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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

verboten. Auch die Mainzer Lokalpresse wurde deshalb gerichtlich verfolgt und, wenn auch wider Willen, zum Schweigen gebracht; Warburg endlich büßte gerade ein Jahr lang in Untersuchungshaft hinter Schloß und Riegel wegen seiner Enthüllungen über die genannte Anstalt. Als er aus dem Gefängniß heraus zu seiner Vertheidigung eine Ansprache an seine Mitbürger veröffentlichte, wurde er, noch bevor sein Hauptproceß verhandelt war, zu vier Monaten Correctionshaus nebst entsprechender Geldstrafe verurtheilt. Am 4. Januar d. J. kam endlich der Proceß wegen der Warburg’schen Broschüre zur Verhandlung. An 130 Zeugen waren geladen. Gerade am Jahrestage seiner Verhaftung hielt Warburg seine Vertheidigungsrede vor den Schranken des Mainzer Bezirksgerichtes, und am 27. Januar wurde das Urtheil publicirt. Es lautete auf 6 Monate Correctionshaus, von denen von seiner 12 Monate dauernden Haft ihm 2 Monate als unverschuldet abgerechnet wurden. Allein durch diese Verurtheilung ist das öffentliche Urtheil über Schwester Adolphe, über das Invalidenhaus und über die ultramontanen Mainzer Jesuitenumtriebe nicht um einen Deut geändert werden. Oeffentlich sammelt man in Mainz und in der Umgegend zu Gunsten Warburgs, damit er nach überstandener Haft eine einigermaßen sichere Existenz finde; denn man weiß in Mainz nur zu gut, daß Manches, was Warburg in seiner Broschüre behauptet, wenn auch nicht durch Zeugenaussage zu erweisen, so doch wahr ist, indem in der langen Zwischenzeit seiner Untersuchungshaft manche seiner Hauptentlastungszeugen gestorben sind, besonders der bekannte Dr. Mertens, Assistenzarzt in jenen Anstalten, der sich unter Verhältnissen erhängte, daß in Folge der deshalb auftauchenden Gerüchte gegen mehrere Zeitungen in und um Mainz mit Untersuchungen wegen Preßvergehen vorangegangen wurde. Man weiß, daß die Mainzer Ultramontanen in den 12 Monaten von Warburgs Untersuchungshaft freie Hand hatten, ihre Angelegenheiten bezüglich jenes Processes in Ordnung zu bringen, währenddem Warburg die nothwendigen Mittel zu seiner Vertheidigung, vor Allem der freie Verkehr mit den von den Ultramontanen umstrickten Invaliden, fehlten. Man weiß endlich nur zu gut, daß auch für den Fall, daß Warburg in dem einen oder andern Punkte sich geirrt, er durch sein Auftreten in dieser Angelegenheit an den armen Invaliden ein gutes Werk gethan und durch seinen Kampf gegen das Mainzer Jesuitenthum sich um die gute Sache verdient gemacht hat.

Tief eingeweiht in die Verhältnisse des Mainzer Invalidenhauses und bekannt mit den Plänen der Mainzer Ultramontanen, werde ich ohne alle Parteilichkeit wie sonder Leidenschaftlichkeit den Lesern der Gartenlaube ein Bild jener Anstalt entwerfen, welches, auf der strengsten Wahrheit beruhend, um so geeigneter sein wird, das Urtheil des deutschen Volkes über jene Vorgänge wirklich aufzuklären. Es bedarf keiner Uebertreibungen, um ein schlechtes System bloßzustellen und es in den Augen der Welt zu kennzeichnen.

Das Mainzer Invalidenhaus ist eine rein bürgerliche Anstalt, die erst im Jahre 1848 eröffnet wurde. Der Mainzer Jesuitismus suchte sich aber dieser mit Millionen dotirten Anstalt zu bemächtigen, um dadurch einen entscheidenden Einfluß auf die socialen Verhältnisse in Mainz zu gewinnen. Diesem Plane stand die Mainzer Bürgerschaft, der Gemeinderath an der Spitze, entgegen. Die Jesuiten waren deshalb bestrebt, einerseits jenem Invalidenhaus einen kirchlichen Charakter aufzudrücken, andererseits durch große Ersparnisse in der Oekonomie der Anstalt selbst es dahin zu bringen, daß der s. g. Hospizienfonds, der zur Zeit der französischen Occupation Anfangs dieses Jahrhunderts aus den damals aufgehobenen Wohlthätigkeitsanstalten gebildet wurde, keines Zuschusses aus der Gemeindecasse bedürfe, um somit dem Gemeinderath jede Gelegenheit zu entziehen, sich mit den Verhältnissen der Anstalt zu befassen. Behält man diese beiden Punkte im Auge, so hat man eine Erklärung der ganzen unbarmherzigen Barmherzigen-Schwester-Wirthschaft im Mainzer Invalidenhaus.

Nachdem im Jahr 1855 die innere Verwaltung und Leitung des Invalidenhauses den barmherzigen Schwestern übertragen war, sorgten diese Nonnen, an deren Spitze Schwester Adolphe steht, dafür, daß beide Punkte realisirt wurden. In Wirklichkeit wurde die Anstalt dem äußern Anschein nach in kürzester Zeit unter den sorgsamen und „zarten“ Händen der Nonnen in ein vollständig klösterliches Institut verwandelt und dabei, d. h. trotz der enormen Mittel, die man zur Herrichtung dieses klösterlichen „Anstriches“ bedurfte, jährlich eine Summe von vielen tausend Gulden gegen früher erspart. Mochten auch die Invaliden darüber in die äußerste Unzufriedenheit versetzt, mochte auch von wohlmeinender Seite entschieden von einem solchem System abgerathen werden, – die Jesuiten fragten nichts darnach; denn schon waren sie näher dem Ziele ihrer Pläne angelangt und bedurfte es nur ihrer fortgesetzten eisernen Zähigkeit, um in kürzester Zeit den entscheidenden Sieg in ihrer Hand zu haben.

Da, in der Zeit der äußersten Noth und der äußersten Unzufriedenheit der Hospitaliten, trat Warburg mit seiner Broschüre auf den Kampfplatz und machte den Ultramontanen zu ihrem größten Zorn und Aerger den Sieg streitig, den sie schon errungen glaubten.

Werfen wir nun unsere Blicke zunächst auf die fromme Schaar dieser barmherzigen Schwestern! Ihre Vorsteherin ist die so weithin berüchtigt gewordene „Schwester Adolphe“. Sie ist geboren im Juni 1815 in Aschaffenburg, wo ihr Bruder Pfarrer an der Stiftskirche ist. Josepha Faust, so heißt Schwester Adolphe, war an 30 Jahre alt, als sie (im September 1844) den Schleier nahm. Mancherlei Gerüchte über ihre früheren Lebensjahre sind in das Publicum gedrungen, ohne daß sich bis jetzt irgend Jemand die Mühe genommen hätte, deren Wahrheit oder Falschheit darzulegen. Ich selbst habe einen mit Namensunterschrift versehenen Brief von der Hand einer Person gelesen, die längere Zeit im Rochusspital in Mainz die barmherzigen Schwestern beobachtet hatte und gegen diese Nonnen die wunderlichsten Dinge aussagte. Schwester Adolphe ist von untersetzter Statur, ziemlich corpulent, festen Blickes, barschen Auftretens, mannhaft in ihrem ganzen Wesen. In ihrem Umgang mit Personen höheren Standes, namentlich mit Geistlichen, benimmt sie sich überaus würdevoll, fein, einschmeichelnd, ja ich möchte sagen liebenswürdig.

Die übrigen Schwestern des Invalidenhauses sind meistens noch junge Mädchen in den zwanziger Jahren, denen man es jedoch auf den ersten Blick ansieht, daß sie als Schönheiten in der Welt keineswegs réussirt hätten. Einem alten Manne, einem Veteranen, der ein Selbstbewußtsein und Gefühl für Ehre hat, muß es empörend sein, sich von einem solchen jungen Dämchen nach Willkür und Laune commandiren lassen zu sollen. Nur zwei der Nonnen, Schwester Sylveria und Schwester Lina, die freundlich und gutherzig, waren bei den Invaliden beliebt, und Warburg hat sie auch in seiner Broschüre gelobt, weshalb sie wohl, kurz nach dem Erscheinen der Flugschrift, nach Frankreich versetzt und erst in Folge des sich an diese Versetzung knüpfenden Aufsehens nach Mainz zurückgeschickt wurden. Beide Schwestern benahmen sich mit einzelnen Hospitalbeamten von Zeit zu Zeit über das Regiment der Schwester Adolphe vertraulicher, als man dies sonst bei einer Nonne gewohnt ist. Manchmal scheint sich diese Vertraulichkeit freilich etwas weite Grenzen gesteckt zu haben. Von der Schwester Lina besonders bezeugte der frühere Invalide Hohl, daß er sie mit dem Hausknecht Fisch, einem hübschen jungen Manne, mit umschlungenen Armen einen verschlossenen Corridor habe auf- und abgehen sehen. Als er davon andern Invaliden Mittheilung gemacht, sei er von diesem Hausknechte blutig geschlagen, von der Schwester Adolphe thatsächlich mißhandelt und in einen schrecklichen Hauskerker, den man in Mainz „Blockkammer“ nennt, bei Wasser und Brod so lange eingesperrt worden, bis er, auf das Aeußerste entkräftet, bei der Schwester Adolphe und dem damaligen Hospitalpfarrer Steindecker nothgedrungen seine Aussage widerrufen habe. Der genannten „Blockkammern“ giebt oder gab es im Mainzer Invalidenhaus mehrere. Die „barmherzigen“ Schwestern schämten sich nicht, bei all’ ihrer Barmherzigkeit, den Invaliden gegenüber diese Zwangszellen in Anwendung zu bringen und davon reichlichen Gebrauch zu machen.

Das Innere des Invalidenhauses ist dem äußern Anschein nach gar gemüthlich, Alles ist für das Auge hübsch und geschmackvoll hergerichtet. Aber das „Kloster“ schaut aus allen Ecken und Enden hervor. Statuen und Bilder von Heiligen gewahrt man allerwärts, nicht nur in der Kapelle, sondern auch im Speisesaale, auf den Gängen, in den einzelnen Zimmern. Was der ganzen Mainzer Klerisei nicht erreichbar gewesen wäre, wurde möglich unter den Händen der Nonnen. Die Zimmer der eingepfründeten Personen sind elegant, oftmals sogar luxuriös eingerichtet; in sie werden denn auch Besucher der Anstalt mit Vorliebe eingeführt. Die Säle der Invaliden aber bieten den Anblick großer Dürftigkeit.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_110.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)