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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

bald, daß Bülow von dort heranrücke. Napoleon sandte den so unerwartet erscheinenden Preußen anfangs nur leichte Reiterei entgegen, die doch blos beobachten konnte, und ließ daneben nur durch den Major-General Soult den Marschall Grouchy auffordern, sich so rasch als möglich seinem rechten Flügel zu nähern, um „Bülow, den er auf der That ertappen werde, zu vernichten.“ Die Voraussetzungen dieses Befehles sind fast unbegreiflich, denn Napoleon mußte wissen, daß sein Marschall zu fern war, um denselben ausführen zu können. Uebrigens verkündete der Kaiser ganz ruhig, er wisse, daß es Grouchy sei, der sich dort zur Rechten so unerwartet nahe.

Der Angriff auf Wellington erlitt hierdurch etwas Verzug. Er begann erst gegen zwei Uhr unter der Führung des unerschrockenen Ney.

Drei Divisionen wurden gegen den Pachthof La-Haye-Sainte und gegen die Mitte der feindlichen Schlachtlinie gesandt, vor der derselbe lag. Es gab hier einen der ruhmwürdigsten Kämpfe, in dem britische Kaltblütigkeit und französische Tapferkeit sich die Wage hielten. Der Ausgang war lange zweifelhaft. Den Franzosen rückten die Engländer mit Festigkeit entgegen. Es wurde heiß und heftig zwischen beiden Heeren gekämpft. Hier wie dort wurden Erfolge errungen, und die Opfer waren beiderseits groß. Nach einer Stunde trennten sich dann die feindlichen Colonnen, jede zog in die früheren Stellungen zurück. Eine vierte Division suchte sich gleichzeitig der drei Pachthöfe La-Haye, Papelotte und Smouhen zu bemächtigen, die vor dem linken Flügel der Engländer lagen. Auch hier wurde, jetzt wie später, hart und mit Ausdauer gestritten, doch ohne wesentlichen Erfolg.

Nun wäre es für Napoleon an der Zeit gewesen, den geschwächten Engländern neue Massen entgegen zu senden. Der Heerestheil des löwenmuthigen Grafen Lobau, etwa 9000 Mann, war früher dazu bestimmt gewesen, allein durch den drohenden Anmarsch von Bülow sah sich Napoleon doch genöthigt, ihn gegen diesen aufzustellen. Seine Garden wollte der Kaiser noch nicht in’s Gefecht führen, und so blieb einstweilen nichts anderes übrig, als Wellington hauptsächlich mit den schon geschwächten Divisionen von neuem angreifen zu lassen. Den Engländern aber wurde auf diese Weise schon durch den Anmarsch der Preußen ihre Haltung wesentlich erleichtert.

Gleichzeitig ließ jetzt aber Napoleon durch Ney zwischen Houyomont und La-Haye-Sainte hindurch große Reitermassen gegen die Reihen Wellington’s anstürmen. Starker Kugelregen erschütterte den Muth der Männer nicht. Sie erstiegen, wenn auch sehr gelichtet, die von den Gegnern besetzten Anhöhen und stürzten sich hier jubelnd auf die feindlichen Kanonen, deren Bedienung, einem früheren Befehle gemäß, in benachbarten Quarrés Schutz gesucht hatte. Diesen galt der nächste Anprall der mächtigen Reiterschaar.

Wohlgezieltes Feuer empfing sie. Gegen den verwirrten Haufen ging sodann die freilich schwache Reiterei der Verbündeten in schönster Ordnung vor. Sie warf den Feind und schlug damit dessen herzhaften Angriff zurück. Bald sandten auch die wiederbesetzten Kanonen den fliehenden Franzosen ihr mörderisches Geschoß nach.

Der Reitersturm war vergeblich gewesen. Er hätte durch Infanterie unterstützt werden müssen. Ney stellte dies Verlangen. Napoleon aber, der weder Lobau, noch jene Divisionen vor der Mitte der Feinde zurückziehen konnte, erwiderte cynisch: „Infanterie? Woher soll ich sie nehmen? Wollen Sie, daß ich welche schaffe?“

So blieb ihm, außer dem beständigen Feuer seiner zahlreichen Artillerie, nichts übrig, als die Reiterstürme, wenn auch durch neue, herrliche Schaaren vermehrt, zu erneuern. Sie wirkten verderblich für beide Theile, aber eine Entscheidung konnten sie nicht herbeiführen. Wie der erste verliefen auch die übrigen.

Indessen kämpften die schon früher im Feuer gewesenen Infanteriekolonnen wieder auf das Heftigste um Houyomont und La-Haye-Sainte. Beide Plätze wurden mit unerschütterlicher Tapferkeit vertheidigt. Aber der Besatzung von La-Haye-Sainte ging schließlich die Munition aus, während die steten, ungestümen Reiterangriffe nicht gestatteten den Mangel zu ersetzen. Die Franzosen bemächtigten sich nach fünf Uhr des Platzes.

Die Stellung Wellington’s war dadurch stark erschüttert. Der Sieg wäre für ihn jetzt verloren gewesen, wenn Napoleon ihm die Truppen, welche bereits mit Erbitterung gegen die Preußen kämpften, hätte entgegenführen können. War doch ohnedies des Herzogs Heer mit Vernichtung bedroht.

Bald nachdem La-Haye-Sainte verloren gegangen, brannte Schloß Houyomont nieder. Später büßte Wellington auch Papelotte und La-Haye ein. Und gleichzeitig wurden seine Reihen immer mehr erschüttert. Starke, zahlreiche Divisionen waren zu kleinen Haufen zusammengeschmolzen; die stolze, kriegerische Pracht vom Morgen war längst gebrochen. Die wiederholten, ungestümen Reiterstürme vernichteten in offen bemerkbarer Weise immer mehr und mehr die Schaaren der Verbündeten. Flüchtig verließen einzelne, sogar das ganze hannoversche Regiment Cumberland-Husaren, den furchtbaren Kampfplatz. „Um sieben Uhr Abends,“ berichtet ein Augenzeuge, „existirte die Armee Wellington’s nicht mehr; es war keine Armee mehr.“ In des Herzogs Umgebung tauchten selbst jetzt noch, wo die Preußen schon erschienen waren, Stimmen auf, die da meinten, der Rückzug müsse angetreten werden. Aber wie schon vorher in viel kritischeren Momenten, so blieb auch jetzt Wellington kalt und unerschütterlich. „Unser Plan,“ sagte er, „ist ganz einfach: Blücher oder die Nacht.“

Schon hatten die Preußen thätig in den Kampf eingegriffen und jetzt bewirkten sie, daß den Franzosen ihre Erfolge über Wellington nicht zu statten kamen, daß diese vielmehr selbst völlig geschlagen wurden.

Der Marsch der preußischen Corps Bülow und Pirch, bei denen sich Blücher und Gneisenau befanden, wurde durch die grundlos schlechten Wege mehr gehindert, als vorauszusehen war. Oft hieß es: „Wir können nicht weiter.“ Dann rief jedoch der unverzagte Blücher: „Wir müssen, Kinder! Ich habe Wellington mein Wort gegeben, und Ihr werdet doch nicht wollen, daß ich wortbrüchig werde?“ Die Artillerie blieb weit zurück. Es wurde erforderlich, auf sie im Angesicht der Schlacht zu warten. Als aber Blücher sah, wie Ney den zweiten großen Reiterangriff auf das verbündete Heer vorbereitete, befahl er, ungesäumt vorzugehen.

Um halb fünf Uhr sandten die Preußen ihre ersten Schüsse in die Schlacht, weniger um dem Feinde direct dadurch zu schaden, als vielmehr seinen Muth zu mindern, den des befreundeten Gegners zu erhöhen. In diesem Augenblicke ertönte aber auch Kanonendonner im Rücken von Blücher. Bald traf von Thielmann die Nachricht ein, daß er bei Wawre von überlegenen Kräften angegriffen sei. Es war Grouchy, von dessen Irrfahrten die Verbündeten ebenso wenig erfahren, wie Napoleon von dem Ziele des Nachtmarsches der geschlagenen preußischen Armee. Ein etwaiger Rückzug konnte den Preußen abgeschnitten sein, während noch nicht entschieden war, wie der Kampf in der Front ausfallen würde. Es war ein Moment, der mehr als irgend einer zu halben Maßregeln verleiten konnte. Blücher und Gneisenau aber, großartig und kühn wie je, schwankten keinen Augenblick. Sie sendeten keine Verstärkungen rückwärts. „Er müsse sich,“ ließen sie Thielmann sagen, „vertheidigen, so gut er könne.“ Sie selbst aber sammelten eifrig die Streitkräfte, um bald mit Macht in den Kampf einzugreifen.

Das Gefecht mit Lobau’s Truppen, die Napoleon, wie bemerkt, den Preußen entgegen geworfen, hatte indessen begonnen. Bald konnte Bülow Uebermacht entwickeln und damit gegen sechs Uhr Lobau zurückdrängen. Die Preußen standen bereits im Rücken der Franzosen.

Aber Napoleon ließ nicht ab von der Bedrängung der Engländer, denen er gerade jetzt nicht unwesentliche Erfolge abrang. Gegen die Preußen sandte er frische Truppen, ein Dritttheil seiner letzten Reserve. Blücher mußte sich, für die geringen Kräfte, die noch zur Verfügung standen, anfangs ziemlich weitläufig entwickeln. Er hatte Lobau zu bekämpfen und mußte gleichzeitig suchen, mit seinem rechten Flügel Halt zu bekommen, um die Verbindung mit Wellington herzustellen. Dadurch wird es gekommen sein, daß er zuerst zurückgedrängt wurde. Es entspann sich ein lebhaftes und blutiges Gefecht um das Dorf Planchenois, das von Lobau, durch Garden ansehnlich verstärkt, heldenmüthig vertheidigt wurde. Die Preußen verloren dabei halb so viel Mannschaft, als Wellington am ganzen Tage. Hier lag von sechs bis acht Uhr das Schicksal der Schlacht. Napoleon ließ gleichzeitig von Neuem gegen die Briten anstürmen. Sechs Bataillone der alten Garde wurden jetzt unter Ney gegen die Feinde geführt. Sie erstiegen die Anhöhen, brachten Tod und Verderben und wurden dann wieder geworfen, wie die frühern Colonnen. Während diese Tapfern im vergeblichen Kampfe auf dem rechten Flügel der Verbündeten rangen, wurde endlich auf dem linken

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