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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 9.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Unsichere Fundamente.
Erzählung von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

„Sie sprachen von unserem Gaste,“ empfing Eugenie den Herantretenden halblaut; „wissen Sie wohl, daß ich mich für diesen Unbekannten schon lebendig interessire?“

„Ich habe schon durch Ihr Aeußeres, Fräulein, eine Ahnung davon erhalten!“ erwiderte Gruber, während ein dunkler Schatten über sein Gesicht ging; „ich kann mir auch denken, daß für Manche das Fremde einen Reiz hat, der das Alltägliche, so treu es auch gewesen sein mag, ganz vergessen läßt.“

„Nun warum nicht?“ lachte sie gedämpft, „die Menschen haben voriges Jahr alle nur nach den Kometen gesehen und die guten alten Sterne darüber vergessen –“

„Und wenn nun so etwas Vergessenes nicht einmal ein Stern ist!“ unterbrach er sie.

Einen kurzen Moment färbten sich ihre Wangen höher. „Ach, werden Sie nicht langweilig, Herr Gruber,“ sagte sie rasch, „Sie waren eben noch so interessant, als Sie mit Papa sprachen!“

Er blickte zwei Secunden lang in ihr ausweichendes Auge. „Es ist nun eben langweilig, das Alltägliche, Fräulein,“ entgegnete er, sich aus seiner geneigten Stellung aufrichtend, „ich werde Sie also von dem Kometen unterhalten. Wünschen Sie eine genaue Beschreibung seines Fracks und der Weise, wie er seine Cravatte knüpft?“

„Nun werden Sie unausstehlich!“ versetzte sie, sich hastig erhebend und nach dem zweiten Fenster tretend. Grubers sichtliche Zweifel über sein nächstes Verhalten aber wurden durch das rasche Oeffnen der Thür unterbrochen. „Herr Maçon!“ meldete Willmann’s Stimme. Hellmuth hielt seinen Schritt an und hob rasch den Kopf, während Eugenie, als wolle sie jetzt ihr vorher angedeutetes Interesse deutlich bethätigen, ihr Gesicht hastig der Thür zudrehte, in welcher in diesem Augenblicke die nur mittelgroße, feingegliederte Gestalt des Erwarteten erschien.

Rasch eintretend, schritt er auf den dastehenden Hausherrn zu, sich mit einem halb fragenden: „Herr Hellmuth?“ leicht verbeugend. Der Genannte hatte beim ersten Erscheinen des Gastes einen großen, forschenden Blick in dessen Züge geworfen und war einen Schein bleicher geworden, streckte ihm dann aber plötzlich, mit einer fast herzlichen Bewegung, die Hand entgegen. „Herr Maçon, seien Sie willkommen,“ sagte er; „ich hätte nur gewünscht, daß Sie sofort bei Ihrer Ankunft mein Haus aufgesucht hätten!“

„Herr Hellmuth, ich weiß kaum, wie ich zu so viel Freundlichkeit komme.“

„Lassen wir die höflichen Phrasen, Herr Maçon, und versuchen Sie, es sich in unserm kleinen Familienkreise behaglich zu machen! Hier ist vorläufig meine Tochter Eugenie, und hier Herr Gruber, mein geschäftlicher Vertrauensmann, aber fast auch ein Stück der Familie.“

Der Gast war auf das sich erhebende Mädchen zugeschritten, heftete aber, wie überrascht von ihrer Schönheit, erst einen langen Blick in ihre Züge, ehe er sich verbeugte. „Fräulein Hellmuth, ich würde sehr glücklich sein, wenn ich bei Ihnen auf einen eben so freundlichen Empfang als bei Ihrem Herrn Vater rechnen dürfte!“ sagte er, und vor seinem glänzenden Auge, wie vor seinem eigenthümlich freien Herantreten schien sie fast ihre gewöhnliche Sicherheit zu verlieren. „Papa weiß,“ erwiderte sie nur halblaut, während ein tieferes Roth in ihre Wangen trat, „daß, wer ihm willkommen, es auch uns ist!“

Gruber hatte mit einem peinlichen Gefühle den Eindruck wahrgenommen, welchen schon bei diesem ersten Blicke Beide auf einander zu machen schienen, und vermochte nur mit aller Selbstüberwindung den Gast, der ihm mit den herzlichen Worten: „Wir sind ja bereits Bekannte und bedürfen also keiner weiteren Redensarten!“ die Hand reichte, freundlich zu begrüßen. Ein Blick nach dem Mädchen, welches ihren Platz wieder eingenommen, aber wie absichtlich das Gesicht von ihm abgewandt hielt, erhöhte seinen innern Druck noch, und erst als der Principal den Fremden nach einem Fauteuil geführt hatte und ein Gespräch einleitete, wurde seine ganze Aufmerksamkeit nach dieser Richtung hingelenkt.

„Mir ist es, Herr Maçon, als sollten auch wir bereits Bekannte sein,“ hatte Hellmuth, sich auf dem eingenommenen Sitze zurücklehnend und die Augen auf den Angeredeten richtend, begonnen; „der erste Blick in Ihr Gesicht, welches fast Zug für Zug das Ihres Vaters in seinen jüngeren Jahren ist, hatte mich sofort darüber belehrt, wenn auch mein bisheriger Buchhalter Meier meinem Gedächtnisse nicht mit andern Notizen zu Hülfe gekommen wäre. – Meinen Sie nicht auch?“ fuhr er mit einem seltsamen Lächeln fort. „Ich hätte es für ein wirkliches Zeichen freundlicher Gesinnung genommen, wenn Sie den einzigen Bekannten, den Sie ja wohl noch in der Stadt besaßen, nicht drei Tage auf Ihren Besuch hätten warten lassen!“

Der junge Mann hatte diese Anrede nicht erwartet, dies spiegelte sich in seinen Zügen. „Verlassen Sie sich darauf, Herr Hellmuth,“ erwiderte er mit eigenthümlichem Ernste, „daß ich unter so freundlichen Gesinnungen für Ihr Haus hierher gekommen bin, wie sie nur bestehen konnten!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_129.jpg&oldid=- (Version vom 26.8.2021)