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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Parteimann und dann erst die Rede vor großen, im Voraus gleichgesinnten Massen. Dem steht nicht entgegen, daß Metz es war, der auf einer großen würtembergischen Volksversammlung wenigstens einen Theil der schwäbischen Demokratie für die Sache des Nationalvereins gewann; denn er hat die Schwaben damals nicht für das Programm des Nationalvereins, sondern nur für die frische, agitatorische Triebkraft des Vereins gewonnen, von der er selbst das empfehlendste Beispiel war. Metz hat alle Früchte, die dem Parteimann und Agitator blühen, geerntet: die wärmste Anerkennung und das unbedingte Vertrauen seiner Freunde und den bittersten Haß seiner Gegner. Er war es, für den die Letzteren den Namen „Commis voyageur des National-Vereins“ glaubten erfinden zu müssen, weil er unermüdlich rührig und überall, oft an drei, vier Orten in einer Woche, die Sache des Vereins verfochten hat. Er ist es auch gewesen, der gewandt, lebensklug, mit der Umsicht und Vorsicht des Advocaten und dann wieder, sobald er den Zeitpunkt gekommen erachtete, mit dem vollen Muth und der ganzen Rücksichtslosigkeit des Agitators, den schwachen Seiten des Ministeriums Dalwigk nachgespürt und bei den letzten Wahlen, trotz aller ausgeklügelten Hindernisse eines faulen Wahlgesetzes, eine so geschlossene Opposition in die Kammer gebracht hat, wie er es selbst kaum zu hoffen gewagt.

Diese beiden Seiten seines Wesens sprechen sich, glaub’ ich, auch sehr deutlich in seinem Aeußeren aus. Das tief blaue, kluge, beobachtende Auge, die Linien um die spitz auslaufende Nase und die fein geschnittenen, fest geschlossenen Lippen gehören dem scharf berechnenden, vorsichtigen Sachführer der Partei, der, nichts überstürzend, ruhig den Dingen folgt und auf seine Zeit paßt. Wenn er aber auf der Rednerbühne steht, und die hohe, etwas, forcirte Tenorstimme schallt einem entgegen, und man sieht von ferne die dunklen Augen, die unter der hochgewölbten Stirn im Feuer der Erregung hervorsprühen, und das bleiche Gesicht, dessen Blässe bei dem üppigen schwarzen Haar und dem dichten schwarzen Hambacher Bart noch stärker hervortritt, dann könnte man leicht versucht sein, bei diesem leidenschaftlichen Agitator an einen fanatischen Hussitenprediger zu denken. Der ganze Mensch arbeitet bei seinem Vortrage mit, der kräftige Körper hebt und beugt sich, und man meint, er müsse die Gedanken aus seinem ganzen physischen Habitus entwickeln. Und doch arbeitet eigentlich nur der Kopf, und gerade weil nur dieser arbeitet, während sein Gemüth ihn übermannt, statt ihn mit Hülfe der Phantasie zu unterstützen, gerade darum ist eben Metz nicht in erster Linie Volksredner. Die raschen, glücklichen plastischen Griffe und Sprünge, wie sie Ludwig Seeger und Schulze-Delitzsch ihre Dichternatur von freien Stücken und unabsichtlich gestattet, sind ihm versagt. Seine langen, fest gegliederten Sätze kann nur der allein dominirende, geschulte Verstand so sicher zu seinem Ziele leiten, und wie oft auch seine Rede in drastischer Spitze ausläuft und bis auf das Mark der Gegner trifft, es sind nicht momentan gegriffene dichterische Bilder, es sind von Verstand erfaßte und wohl geführte Pointen. –

In der Rotunde hinter dem Präsidententische sitzt unter vielen Andern ein kleiner, schmächtiger Mann in den vierziger Jahren. Der Gestalt entsprechend ist der Kopf klein und würde ohne das volle dunkelblonde Haar noch kleiner erscheinen. Das Gesicht dagegen, von dem dünnen Vollbart in seinen Contouren nicht verhüllt, tritt um so schmäler hervor, sodaß die natürliche Ovalform fast bis zum Dreieck zusammen geschwunden sich ansieht und die feinen, angenehmen Züge etwas spitz hervortreten. Nur ein Theil des Gesichtes ist in normaler Ausdehnung geblieben: das große, blaue, durchdringende Auge, in dem der ganze energische Geist des Mannes zum Ausdruck kommt. Das ist Karl Brater, der Geschäftsführer des ständigen Ausschusses der Abgeordneten-Versammlung, früher Bürgermeister der alten Reichsstadt Nördlingen, eine Stellung, der er aber nach langem Kampf für die deutsche Reichsverfassung und nach nicht enden wollenden Conflicten mit der baierischen Büreaukratie entsagte, der Gründer der Zeitschrift für baierische Verwaltungswissenschaft, der Mitherausgeber des Staatslexikons von Bluntschli, der Gründer und mehrjährige Redacteur der Süddeutschen Zeitung in München. Das ist kein Redner von Beruf und er spricht auch heute nicht, wohl aber eine politische Feder, die vielleicht nicht warm genug ist und zu viel eigene Anstrengung voraussetzt, um so recht durchschlagend auf die Massen zu wirken, die aber in lichtvoller Klarheit und classisch strenger Formschönheit ihres Gleichen sucht. Wie Bennigsen hat auch Brater sich fest in die Hand genommen, wie dieser weist auch er einem Jeden, der sich ihm naht, seine feste Stellung an; wie Bennigsen ist auch er ursprünglich Jurist und hat in trüber, drückender Reactionszeit fast allein, zunächst außerhalb und von 1859 an innerhalb der Kammer, einem freiheitfeindlichen Ministerium die Spitze geboten. Es gehörte eine so begabte, sittlich so unangreifbare und zugleich eine so taktvolle und so furchtlose Persönlichkeit dazu, um im Herbst 1859, unmittelbar nachdem ein unbeschreiblicher Enthusiasmus für die Sache Oesterreichs durch Baiern gegangen, eine Zeitung in München zu gründen, die dem Programm des Nationalvereins in Baiern den Boden bereiten sollte. Was Brater hierbei geleistet, ist wahrhaft bewundernswerth. Mit außerordentlichem Geschick und mit der zähesten Ruhe und Festigkeit überwand er Schritt für Schritt alle Schwierigkeiten – hielt es doch anfangs schwer, nur einen Drucker und nun gar einen Austräger für das vom öffentlichen Urtheil verfehmte Blatt zu gewinnen! – und erzwang sich durch sein unparteiisch Urtheil, seine wirklich liberale Opposition gegen die Regierung und durch die Tüchtigkeit seiner Redaction allmählich Achtung und Interesse.

Man hat ihn in Baiern um seiner politischen Haltung willen schwer gehaßt, so wie nur ein so unausgelebtes Volk wie das baierische hassen kann, aber man hat seinen glänzenden Leistungen als Journalist und seinem Achtung gebietenden öffentlichen Auftreten gegenüber doch auch wieder nicht ohne einen gewissen Stolz sich in dem Gedanken gefallen, daß er – ein geborner Baier sei, und mit aufrichtiger Sorge verfolgten selbst entschiedene Gegner den fernern Verlauf seines Geschickes, als er, der aufreibenden Thätigkeit als Redacteur erliegend, schwer erkrankt München verlassen mußte. Hatte doch selbst sein fanatischster Feind es nie gewagt, auch nur den Schein eines Verdachtes auf die sittliche Makellosigkeit eines Mannes zu werfen, der Amt und Würden um seiner Ueberzeugung willen ausgeschlagen und ohne Vermögen für sich und die Seinen in harter Arbeit sein Brod suchte, während Niemand Zweifel darüber hatte, daß Wissen und Talent ihn für die höchsten Staatsstellen berufen sollten. –

Die Versammlung begann schon ungeduldig zu werden, als Eduard Wiggers, Advocat in Rendsburg, der Sprecher der Holsteiner Abgeordneten, von lautem Beifall begrüßt, auf der Rednerbühne erschien. Er hatte sich, ich weiß nicht ob absichtlich, jedenfalls aber mit richtigem Takt das letzte Wort vorbehalten, denn er wollte und konnte ja nicht in einer Sache mitdebattiren, die von dem übrigen Deutschland allein ausgemacht werden mußte. Aber sprechen wollte er, um Zeugniß abzulegen von den Wünschen, Absichten und Gesinnungen des verlassenen Bruderstammes. Und das hat er redlich gethan. „Die Zeit verrinnt und das Herz ist mir schwer, ich will mich bemühen, so kurz und ruhig zu sein, als es mir die Zeit und die Stunde erlaubt“ – so begann er seine Rede. Ich glaubte es gern, daß dem Manne das Herz schwer war, und ich begriff es auch, daß es ihm nicht gelang, „ruhig“ zu sein. Zu Hause fahndeten die Dänen auf ihn, weil er auch nicht hatte „ruhig“ bleiben können, und nun stand er hier, um Kunde zu bringen von dem, was vom deutschen Volke denn wohl zu hoffen sei für eine Sache, für die er vor 15 Jahren schon sein Leben in der Schlacht gewagt und der er jetzt zum zweiten Mal seine Existenz und, wenn es sein mußte, sein Leben zu opfern entschlossen war. Er wußte, in welcher qualvollen Ungewißheit er sein Land verlassen hatte, er wußte, wie dort die Gemüther Aller taumelten unter den wechselnden Eindrücken von Furcht und Hoffnung, von Jubel und Verzweiflung, von entschlossenem Wagen und bangem Verzagen, und er wußte auch, was Land und Volk gelitten, denn ihm selbst hatte ja zwölf Jahre lang der Grimm über das dänische Joch am Herzen gefressen. Ich habe Eduard Wiggers schon im August auf dem Abgeordnetentage sprechen hören und ich wußte, daß er zwar das Zeug zum Reden hat, daß er aber noch kein fertiger Redner ist. Und doch hat mich am 21. Decbr. kein Redner so erschüttert, als dieser Mann, dem das heftig pochende Herz ein wunderbar treues Spiegelbild von der Lage der Herzogthümer auf die Zunge legte. Aus seinen Worten klagte wirklich der verlassene Bruderstamm im Uebermaß seiner Verzweiflung. Wie in Holstein vor dem Einmarsch der Bundestruppen in aller fürchterlichen Bedrängniß und Ungewißheit nur Eins gewiß war: daß das Land von dem schmachvollen dänischen Joche frei werden und bei Deutschland bleiben wolle, so beherrschte auch Eduard Wiggers in seiner Rede nur dieser eine Gedanke. Was

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