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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Nach wenigen Secunden trat ein hoher, junger Mann ein und blieb, einen raschen, ordnenden Strich durch das reiche blonde Haar thuend, der Anrede wartend, an der Thür stehen.

„Herr Meier wünscht seine Stellung zu verändern,“ sagte der Kaufherr in kühler Ruhe; „er wird heute Abend noch das Geschäft verlassen, und so wollen Sie vorläufig seine Bücher übernehmen, auch das bis heute fällige Salair auszahlen.“

Das Gesicht des jungen Mannes hob sich in sichtlicher Ueberraschung und drehte sich zweimal von dem Prinzipal nach dem Entlassenen und wieder zurück. „Herr Meier?“ fragte er dann, als wolle er sich erst Sicherheit über das Gehörte verschaffen.

„Ja, Herr Meier!“ erwiderte Hellmuth einfach, seinen früheren Platz wieder einnehmend. „Senden Sie mir Willmann, und wenn Sie mit der Uebernahme fertig sind, erwarte ich Sie selbst wieder hier.“

Meier hatte während der kurzen Verhandlung keine Miene verzogen. Jetzt verbeugte er sich steif. „Sie haben es selbst gewollt, Herr Hellmuth, mag es Ihnen nicht zum Unsegen ausschlagen!“ sagte er und wandte mit hochgehobenem Kopfe, von dem jungen Manne gefolgt, sich nach dem Ausgange.

Als sich die Thür schloß, trat Hellmuth von seinem Sitze herunter und machte einen raschen Gang durch das elegant ausgestattete Arbeits-Cabinet. Eine schwere, düstere Wolke zog über seine Stirn, aber er schien an sich selbst zu arbeiten, um klaren Geist zu gewinnen, und als die kleine Gestalt des alten kahlköpfigen Comptoirdieners eintrat, konnte er sich wieder mit der freien Würde, die seine Erscheinung vorher gekennzeichnet, nach diesem wenden. „Ich möchte eine Auskunft von Ihnen haben, Willmann,“ sagte er, stehen bleibend, „und Sie werden mir diese ohne jedes Bedenken, nach Ihrem besten Gewissen geben. Haben Sie irgend ein näheres Verhältniß zwischen Herrn Gruber und einer meiner Töchter bemerkt? Ich frage Sie, weil Sie fast mehr zur Familie als zum Comptoir gehören und die Mädchen Vertrauen zu Ihnen haben. Antworten Sie ohne Scheu, ich verlange nur eine Information!“

Die Augen des Kleinen hatten plötzlich wunderlich zu blinzeln begonnen, und der Mund zog sich wie krampfhaft in die verschiedensten Richtungen; dem Geschäftsherrn aber schienen dies seiner Miene nach bekannte Erscheinungen zu sein, die überdies auch nur einige Secunden währten; dann erwiderte der Befragte in respektvollem Tone: „Ich weiß nur, daß die lieben Fräulein sehr freundlich gegen Herrn Gruber sind, den man ja auch kaum anders behandeln kann; etwas Weiteres ist mir noch nicht vor die Augen gekommen.“

„Aber Sie haben Ihre Grimassen geschnitten, Willmann,“ sagte Hellmuth mit schärferem Blicke, „an die Sie nicht denken, wenn Sie nicht etwas aufregt. Ich will meine Frage bestimmter fassen. Haben Sie nicht Ursache, zu glauben, daß Herr Gruber sein Auge auf Anna geworfen hat und von dieser nicht gerade zurückgewiesen wird?“

„Ich kann versichern, Herr Hellmuth,“ entgegnete der Kleine jetzt eifrig, ohne daß ein Muskel in seinem Gesichte zuckte, „daß mir nicht das Geringste davon bekannt ist, daß Herr Gruber im Gegentheil oft ärgerlich wird, wenn ihm Fräulein Anna zu Zeiten die Wahrheit sagt.“

Hellmuth nickte, während von Neuem eine Wolke über seine Stirn ging. „Ich darf Ihnen nicht erst sagen, daß Sie über meine Fragen schweigen,“ sagte er nach einer Pause des Sinnens; „aber hier ist noch etwas anderes Geschäftliches. Seit zwei Tagen logirt im Hôtel Français ein Fremder, der sich Maçon nennt und über dessen Persönlichkeit wie hauptsächlich über seine Absichten in hiesiger Stadt ich etwas zu erfahren wünschte. Er soll auffällig sonngebräunt sein. Jedenfalls muß er, da er fremd hier ist, sich nach Dingen erkundigt haben, die auf den Zweck seiner Anwesenheit schließen lassen. Sie sind gewandt, Willmann, und so sehen Sie noch heute Abend, was Sie erfahren können.“

Das Oeffnen der Thür unterbrach ihn. „Durch einen Lohnbedienten, welcher auf Antwort wartet!“ sagte der eintretende junge Commis, einen Brief auf das Schreibepult legend und sich dann wieder entfernend, und Hellmuth löste rasch das Couvert, den ersten Blick auf die Unterschrift des entfalteten Schreibens werfend. Ein rascher, wenn auch nur leichter Farbenwechsel machte sich in seinem Gesichte bemerkbar; dann überflog er hastig die Zeilen und wandte sich darauf, hörbar seine Stimme zu ihrer gewöhnlichen Haltung zwingend, an den wartenden Comptoirdiener. „Es ist nicht nöthig, Willmann, daß Sie meinen letzten Auftrag ausführen, die Sache erledigt sich hiermit von selbst!“ Als aber der Diener sich entfernt, begann er nochmals den erhaltenen Brief Wort für Wort, als wolle er in jedem derselben einen geheimen Sinn auffinden, langsam zu durchlesen, und doch lautete derselbe einfach: „In der Beilage, verehrter Herr, erlaube ich mir einige Zeilen des Ihnen geschäftlich befreundeten französischen Consuls in Hamburg zu meiner Einführung zu überreichen und um Ihre freundliche Bestimmung zu bitten, zu welcher Zeit ich Ihnen meine Aufwartung machen darf.  Adolphe Maçon.“

Mit gleicher Sorgfalt durchlas er das beigelegte geschlossene Blatt, welches nichts als einen Empfehlungsbrief in gewöhnlicher Form enthielt, ergriff dann die Feder und schrieb flüchtig:

„Ich würde sehr glücklich sein, wenn Mons. A. Maçon morgen um vier Uhr sein Diner im Kreise meiner Familie einnehmen wollte,“

siegelte das Billet rasch und gab es dann zur Weiterbeförderung in das anstoßende Comptoir hinaus. „Das wird so auf jeden Fall offenes klares Spiel!“ murmelte er, als er seinen Platz wieder eingenommen hatte und die Stirn in beide Hände stützte; „mag dann auch kommen, was da wolle; Meier wird gewußt haben, was er that, aber so ohne Weiteres richtet man selbst im schlimmsten Falle nicht die Früchte eines zwanzigjährigen Fleißes zu Grunde!“

Eine geraume Weile saß er in tiefem Nachdenken, bis der junge Mann, welchem die Ablohnung Meier’s übertragen worden, die Thür des Cabinets wieder öffnete. „Legen Sie mir den letzten Special-Abschluß des Geschäfts auf mein Pult, Herr Gruber,“ sagte er, sich erhebend, „ich habe später noch zu arbeiten!“ und wie mit einem bestimmten Gedanken fertig, verließ er das Zimmer.

(Fortsetzung folgt.)




„Sie gehen nach Amerika.“

Es war im großen politischen Blüthen- und Kränzejahre 1863, gerade in den Tagen der deutschen bundesfürstlichen Wiederverherrlichung der schwarz-roth-goldnen Fahnen, als ich mit meinem Freunde L., einem ebenso lebensfrohen als patriotischen Künstler, von Mainz aus den Rhein hinabfuhr.

In Frankfurt tagten die Kronen und die Nation. Die Fürsten des Bundes, den Kaiser an der Spitze, hatten selbst die Sessel ihrer bisherigen Vertreter eingenommen und legten die hohen Hände an das Werk der Neubelebung des deutschen Reichs. Und unweit von ihnen saßen die Vertreter der Völker des Reichs zu ernstem Rath beisammen. Auch ihnen galt ein Theil des deutschen Fahnenschmucks, den die alte Kaiserwahl-, Parlaments- und Bundesstadt angelegt hatte. – Solche Gelegenheit verabsäumten auch die Rheinschiffe nicht, die alten schwarz-roth-goldnen Flaggen wieder hervorzuholen und aufzuhissen, und eine solche flatterte auch stolz auf unserem Dampfer. Wunderbare, schicksalreiche Farben, – und noch so jung, so jung! Ein Königsritt versprach ihre Erhebung zum höchsten Thron, und eine Kaiserfahrt stürzte sie in’s Verderben. Sie besiegten vom Land aus die Feindesflotte (Eckernförde!), und von der deutschen Flotte herabgerissen legten sie sich mit dem Admiral in’s Grab. Und nun sind sie wiedererstanden, und wieder wehten sie einem Kaiser entgegen – Gott beschütze sie vor abermaligem Untergang!

Was mir aber jene Fahrt so unvergeßlich machte, war nicht der deutsche Flaggenschmuck des Schiffs, sondern ein Auswandererzug, der auf dem Vorderdeck sein Lager aufgeschlagen hatte: deutsche Auswanderer – auf dem grünen Rhein, zwischen der lachendsten Herrlichkeit der ganzen deutschen Erde! Der Gedanke schon hat Kraft genug, jedem ehrlichen deutschen Mann das Auge zu trüben; aber der Anblick selbst macht doch noch empfindlicheres Herzweh.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_084.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)