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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Eine auf- und niedertauchende Insel.

Im mittelländischen Meere bereitet sich zur Zeit ein Phänomen vor, welches die allgemeine Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich zieht, und zu dessen näherer Beobachtung zahlreiche naturwissenschaftliche Wallfahrten in’s Werk gesetzt werden. Eine neue Insel ist im Begriff sich zu bilden. Mitten aus dem Wasser heraus wächst der Grund des Meeres, so daß er in kurzer Zeit über den Spiegel hervorragen wird. Die Stelle, wo dies geschieht, liegt in der Straße zwischen Sicilien und der afrikanischen Küste, und wird auf der Karte ziemlich genau durch den Mittelpunkt der Verbindungslinie bezeichnet, welchen man zwischen der sicilianischen Stadt Sciacca und der kleinen Insel Pantellaria ziehen kann.

Wenn man die Verhältnisse jener Gegend kennt, so weiß man, daß diese ein großes vulcanisches Gebiet darstellt, welches im Norden Siciliens durch die liparischen Inseln, mit dem ewig brennenden Stromboli und der Insel Ustica, im Osten durch den altehrwürdigen Aetna, im Süden durch die schon genannte Insel Pantellaria begrenzt wird, deren Fundament aus lauter Laven und vulcanischen Schlacken gegründet ist. Die Südwestküste Siciliens mit den reichen Schwefellagern Girgenti’s und den um Sciacca zahllos entsprudelnden heißen Quellen giebt den sprechendsten Beweis, daß auch hier, wie im Norden und Osten, die Aeußerungen der gewaltigen unterirdischen Kräfte ihre Endschaft noch nicht erreicht haben. Nur treten sie für gewöhnlich nicht so großartig zu Tage wie dort. Die Decke, welche im Laufe der Zeit sich über ihren Heerd gespannt hat, hat die Verbindungscanäle mit dem Innern, wo die Gluth die Lava in ewigem Fluß erhält, geschlossen, während wir in dem weithinab reichenden Kraterschlund des Stromboli die feurig geschmolzene Masse in fortwährend auf- und absteigender Bewegung erblicken, und durch die wenn auch seltenen Ergüsse des Aetna erinnert werden, daß das große Sicherheitsventil der Insel Sicilien ihr Bestehen in statu quo garantirt. Allein so fest sich auch scheinbar im Südwesten Siciliens der Boden über das feurige Innere gebildet hat, er vermag doch nicht immer den entstehenden Spannungen das Gleichgewicht zu halten. Wenn dieselben ihn auch nicht jedesmal zu zersprengen vermögen, so können sie doch Auftreibungen und blasenförmige Anschwellungen an der Oberfläche bewirken. Zwischen Sciacca und Pantellaria nun steigt jetzt eine Erdblase so rasch empor, daß in kurzer Zeit die Geographen ihre Karten des mittelländischen Meeres wieder werden ändern müssen, wieder, weil es genau an dieser Stelle schon früher und, wie es scheint, zu wiederholten Malen eine Insel gab, die abwechselnd in das Meer versank und wieder emportauchte.

Unter den Schiffern Malta’s lebt eine Tradition von dem früheren Bestehen eines solchen Eilandes, dasselbe findet sich auch auf alten Karten verzeichnet; noch andere Nachrichten erzählen, daß auch zu Anfang des letzten Jahrhunderts hier eine Insel gestanden habe. Alle diese Berichte haben aber für uns ein weit geringeres Interesse als diejenigen, welche sich auf ein Ereigniß zu Anfang der dreißiger Jahre beziehen, weil die Vorgänge von damals gewissermaßen das Programm aufstellen, nach dem das jetzt erwartete Phänomen verlaufen wird.

Man hatte zu jener Zeit keine andere Meinung, als daß das Meer zwischen Pantellaria und Sciacca eine durchschnittliche Tiefe von 5 – 600 Fuß habe. Messungen in den zwanziger Jahren hatten dies bestätigt, und nur östlich von der Linie eine weniger tiefe Stelle, die Bank Nerita, wahrnehmen lassen, auf welcher seit langer Zeit trapanische Schiffer Korallen zu fischen pflegten. Da erblickte am 8. Juli 1831 der Führer der sicilianischen Brigantine H. Gustavo, Namens Francesco Trefiletti, welcher am 6. Juli Malta verlassen hatte und sich auf der Fahrt nach Palermo befand, über jener Tiefe ein eigenthümliches Schauspiel. Bald nach Mittag nämlich bemerkte er in dritthalb (engl.) Meilen Entfernung und nordwestlich von dem Schiffe eine große sich erhebende Wassermasse, auf welche er lossteuerre, um sich zu überzeugen, ob er auch richtig sehe. Als er der Erscheinung bis auf drei Viertelmeilen sich genähert hatte, vernahm er ein donnerähnliches Getöse. Gleich darauf stieg ein schwärzlich gefärbter Wassersprudel empor bis auf eine Höhe von mehr als 80 Fuß und von einer Breite ansehnlicher, als die eines Linienschiffes. Nach etwa zehn Minuten sank das Wasser, dafür aber entwickelte sich aus ihm eine dicke Rauchmasse, welche den ganzen Horizont einhüllte. Alle Viertel- bis halbe Stunden wiederholte sich der Ausbruch; die Erschütterung des Wassers war auf dem Schiffe bemerkbar, und auf der Oberfläche schwammen zahlreiche todte und sterbende Fische.

In Sciacca, der oben erwähnten nächstgelegenen sicilianischen Stadt, wußte man von dem Ereignisse noch nichts, ein trüber Horizont verhüllte die Aussicht auf das Meer. Erst am 12. Juli sah man eine große Menge kleiner Lava- und Bimssteinstückchen auf dem Wasser schwimmen; die Fischer, welche in See gingen, mußten sich weiter hinaus selbst mit dem Ruder durch sie Platz machen. Mit nicht geringerer Verwunderung begegneten sie einer Menge frisch getödteter großer Fische, von denen sie viele aufsammelten und nach Sciacca zum Verkauf brachten. Niemand konnte sich die Ursache erklären, bis man am 13. Juli früh von der Küste aus am Meereshorizonte eine hoch aufsteigende Rauchsäule gewahrte, in welcher sich, als es dunkel wurde, Feuererscheinungen zeigten. Jetzt wurde es Gewißheit, daß sich ein neuer Vulcan im Meere gebildet habe.

Zu derselben Zeit befand sich der berühmte, leider bald darauf inmitten seiner jugendlichen Kraft verstorbene deutsche Geognost Friedrich Hoffmann, dessen classischen Berichten wir diese Thatsachen entnehmen, auf einer wissenschaftlichen Reise durch Italien. Er empfing die Nachrichten von den wunderbaren Ereignissen in Palermo und reiste augenblicklich mit seinen Gefährten ab, um die Erscheinung genauer zu erforschen. Am 20. Juli kam er in Sciacca an. Zwar hatte er schon viele Meilen vorher auf der höher gelegenen Landstraße die Rauchsäule im Meere bemerkt, an der Küste fand er die Schlackenstückchen, welche den feinen Sand des Strandes mit einer dicken Schicht bedeckten, aber keiner von den Schiffern getraute sich, die Gesellschaft zu der merkwürdigen Stelle selbst zu führen.

Die Bevölkerung der Stadt versammelte sich in den kühlen Abendstunden auf der frei gegen das Meer gelegenen Terrasse, welche das Piano di San Domenico bildet, und die Blicke nach der von Feuer durchzuckten Rauchsäule gerichtet, horchten sie in ahnungsvoller Stille nach dem herüberschallenden Donner, dessen Rollen oft eine Viertelstunde und darüber anzuhalten pflegte. Die Unbequemlichkeiten einer kleinen Seereise zu unternehmen, um sich über die Beschaffenheit der Vorgänge am Ausbruchsorte zu unterrichten, oder auch nur die Neugierde über einen Gegenstand zu befriedigen, über den so unendlich viel geschwatzt wurde, dazu fühlte sich Niemand angeregt. Endlich gelang es den deutschen Forschern, einen jener kleinen Küstenfahrer, Schifazzi genannt, zu miethen, welche von den muthigen Trapanesen geführt werden, und am 24. Nachmittags erreichten sie den Ort, wo die Rauchsäule dem Meere entstieg. Mit Erstaunen erblickten sie hier eine neue Insel, plötzlich aus dem Meere emporgewachsen, deren Umfang sie bei genauerer Untersuchung auf 3000 Fuß, und deren höchste Höhe auf 60 Fuß schätzten. Ununterbrochen erhoben sich aus ihr ungeheure Dampfmassen, die in große Kugeln geballt mit Heftigkeit emporwirbelten und durch ihr im Sonnenschein fast blendend weißes Ansehen den in tausendfältigen Abstufungen durcheinanderwogenden Dunstmassen etwas ungemein Malerisches gaben.

„Prachtvoll entfalteten sich,“ schreibt Hoffmann, „geräuschlos hervorgleitend diese Nebel wie große Schneemassen oder wie Ballen frischer Baumwolle übereinander gehäuft und bildeten locker aneinander gekettet die riesengroße Säule, welche ununterbrochen den Ort ihrer Entstehung bezeichnete. In Zeitabständen von zwei und drei Minuten fuhren durch die glänzend weiße Hauptmasse, mehr oder minder hoch, schwarze Schlackenwürfe. Die durcheinander getriebenen Dampfwolken ballten sich heftiger und schienen in sehr ansehnlicher Breite bis zur Oberfläche des Meeres wieder herabzurollen. Verschwunden war die Insel, und die aufwallende Wasserfläche schien mit den stürmisch durcheinander rollenden Dämpfen und den Schlackenwürfen in ununterbrochenem Zusammenhange, bis die Bewegung des Windes sie wieder auseinander brachte.

Majestätisch erhob sich dann wieder die lichte Rauchsäule wohl bis zu 2000 Fuß in den blauen Himmelsraum, und schon war die Rede davon, das kleine Boot auszusetzen, um die frischaufgetauchte Küste dieser neuen Schöpfung zu betreten, an welcher die Wogen sanft und gleichmäßig brandeten. Da änderte sich plötzlich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_092.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)