Seite:Die Gartenlaube (1864) 091.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Bedaure sehr,“ war die Antwort.

„Nun denn in Gottes Namen, auch in Ketten! Es muß in Innsbruck doch anders werden!“

Und so marschirte ich, zusammengeschlossen mit dem Sträfling, ich die Kette an der Hand, er am Fuß, von Schöneberg nach Innsbruck, einen Gensd’arm vor uns, einen hinter uns, und einen an jeder Seite; allerdings zu nicht geringem Erstaunen der Menschen, die uns begegneten. Unmittelbar vor der Stadt ging ein Mann an uns vorüber, den einer der Gensd’armen grüßte und dann gegen seinen Cameraden mit Namen nannte. Beim Klang dieses Namens erinnerte ich mich, daß ich ihn auf der Reise schon gehört, ja – daß ich einen Auftrag an ihn hatte. Im Salzkammergut nämlich hatte sich eines Tags ein Reisender zu uns gesellt, der sich als einen Mönch (ich glaube aus Kloster Admont) zu erkennen gab. Er botanisirte, und da ich mich auch um die Alpenflora bekümmerte und zugleich etwas mineralogisirte, so waren wir bald näher bekannt worden, so daß es ihm sehr bitter ankam, uns nicht auf der weitern Wanderung begleiten zu können. Beim Abschied aber bat er mich, wenn ich nach Innsbruck käme, seinen Bruder, der dort Regierungsrath wäre, zu besuchen und herzlich zu grüßen. Dazu schrieb er mir ein paar Worte an ihn mit seinem Namen auf ein Zettelchen, und wir sagten uns herzlich und schmerzlich Lebewohl. Dies Zettelchen fiel mir jetzt ein, und daß ich es in meine Westentasche gesteckt hatte. Wunder über Wunder! es war allen Polizeidurchsuchungen entgangen und stak noch darin. Ich bat sogleich einen der Gensd’armen, den Hrn. Regierungsrath – ich finde leider seinen Namen in meinem Gedächtniß nicht mehr, und die Tagebücher der Reise bis Clausen, worin er stand, habe ich nie zurückerhalten – zu fragen, ob ich ihn sprechen könne. Ich sah deutlich die verneinende Miene des Regierungsrathes, worauf ich ihm den Zettel seines Bruders durch den Gensd’arm einhändigen ließ. Darauf stutzte der Mann, sah mich einen Augenblick an und kehrte rasch um, nach der Stadt zurück, ohne ein Wort an mich zu richten.

Er war aber offenbar nach der Polizei gegangen und hatte dort Anordnungen bewirkt, die ich sogleich wahrnehmen sollte. Es kam mir nämlich schon im Vorsaal des Polizeiamtes ein Cominissär entgegen, ließ mir sogleich die Kette abnehmen, begleitete mich unter vielen Entschuldigungen mißbrauchter Gewalt der Unterbehörden in ein ziemlich elegant eingerichtetes Zimmer und frug nach meinen besondern Wünschen. Für ein gutes Abendessen wurde Sorge getragen, ein ordentliches Bett stand bereit, und die Bestimmung meiner Abreise wurde mir freigestellt. Ich hatte zunächst zwei Wünsche: erstlich, zu wissen, aus welcher Ursache meine Reise die erlebte Störung erfahren, sodann am Morgen das Grabmal Kaiser Maximilian’s sehen zu dürfen.

„In Betreff Ihrer ersten Bitte thut es mir sehr leid,“ sagte der Commissär, „aus eigner Unkunde die Antwort schuldig bleiben zu müssen. Ihre Verhaftung ist „auf höheren Befehl“ erfolgt – so steht’s im Act – weiter weiß ich nichts. Die zweite Bitte bin ich leider eben so wenig im Stande zu erfüllen. Sie dürfen das Haus nur verlassen, um weiter zu reisen, und zwar an die bayrische Grenze. Es wird morgen früh ein Wagen bereit sein, Sie in Gesellschaft eines Polizeibeamten in Civil bis an die Scharnitz zu führen; dort wird man Ihnen Ihre Reiseeffecten einhändigen und Sie vollkommen in Freiheit setzen.“

Nach Allem, was ich in den letzten Tagen erduldet, und gegenüber einer völlig unnahbaren Macht, mußte ich meine neue Lage beneidenswerth finden, wenn mir auch dabei kein Verlangen aufstieg, eine zweite Reise nach Tyrol zu machen. Der Commissär hielt Wort, ein anständiger Reisewagen mit einem anständigen Begleiter brachte mich nach der Scharnitz. Hier erhielt ich nebst meiner Freiheit meinen Reisebündel, aber ohne meine Tagebücher und statt meines preußischen Ministerialpasses einen von der Innsbrucker Polizei ausgefertigten. Den mir damit gespielten perfiden Streich zu pariren, war mir unmöglich gemacht, da mein polizeilicher Begleiter natürlich nichts anders geben konnte, als was ihm für mich übergeben war, und so mußte ich, mit dem Verdacht behaftet, legitimationslos in Tyrol gewesen zu sein, die bayrische Grenze überschreiten.

Ich hatte indessen nicht viel Zeit und Kraft zum Nachdenken mehr. Ich fühlte mich ziemlich schwach, und in Mittenwald zeigten sich deutlich die ersten Zeichen der Krankheit, die ich mir auf der Fahrt über den Brenner geholt. Zu Fuß, das sah ich, konnte ich die Reise nicht fortsetzen, ebensowenig die Erschütterung im Wagen aushalten. Da boten sich Flößer an, mich mit nach München zu nehmen, und so schwamm ich denn auf der lieblichen Isar der bayrischen Hauptstadt zu. Bereits war ich so kraftlos, daß mir bei der Ankunft die Füße versagten, und meine mitleidigen Flößer hoben mich von ihrem Fahrzeug und trugen mich in das Wirthshaus von Bögner im Thal, wo ich gastliche Ausnahme fand, unter der Aufregung des eintretenden Fiebers aber nicht dazu kommen konnte, mich meiner wiedererlangten Freiheit zu freuen und von den dargebotenen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten Gebrauch zu machen.

Ich weiß nicht, wie meine Ankunft bekannt oder besprochen worden sein mag. Kurz, ich erfuhr während der zwei Monate, die ich schwer krank in München lag, die größte Theilnahme von Jung und Alt, selbst von den bedeutendsten Männern der Münchener Gelehrtenwelt. Ja, ein junger Maler aus Hamburg nahm mich gastfreundlich in seine Wohnung auf. Endlich um Jahresschluß, im harten Winter und tiefen Schnee, trat ich meine Rückreise nach Berlin zu Fuß an. Heute noch ist mir unbegreiflich, wie ich’s ohne Nachtheil für meine Gesundheit zu Stande gebracht habe!

In Berlin machte mein Erlebniß einiges Aufsehn. Minister v. Altenstein lud mich zu sich und ließ sich ausführlichen Bericht erstatten. Das auswärtige Ministerium nahm sich meiner an. Es verlangte Auskunft in Wien, zu wiederholten Malen, und erhielt immer dieselbe Antwort, man werde Erkundigungen einziehen. Nie aber ist eine erklärende Antwort erfolgt, und nachdem ich im Jahre 1823 Berlin verlassen, ist wohl nie wieder davon die Rede gewesen, um so weniger, als man damals in Preußen die studirende Jugend kaum anders behandelte, als in Oesterreich.

Inzwischen sollte ich doch noch, wenn auch spät, einen Aufschluß erhalten, der freilich den Vorgang nicht erbaulicher erscheinen läßt. Im Jahre 1826, auf meiner ersten Reise in Italien, traf ich unvermuthet, in den Uffizien zu Florenz, mit meinem alten Freunde, Franz Colloredo, wieder zusammen. Ich hatte ihm nicht geschrieben, er mir nicht, um jeder Verdächtigung durch Spione und Angeber den Weg zu verlegen, und so war dies Wiedersehen die erste Berührung nach der Trennung in Clausen. Unsere gegenseitige Freude war groß, und wir saßen bald bei einer Flasche Aleatico traulich beisammen. Natürlich kam sogleich unser Abenteuer zur Sprache. Er hatte von meiner Mißhandlung nur oberflächliche Kunde, von meinen oder vielmehr den preußischen Bemühungen um Aufklärung der Sache gar keine. „Weißt Du denn,“ frug ich, „den Zusammenhang?“

„Wohl weiß ich ihn,“ antwortete er, „und die Geschichte ist infam genug. Erinnerst Du Dich des Linzer Gensd’arm am Krimler Wasserfall? Der gehört schon hinein. Entsinnst Du Dich der Hindernisse, die der Linzer Polizei-Commissär meiner Weiterreise in den Weg gelegt? Der – hat uns auf dem ganzen Wege verfolgt und Schlingen gelegt. Dieser Polizei-Commissär war Jäger bei meinem Vater und wurde wegen Diebereien von diesem mit der Peitsche aus dem Hause gejagt. Da hat er meinem Vater Rache geschworen, ist zur Polizei gegangen, hat sich als Spitzel anwerben lassen und ist bald wegen seiner Verdienste mit dem Polizeicommissariat Linz belohnt worden. Ich bin ihm wie gefunden in die Hände gefallen; Du als deutscher Student gabst die bequemste Handhabe zu Verdächtigungen. Um zu verhindern, daß Du mich verleitetest, mit Dir zu den Revolutionären nach Neapel zu gehen, erließ er den Befehl, uns aufzuheben, und hat sich damit in Wien besonders schön und breit gemacht. So hängt die Geschichte zusammen.“

„Ich gestehe,“ sagte ich, „die Auflösung übertrifft das Räthsel an Unfaßlichkeit, und wärst Du’s nicht, ich könnte es kaum glauben. Nun aber liegt’s hinter uns, ich bin gesund; die Begebenheit hat mich – was ich Dir ein ander Mal erzählen will – aus der Bücherwelt in die Künstlerlaufbahn getragen; ich bin hundertfältig beglückt und im nächsten Monat tausendfältig selig – vor dem Altar! Und nun laß uns heitern Muthes vergangener Leiden gedenken!“

Seitdem ist wieder manches Jahr vergangen, doch meine denkwürdige Lustreise durch’s Tyrol lebt noch ungebleicht in meinem Gedächtniß. Hoffen wir, daß für keinen unserer Leser je ähnliche Spaziergänge im Buch des Schicksals und der – Polizei verzeichnet stehen!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_091.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)