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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

schritt er aus dem Zimmer, es dem eintretenden Conducteur überlassend, der Dame nach ihm in den Wagen zu helfen.

Von Neuem rollten die Passagiere, in den entfernten Ecken von einander sitzend, vorwärts, und von Neuem herrschte eine Zeit lang das frühere Schweigen. Da klang es endlich, als der Weg fühlbar besser wurde, von der Seite des Mädchens: „Ich will nicht fürchten, Sie in irgend einer Weise beleidigt zu haben.“

„Bitte unterthänigst!“ gab der junge Mann kalt zurück, „wenn ein Verstoß begangen worden ist, kann es nur von mir aus geschehen sein; ich vergesse immer noch zu oft, daß ich in Deutschland bin!“

Kein weiteres Wort erfolgte. Bald rasselten die Räder auf der harten Chaussee, und nach kaum einer Stunde wurde das Pflaster der beginnenden Residenz sichtbar. Die Pferde bogen endlich in das Gitterthor des Posthofes ein, und als der Conducteur den Kutschenschlag öffnete, erschien eine kleine, kahlköpfige Gestalt davor. „Fräulein Anna hier?“

„Ah, Willmann!“ rief das Mädchen lebendig, „ist sonst noch Jemand mit Ihnen?“

„Der Herr Papa waren zu sehr beschäftigt, aber der Wagen hält am Ausgange!“ war die Antwort, und die Angeredete beeilte sich, mit einem kurzen „Nochmals meinen Dank!“ sich gegen ihren Begleiter verneigend, den Raum zu verlassen.

Der junge Mann war ihr nachgestiegen, sah die graziöse Gestalt seiner Reisegefährtin von dem sie Erwartenden, der augenscheinlich eine Art Hausdiener vorstellte, sorgsam nach einer vor dem Gitter haltenden Equipage geleitet, dann diesen zurückkehren und einige kleine Gepäckstücke in Empfang nehmen. „So, so!“ murmelte er, als die Equipage mit dem Diener auf dem Bocke neben dem Kutscher davonrollte, „das war ein Irrthum, wenn ich auch kaum wußte, für was ich sie eigentlich nehmen sollte. Jedenfalls ein Paar prachtvolle, echt deutsche Augen! – Kannten Sie die Dame, welche mit uns ankam?“ fragte er den mit dem Ausräumen des Gepäckes beschäftigten Conducteur.

„Bedauere,“ sagte dieser, die Achseln zuckend.




2.

„Ich möchte Herrn Hellmuth um ein paar Minuten Gehör bitten!“

Der alte stattliche Mann, welcher auf einem hochbeinigen, bequemen Lehnstuhl vor einem eleganten Schreibpulte saß und in eine Berechnung vertieft gewesen zu sein schien, hob den grünseidenen Schirm von der Lampe vor sich und blickte dann in das hellbeschienene Gesicht des Sprechers. Es mußte etwas in dem Tone der wenigen Worte gelegen haben, welches dem Angeredeten, dem ganzen Ausdrucke seines Gesichtes nach, aufgefallen war. „Was ist es, Herr Meier?“ fragte er nach einem kurzen Blick in das hagere, von graugemischtem Haare beschattete Gesicht des vor ihm Stehenden; „wenn nichts von besonderer geschäftlicher Wichtigkeit, so bitte ich Sie, mich jetzt nicht zu unterbrechen und mir das Nöthige morgen früh zu sagen.“

Ein eigenthümliches, unangenehmes Lächeln trat um den breiten eingetrockneten Mund des Andern. „Es wäre doch gut, wenn Herr Hellmuth mich noch heute anhörten,“ erwiderte er, die hinter dem Ohre steckende Feder fester schiebend, „morgen früh – wer kann sich immer auf das Morgen verlassen!“

Der Principal hob aufmerksam den Kopf und ließ, die Augenbrauen leicht zusammenziehend, zwei Secunden lang den scharfen Blick in den grauen Augen vor ihm ruhen, die sichtlich bemüht waren, den seinen Stand zu halten. „Was ist es?“ wiederholte er dann; „die Manier ist etwas sonderbar, Herr Meier, die Sie seit Kurzem mir gegenüber angenommen haben!“

„Ich bin immer aufrichtig und gebe mich so, wie es mir um’s Herz ist,“ war die trockene, nur von einer leichten Neigung des Kopfes begleitete Erwiderung. „Sie wissen, Herr Hellmuth, daß ich der Aelteste im Geschäft bin – nicht nur dem Alter nach, denn ich war der Erste, der hier überhaupt servirte, und es sind jetzt über zwanzig Jahre her, daß ich an demselben Pulte stehe!“

„Und wenn ich das weiß, was folgt daraus?“ fragte der Angeredete mit noch aufmerksamer werdendem Gesichte. „Sind Sie mit Ihrem Gehalte unzufrieden?“

„Das zu sagen hätte wohl Zeit bis morgen früh gehabt!“ gab der alte Commis mit seinem früheren, halb sardonischen Lächeln zurück. „Es ist mehr als dies. Trotz meiner langjährigen treuen Dienstzeit haben Sie den jungen Herrn Gruber, der kaum länger als fünf Jahr hier arbeitet, zu Ihrem Disponenten und Vertreter gemacht; mich berührt dies durchaus nicht um der Eitelkeit willen, denn ich besitze, Gott sei Dank, das Wenigste davon – indessen steht der junge Herr in einer Beziehung zu der Fräulein Tochter Anna, woraus sich erkennen läßt, daß auch die Zeit nicht mehr fern ist, in welcher er als stiller Theilhaber in die Firma Hellmuth u. Co. eintritt – und hier, Herr Principal, wird mein eigenes Interesse berührt. Wenn Jemand das Recht zu einer Teilhaberschaft hat, so ist es der alte Meier, der seine Kräfte in dem Geschäfte aufgerieben hat und ein sorgenloses Alter verlangt – ja seine Sicherstellung in dieser Beziehung noch heute Abend verlangt, Herr Hellmuth!“

Die Augen des Geschäftsherrn, mit jedem der letzten Worte größer geworden, hafteten, wie um ein kaum lösbares Räthsel zu ergründen, in dem Gesichte des Sprechenden, das jetzt mit völlig steifen Zügen, den trockenen Mund eng geschlossen, mit einer Art ruhigen Trotzes den Blick des Principals aushielt.

„Sagen Sie mir doch, Herr Meier,“ begann dieser nach einer Weile langsam, wie unsicher über die zu wählenden Worte, „Sie haben doch nun so manches Jahr sich als klarer, nüchterner Kopf gezeigt, und so werden Sie auch wohl jetzt überlegt haben, welchen Schritt Sie mit diesem eigenthümlichen Auftreten mir gegenüber gethan haben, – werden wissen, daß allein nur unser langjähriges Zusammenarbeiten mich zu Nachsicht gegen eine Sprache und Weise bewegen kann, die vielleicht einzig in einem Verhältnisse, wie das unsere, dasteht. Welches Recht haben Sie denn für eine Forderung, wie die gestellte?“

„Welches Recht?“ wiederholte Meier, ohne sein steifes Gesicht, in welchem er seine Festigkeit zu finden schien, aufzugeben; „ich könnte Ihnen das mit sehr kurzen Worten sagen – ich will Ihnen aber etwas Anderes erzählen, das Ihnen zeigen dürfte, wie wenig es gut gethan ist, mit allen Freunden und Mitarbeitern in so hohem Tone zu sprechen. – Es logirt seit vorgestern im Hôtel français ein junger Fremder, der sich Maçon, auf deutsch Maurer, nennt, von den französischen Inseln kommt und ein wirklicher Deutscher ist, so braun er auch von der Sonne aussieht, der sich bereits angelegentlich nach der Firma Hellmuth und Compagnie erkundigt hat und seinem Vater Zug für Zug ähnlich ist. – Sie entsinnen sich doch des Herrn Maurer, Herr Hellmuth?“ setzte er mit einem noch unangenehmeren Lächeln, als bisher, hinzu; „mir wenigstens steht er noch wie gestern vor Augen.“

Eine leichte Blässe hatte sich plötzlich über das Gesicht des Geschäftsherrn gebreitet, einen Moment lang blickten seine Augen starr in das Gesicht des Sprechenden; eben so schnell aber schien er auch seine frühere Ruhe zurückerlangt zu haben. „Und was hat dieser Herr Maçon oder Maurer mit Ihrer Forderung zu thun?“ fragte er.

Das Auge des Andern schien bis in die Seele des vor ihm Sitzenden dringen zu wollen. „Nichts, Herr Hellmuth, als daß ich selbst nur alle Eintragungen in die Bücher besorgt habe, ehe das Geschäft unter der jetzigen Firma mit neuen Büchern begann, daß alle Zahlen noch sehr deutlich vor meiner Erinnerung stehen, und daß ich wohl noch der einzige lebende Zeuge aus jener Zeit bin, den man nicht mit der Frage: welches Recht haben Sie für Ihre Forderung? abspeist, sondern den man selbst, aus einfacher Klugheits-Rücksicht, zum interessirten Theile macht.“

„Und wenn ich das, nicht aus Klugheits-Rücksichten, sondern aus Rechtlichkeit nicht thue, Herr Meier?“

„Sie haben allerdings Ihren freien Willen,“ erwiderte der Andere mit einem Kopfneigen, als wolle er den Ausdruck seines Gesichts verbergen; „nur werden Sie begreifen, Herr Hellmuth, daß ich, unter den bewandten Umständen, noch heute das Geschäft verlassen müßte. Ich bin, wie Sie ganz richtig voraussetzten, völlig auf die Folgen meines Schrittes vorbereitet – und so schmerzlich diese auch sein mögen, so werden Sie doch selbst die Nothwendigkeit erkennen, daß ein Mann in meinem Alter sieht, wo er einmal bleibt!“

„Ich begreife Sie vollkommen, Herr Meier!“ nickte Hellmuth, während sich ein leichtes nervöses Zucken in seinen Mundwinkeln geltend machte. Dann erhob er sich langsam und öffnete die mit grünseidenen Gardinen verhangene Glasthür. „Herr Gruber!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_083.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)