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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

von Schleswig-Holstein, wir verlangen, daß diese Herzogthümer, soweit sie deutsch sind, nach ihrem Recht und ihrem Willen auch zu Deutschland gehören.

Und Das ist’s, was das große, mächtige Inselreich in eine Aufregung versetzt, als ob wir die Hand frevelhaft nach seinen heiligsten Kleinodien ausgestreckt hätten. Wir wissen’s: von der gemeinsten Selbstsucht wird die englische Ehre befleckt; die Furcht, der verachtete Deutsche könne zur See doch noch zu Macht gelangen, „der Ochs könne doch gesattelt werden,“ – diese Angst vor der Zukunft des eigenen Lebensbaums durch eine aufgehende fremde Blüthe, – diese jämmerliche Angst hat die englische Nation so tief sinken lassen, daß sie für Ausbrüche wahrhaft ruchloser Versunkenheit keine Scham mehr hat! Oder ist es etwas Anderes, wenn eine Stimme der freiheitsstolzesten Nation „sich und der Welt dazu Glück wünscht, daß die Freiheit in Frankreich dem aufgeklärten Despotismus Platz gemacht habe“ – weil sie in dem Despoten einen Freund gegen Deutschland gefunden zu haben glaubt? Dies Eine genügt, das Gebahren der Engländer zum gemeinen Verbrechen am Geist der Menschheit zu stempeln.[1]

Wir Deutsche haben den Engländern gegenüber uns nur den einen Vorwurf zu machen, daß wir vor lauter Anstaunung ihrer Herrlichkeiten uns, unserer Ehre und unseren Interessen ein halbes Jahrhundert lang das größte Unrecht angethan haben. Von hundert Beispielen wollen wir heute nur eines unseren Lesern vorführen: den wahrhaften Antheil, den die deutschen Waffen an der Entscheidungsschlacht von Belle Alliance hatten.

Jeder Deutsche weiß, welche Zustände uns drückten seit jenem großen Siegestage und wie es möglich war, daß wir selbst unseren Ehrenantheil so gering anschlagen konnten, als der englische Undank nach den Tagen der Noth ihn anschlug.

So erzähle denn die Geschichte einfach, treu und wahr, welchen Dank England bei Belle Alliance uns schuldig geworden, damit sein Undank das gebührende Brandmal um so sichtbarer trage, und damit endlich der Geschichtsverfälschung ein energisches Ende gemacht werde, welche durch die hochmüthigen Rodomontaden der Engländer und ihrer dünkelhaften Presse hinsichtlich des letzten Vernichtungssieges über den gewaltigen Corsen in einem großen Theile der civilisirten Welt so lange Cours und Geltung behauptet hat. –

Es war in der Nacht vom 6. zum 7. März 1815, als Fürst Metternich in Wien eine Depesche aus Genua erhielt, die er anfangs, ermüdet von langer Conferenz, ungelesen zurückschob. Endlich erbrach er sie. Napoleon sei, so wurde darin berichtet, von der ihm angewiesenen Insel Elba entwichen, man wisse nicht, wohin. Am 11. März wurde sodann in Wien bekannt, der gewaltige Mann sei im Süden Frankreichs gelandet. Alle hielten jetzt einen neuen Krieg für unvermeidlich. Die europäischen Mächte erklärten am 13. März, „daß Napoleon Bonaparte sich selbst außerhalb aller bürgerlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse versetzt und sich als Feind und Störer der Ruhe der Welt der öffentlichen Strafe preisgegeben habe“. Ohne Säumen trafen die Fürsten darauf die Anstalten, einen neuen gewaltigen Krieg gegen den Ruhestörer Europa’s zu führen. Vergeblich waren dessen Friedensversicherungen, vergeblich seine diplomatischen Ränke. Unter damaligen Umständen war wirklich die Herrschaft Napoleon’s in Frankreich eine Bedrohung des Friedens in Europa, vor Allem eine Bedrohung der deutschen Selbstständigkeit. Es war freilich zu jener Zeit schon viel gethan, um den herrlichen Geist, der die Schlachten des Freiheitskrieges schlug, zu vernichten; mit Mißtrauen und armseligem Feilschen um die Rechte, die dem deutschen Volke zuzugestehen seien, war dessen Freiheitsthat bereits belohnt; aber trotzdem erhob es sich auf den Ruf der Fürsten von Neuem, um die Gefahr einer Unterdrückung vom Vaterlande abzuwehren. Ehe Napoleon seine gewaltigen Rüstungen beenden konnte, standen ihm die Deutschen schon kampfbereit gegenüber.

Bald aber zogen auch andere ungeheure Heeresmassen den Grenzen Frankreichs zu. Die Russen, welche die Heimath noch nicht einmal erreicht, kehrten schleunigst um, das unterbrochene Werk von Neuem aufzunehmen. Alle Länder Europa’s, die Türkei allein ausgenommen, versprachen, je nach ihren Kräften, zahlreiche Heere zu senden. Menschengetöse erscholl überall. Und wirklich setzten sich bald über eine halbe Million Krieger aller Zungen gegen das Reich Napoleon’s in Bewegung.

Abgesehen von den Truppen in Italien, sammelten sich vier gewaltige Heere der Verbündeten. Südlich, den linken Flügel bildend, stand der österreichische Fürst Schwarzenberg mit 230,000 Mann in Baden. Ihm sollte sich zur Rechten der Russe Barclay de Tolly mit 150,000 Mann anschließen. Da aber dessen Schaaren bei Ausbruch des Krieges noch weit zurück waren, so standen freilich zwischen Schwarzenberg und den niederländischen Heeren vorerst nur kleinere Abtheilungen. In den Niederlanden aber kamen zwei furchtbare Armeen unter den trefflichsten Führern zusammen.

Lord Wellington, der früher siegreich die Franzosen aus der pyrenäischen Halbinsel vertrieben, sammelte hier bald mit rastloser Energie ein verbündetes Heer von mehr denn 100,000 Mann, Alle vom feurigsten Kriegsmuth beseelt. Fast die Hälfte von ihnen bestand aus Deutschen, die theils als englische Söldlinge, theils auch wegen naher Verbindung deutscher Länder und Fürstenhäuser mit dem Inselreich, unter die Fahnen des ruhmreichen Herzogs gestellt waren. Auch das hat uns zum Schaden gereicht. Die Lorbeeren dieser deutschen Truppen pflegen die Engländer für sich in Anspruch zu nehmen, und Wellington vermehrte durch sie seine Erfolge, das schwerste Gewicht für die bourbonische Politik seiner Regierung. Der „Eisenherzog“ berechnete mit diplomatischer Feinheit auch solche Elemente, die zum Zwecke führten, während es dem alten Feldmarschall Blücher, der mit jugendlicher Kraft und altbewährtem Eifer den Kern der deutschen Macht heranführte, nur um die Sache zu thun war, ohne alle Nebenrücksichten. Blücher’s Armee, etwa 112,000 Mann stark, war in vier verschiedene Corps unter der Führung von Zieten, Pirch I., Thielmann und dem trefflichen Bülow von Dennewitz vertheilt.

Auch diese Truppen erfüllte der beste Geist, der nur gewünscht werden konnte. Willig ertrugen sie den durch die üble finanzielle Lage des Staates nicht selten herbeigeführten Mangel, gern thaten sie, was nur immer in ihren Kräften stand, die unvollständige Kriegsbereitschaft zu bessern und zu erhöhen. Auch war die junge wie die alte Mannschaft dieser wackern Preußen erfüllt von unbedingtem Zutrauen zu dem erprobten Marschall Vorwärts und zu dessen feurigem Gesellen, dem General von Gneisenau, der, wie in dem früheren Kriege, dem alten Blücher als aufrichtiger Freund und treuer Rathgeber an der Spitze des Generalstabes zur Seite stand.

Der vorsichtige Fürst Schwarzenberg wünschte, daß die Operationen nicht eher ihren Anfang nehmen möchten, bis Barclay in die Linie eingerückt. Im Blücher’schen Hauptquartiere wurde allerdings ein so langer Aufschub nicht für räthlich gehalten; man meinte, „die verlorene Zeit gewinnt der Feind“; allein selbst Gneisenau war doch noch im Anfange Juni nur für ein sehr langsames und vorsichtiges Ueberschreiten der französischen Grenze. Da kam Napoleon, mit oft befolgter Taktik, den Angriffen seiner Gegner wieder zuvor.

Noch einmal entwickelte der großartige Schlachtenkaiser seine staunenswerthe Thätigkeit in Frankreich. Die Begeisterung freilich, mit der die französische Nation dem durch ihn bewirkten Sturz der verlebten Bourbonen entgegenjubelte, hatte sich bald gegeben, als sie wahrnahmen, daß nun das erschöpfte Land wiederum in Krieg und Noth gestürzt werden mußte. Es bedurfte bald theatralischer Effecte, dem Volke glauben zu machen, es hänge begeistert an dem Kaiser. Aber die Armee war für Napoleon und für Krieg, was davon unzertrennlich. Sie hielt treu zum Kaiser, obwohl selbst die meisten seiner alten Waffenbrüder, die stolzen Marschälle, sich scheu zurückhielten. Dem Heere mußten zum Theil neue Führer gegeben werden. Und nun trieb Napoleon mit rastloser Energie die Mittel zum unvermeidlichen Kriege zusammen. Die Bildung einer zahlreichen Armee wurde vorbereitet. Schon im Mai konnten gegen 90,000 Franzosen an verschiedenen Stellen gegen die drohenden Fremden aufgestellt werden, während Napoleon selbst mit 130,000 der tapfersten und herrlichsten Krieger nach den Niederlanden


  1. Wir dürfen wohl unseren Lesern eine neueste Probe englischer Schmähkraft in Erinnerung bringen. Ein „Schleswig-Holstein-Lied“ des englischen Kladderadatsch „Punch“, welches vor einigen Wochen durch unsere Tagesblätter lief, schloß mit den Versen:

    Lumpen! ruft euch England zu,
    Laßt den Kleinen nur in Ruh,
    Bindet doch mit Großen an –
    Schleswig-Holstein woll’n wir ha’n.
    Noble Bande! Könnt ihr stehn,
    Könnt ihr auch zum Kampfe gehn.
    Brüllet, wird’s euch wackelisch,
    Schleswig-Holstein unterm Tisch.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_118.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)