verfahren“ rechtfertigte?“

„Ich kann Ihnen nur nochmals sagen,“ entgegnete Maçon ruhig, „daß ich von Herzen bedauere, mich von Ihnen schon heute in meine jetzige Lage gedrängt zu sehen. Ich bin anderer Ansicht von meines Vaters früheren Verhältnissen zu Ihnen und darf es wohl aussprechen, daß ich zur Eincassirung eines Betrags, wie ihn mein Vater in Ihr Geschäft eingeschossen und dessen ich bei meiner Vermögenslage eben nicht nothwendig bedarf, nicht persönlich hierher gekommen sein würde. Zur einfachen Rechtfertigung des Todten und seines Schweigens aber will ich Ihnen mittheilen, daß, als er mich nach seiner raschen Abreise von hier bei einem Onkel an der französischen Grenze untergebracht, er bei dem Versuche, sich in einem holländischen Hafen nach England einzuschiffen, zum Matrosen gepreßt und zur Reise nach dem Cap gezwungen wurde. Damals war die Insel Bourbon unter englischer Herrschaft, und dort gelang es ihm später, beim Anlanden zu entkommen und sich unter den Schutz der Behörden zu stellen. Er fand Theilnahme an seinem Schicksale und Unterstützung, hatte Glück in den von ihm begonnenen Unternehmungen und gab die Rückkehr nach Europa völlig auf; mich indessen ließ er erst, als meine Erziehung vollendet war, zu sich kommen. Trotz der kurzen gegenseitigen Bekanntschaft hatte er Sie in treuer Erinnerung bewahrt, das zeigten mir seine späteren Erzählungen; aber halb Europa stand während der ersten Jahre seiner Abwesenheit in vollem Kriegsbrande, der nirgends eine sichere Verbindung mit Deutschland zugelassen hätte; später waren seine europäischen Privatbeziehungen vor seinen dortigen glücklichern Arbeiten völlig zurückgetreten, und erst als er mich wenig geneigt fand, die Insel zum lebenslänglichen Aufenthalte zu wählen, forderte er mich auf, Nachricht über das Schicksal Ihres Geschäfts einzuziehen, das mir später einmal, wie er meinte, einen festen Halt für eine Rückkehr nach Europa geben könne, falls es überhaupt die Kriegsstürme überstanden. Er ging von der Ansicht aus, daß in solchen Zeiten der speculative Kaufmann entweder reich werde oder falle – und er hatte von Ihrer Befähigung eben so hohe Begriffe, wie er Sie als Menschen im Herzen bewahrte. Mir erschien indessen damals die ganze Angelegenheit so imaginär, daß ich nicht einmal daran dachte, der Aufforderung zu genügen, und erst nach seinem Tode wurde mir in seinen Papieren die volle Bestätigung jener Angaben. – In welcher Weise ich nun die ganz bestimmten und sofort nachweisbaren Ansprüche meines Vaters hier zur Geltung bringen wollte, halte ich mir, wie schon gesagt, noch völlig vorbehalten; mit dem Augenblicke indessen, Herr Hellmuth, in welchem Sie diese auf so entschiedene Weise von sich weisen, in welchem Sie die Voraussetzungen, unter denen das Capital in Ihre Hände kam, verneinen, werde ich natürlich zu einer Stellung gezwungen, die jedes weitere Wort zwischen uns ausschließt!“ Er erhob sich gehalten. „Sie haben wohl unter den obwaltenden Umständen die Güte, meine Entschuldigung den jungen Damen zu überbringen.“

Hellmuth verließ steif seinen Sitz. „Ich gehe meinen geraden Weg, Herr Maçon, wie ihn mir mein Gewissen vorschreibt, und sehe deshalb auch allem mir in den Weg Tretenden ruhig entgegen!“ sagte er. „Nicht das Capital Ihres Vaters hat mein Geschäft gemacht, sondern der ruhelose Fleiß Dessen, der es bis jetzt geführt. Hätte ich Unglück gehabt und würde heute nicht mehr besitzen als eben dieses Capital Ihres Vaters, so würde ich es bis zum letzten Pfennig herauszahlen und mein und meiner Familie Leben fristen so gut es ginge – auf der andern Seite aber werde ich auch keinen Angriff auf das Gut dulden, das über jenes Capital hinausgeht, das Gut, welches ich erworben und Niemand weiter. Das ist mein Standpunkt. Uebrigens glaube ich sicher zu sein, daß wir als ehrliche Feinde scheiden, und so sehe ich nicht ein, warum Sie so auffällig den Mädchen Ihren Abschiedsgruß entziehen wollen; meine Töchter werden schon auf eine geschäftliche Störung ihrer Unterhaltung vorbereitet sein. Erlauben Sie, daß ich Sie hinauf geleite!“

Maçon hatte nur eine stumme Verbeugung zur Antwort und schritt dem Hausherrn durch die von diesem geöffnete Thür voran.

Als Hellmuth seinem Gaste durch das Comptoir folgte, sah er Gruber eine Bewegung wie zum Herantreten an ihn machen. Er beantwortete diese nur mit einem stummen Nicken; als er aber Maçon bis zur Treppe geleitet, sagte er: „Wollen Sie die Güte haben voranzugehen? Es wartet soeben ein eiliger Brief auf meine Unterschrift, und ich folge Ihnen in zwei Secunden!“

Mit einer leichten Verbeugung trennten sich Beide, und der Hausherr begab sich nach dem Comptoir zurück, hier rasch mit einem Winke gegen den Procuristen nach seinem Cabinet schreitend.

„Sie haben etwas Besonderes?“ fragte er den ihm Nachtretenden, „sprechen Sie es kurz aus, ich kann den Mann nicht warten lassen.“

„Aus unsern zurückgestellten Geschäftsbüchern ist das Hauptbuch der Firma August Hellmuth, das letzte, ehe das Geschäft unter der Firma A. Hellmuth und Co. begann, verschwunden!“ war die rasche Antwort; „zugleich aber bringt Willmann, der von der Post kommt, die Nachricht, daß sich Meier dort ein Passagierbillet gelöst hat, so viel es scheint nach dem Flusse hinüber, nach einem der Anlegepunkte der Dampfboote.“

Des Geschäftsherrn eilige Miene war plötzlich in einen Ausdruck von Starrheit übergegangen; seine Augen blickten den Sprecher groß und unbeweglich an, und doch lag etwas darin, als gehe im Augenblicke eine erschreckende Klarheit in seiner Seele auf. „Wann und wie haben Sie den Verlust entdeckt?“ fragte er mit einer Stimme, die den gewohnten sonoren Klang ganz verloren zu haben schien.

„Ich hatte zufolge Ihrer Genehmigung Willmann das Nöthige mitgetheilt,“ erwiderte Gruber, „und er kam auf den Gedanken, ob sich nicht Meier’s Sicherheit auf irgend welche Papiere aus jener Zeit stütze, die vielleicht zu Ihrem Schaden sich deuten ließen und die er sich heimlich angeeignet hätte. So lange ich aber hier bin, hat Meier nur die Bücher unter sich gehabt, und ich ging sofort an eine Revision der alten zurückgestellten Bände; da entdeckte ich schnell genug den Verlust, und dieser erschien mir, zusammen mit Meier’s Abreise, zu wichtig, als daß ich einen Augenblick hätte zögern mögen, Sie davon zu unterrichten!“

„Das ist es, das ist es!“ neigte Hellmuth, starr vor sich hinblickend, den Kopf. „Ich will Ihnen sagen,“ fuhr er dann rasch aufsehend fort, „was die Sache zu bedeuten hat, damit Sie bei dem jetzt unverzüglich nothwendig werdenden Handeln mit freier Seele mein Interesse vertreten können. In jenem Hauptbuche war dem Vater des hier anwesenden jungen Mannes nach Ablieferung seines Capitals das gewöhnliche Conto gegeben, dazu aber voreilig und in sicherer Erwartung des abzuschließenden Contracts der Vermerk gesetzt: „In’s Geschäft getreten an dem und dem Tage“ und der nöthige Posten des Capital-Conto’s hinzugefügt worden. Es ist uns wohl möglich, daß ich in unsern damaligen Unterhandlungen dem Verstorbenen einige Zeilen geschrieben habe, welche meine Bereitwilligkeit für seine Aufnahme in mein Geschäft ausdrückten; Beides zusammen aber würde in der Hand eines geschickten Advocaten zum Beweise des wirklich erfolgten Eintritts werden und mich der Gnade dieses jungen Menschen überliefern müssen. Indessen wollen wir vorläufig erst sehen, ob die Gegenpartei durch einen Diebstahl einen Vortheil über mich erringen soll. Sagen Sie Willmann, daß er mir rasch und unvermerkt meinen Hut und Ueberwurf herab holt; Sie aber packen für alle Fälle die nöthigsten Reisebedürfnisse zusammen, versehen sich reichlich mit Geld und folgen mir dann unverzüglich nach der Wohnung des Polizeidirectors, den ich jetzt da am sichersten treffe. Dort sollen Sie Weiteres hören!“ Er machte, von innerer Unruhe getrieben, einen raschen Gang durch das Zimmer, und Gruber verließ hastig das Cabinet. –

Die ältliche Dienerin hatte Maçon den Corridor geöffnet, und dieser fragte leicht: „Die jungen Damen noch hier?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_146.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)