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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

D’Ester’s Wirksamkeit in der preußischen Nationalversammlung und seine weitern Schicksale in Deutschland sind bekannt. Es bleibt uns daher nur noch übrig, ein paar Worte über sein Leben in der Schweiz anzufügen. — Waffengewalt hatte im Herbste 1848 die preußische Nationalversammlung gesprengt. D’Ester, der geniale Schöpfer der freisinnigsten preußischen Gemeindeordnung, war einer der Führer ihrer demokratischen Opposition gewesen und schloß sich nun der Bewegung in der Pfalz an, deren provisorische Regierung ihn zum Bureauchef in der Abtheilung des Innern ernannte. Der traurige Ausgang der Pfälzer Erhebung zwang ihn, dem deutschen Vaterlande den Rücken zu kehren.

Wie viele seiner Gesinnungsgenossen, flüchtete er nach der Schweiz und wandte sich mit einigen Freunden über Bern und Thun in den weltentlegenen Winkel des obern Simmenthals hinauf. Dort, wo in erhabenster Alpenscenerie, überragt von den Eismassen des Räzligletschers und den breiten Schneefeldern des kühn ausgezahnten Wildstrubels, das Dorf An der Lenk seine behäbigen Holzhäuser über den wunderlieblichen Wiesgrund streut, dort nahm d’Ester seinen nächsten Aufenthalt. Dazumal waren Ort und Landschaft noch nicht entdeckt von den Touristen, gab es noch keine Fremdenpension, noch kein elegantes Badeetablissement, die heut’ auch dieser Bergabgeschiedenheit eine bunte polyglotte Sommerbevölkerung zuführen; damals, wo noch keine Poststraße den Verkehr des hintern Thales mit den großen Heerwegen der Menschen vermittelte, wo nur der Fußwandrer und der Säumer einsprachen, die auf dem berüchtigten Rawylpasse nach Sitten im Wallis hinabstiegen, damals athmete die Gegend rundum nur ländliche Stille und Alpeneinsamkeit. Sollte hier also nicht auch unser Flüchtling die Ruhe finden können, deren er nach dem fruchtlosen Kämpfen und Ringen für das Vaterland so sehr bedurfte? Nein, sie war ihm nicht beschieden. Neue Seelenerschütterungen warteten seiner. Die Liebe zu einem schönen, gebildeten und wohlhabenden Landmädchen im Nachbardorfe St. Stephan, gegen die sich der gereifte Mann vergeblich wehrte, fand wohl die innigste Erwiderung, bei den Eltern der Geliebten aber den ganzen entschiedenen Widerstand, mit welchem der exclusive Stolz des Schweizer Grundbesitzers dem aus gefesteten Verhältnissen gerissenen Flüchtlinge, dem „unpraktischen Dütschländer“ zumal, seine Abneigung zu bezeigen pflegt. Den Bemühungen des Vaters muß es vornehmlich zugeschrieben werden, daß der Bundesrath, auf Veranlassung Druey’s, der damals dem eidgenössischen Polizeidepartement vorstand, d’Ester aus der Schweiz verwies. Dieser leistete dem Befehle indessen keine Folge.

Karl d’Ester’s Ruhestätte in Châtel-St.-Denis.

„Ich gehe nicht,“ sagte er fest, „man wird mich nicht zwingen!“ Und rasch entschlossen erwarb er sich das Bürgerrecht der Gemeinde Murten, machte das erforderliche medicinische Staatsexamen in Freiburg und ließ sich zu Anfang d. J. 1850 in unserm Grenzörtchen Châtel-St.-Denis nieder. Naturfreund, wie er war, mochte er sich bei der Wahl dieses sonst wenig Hülfsquellen darbietenden Domicils, dem nur der Käsehandel und die rings verstreuten Sägemühlen einige Bedeutung verleihen, zumeist durch die Mannigfaltigkeit der Umgebung haben bestimmen lassen, die zu den interessantesten Alpenstreifereien Anlaß giebt, wohl auch durch die Nachbarschaft des geistig sehr regsamen Waadtlands.

Mit dem vollen Feuer seines thatkräftigen Charakters widmete er sich von Neuem den Pflichten des lange nicht geübten Berufes. Unverdrossen und unermüdlich wanderte er, von seinem treuen Spitz begleitet, der ihn überlebt und uns noch gar manches Mal grüßend angebellt hat, wenn wir im Hôtel de Ville zu Châtel einsprachen, zu Fuße Stunden weit nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_141.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)