Seite:Die Gartenlaube (1864) 082.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

mich wohl für längere Zeit dort aufzuhalten, bin aber so fremd im lieben Deutschland, welches doch eigentlich meine Heimath ist, daß selbst kleine Notizen mir einen Anhalt geben würden. Sie zählen vielleicht einzelne Bekanntschaften in den Familien der kaufmännischen Welt, Fräulein?“

„Ich glaube kaum, daß ich Ihren Wünschen genügen könnte, in welche Kreise sich auch meine Bekanntschaften erstrecken möchten!“ war die in einem Tone der Zurückhaltung erfolgende Antwort.

„Aber, Fräulein, wollten wir denn nicht plaudern, und ist dabei der nächste Stoff nicht der beste?“

„Ich entsinne mich nicht, daß ich irgend ein Versprechen abgegeben hätte!“ erwiderte sie wie verletzt durch die leichte, freie Weise des Reisegefährten.

Er schwieg, und erst nach einer Weile begann er in völlig verändertem, respectvollem Tone wieder: „Habe ich einen Verstoß begangen, so bitte ich, mir zu verzeihen, Fräulein; ich war so glücklich, angenehme Reisegesellschaft gefunden zu haben, daß ich vielleicht die deutsche Umgangsform verletzte.“ – Vergebens aber wartete er auf eine Gegenäußerung; sie schien ihre früher beobachtete Haltung behaupten zu wollen, und gleichfalls schweigend lehnte er sich wieder zurück.

Draußen hatte es nach einiger Zeit leicht zu sprühen begonnen; endlich schlugen schwerere Regentropfen, vom Winde getrieben, durch die offenen Fenster der Wagenthür in den innern Raum. Kaum aber hatte das Mädchen eine unruhige Bewegung gemacht, als ihr Begleiter auch schon rasch aus seiner geschützten Ecke sich erhob und das Fenster an ihrer Seite schloß. Nur ein kaum vernehmbarer Dank wurde ihm, und wortlos ging die Reise weiter. Immer schwieriger aber schien dem langsamen Fortbewegen des Wagens nach die Straße zu werden. Die aufmunternden Rufe des Postillons und einzelne Bemerkungen des Conducteurs wurden hörbar. Eine Zeitlang wiegte sich der Wagen wie ein Schiff auf bewegter See; plötzlich aber bog er sich so jäh zur Seite, daß das Mädchen mit einem halblauten Schreckensrufe von seinem Sitze auffuhr; im nächsten Augenblicke indessen stand das Gefährt still, und ein lauter Fluch des Conducteurs deutete ein besonderes Ereigniß an. Ein scharfes Anfeuern der Pferde, begleitet von dem Knallen der Peitsche, ließ sich jetzt vernehmen, aber der Wagen stand wie an den Boden geschmiedet in seiner schiefen Stellung, und der junge Mann steckte endlich, trotz des Regens, den Kopf zum Fenster hinaus. „Was ist es, Conducteur?“

„Der Teufel mag diesen Weg holen!“ klang es zurück; „wir sind in ein Loch neben der Straße gerathen, aber hier soll einmal Jemand trotz der Laterne die Straße erkennen. Die Herrschaften werden wohl aussteigen müssen. Es ist nur funfzig Schritte bis zur Schenkwirthschaft, dort wo das Licht scheint, wo ich auch Hülfe zu bekommen hoffe; aber es ist kein Fuhrwerk dort, sonst würde ich es herbeiholen!“

Das Auge des Reisenden hatte sich bei dem Worte „aussteigen“ auf den von der Wagenlaterne beschienenen Boden gerichtet, der aber nirgends etwas Anderes als eine gleichförmige Fläche von Schlamm zeigte. „Wie tief ist denn der See hier, ehe man festen Grund gewinnt?“ fragte er nach einer kurzen Pause mit durchklingendem Humor.

„O, es ist nicht so schlimm, wie es aussieht, und das Wenig Schmutz an den Füßen ist bald wieder beseitigt; nur für schwere Wagen hat der Satansboden bei Regenwetter seinen Haken!“ tönte die Rückantwort, und der junge Mann wandte sich nach seiner Reisegefährtin.

„Wir sitzen fest, Fräulein, und sollen durch ein Meer von Schlamm nach dem Wirthshaus dort drüben gehen, damit der Wagen wieder flott gemacht werden kann. Wollen Sie sich indessen einem Manne von Ehre anvertrauen, so bringe ich Sie trocknen Fußes hinüber!“

„Ich danke Ihnen, ich fürchte etwas Schmutz nicht!“ sagte sie, fast wie erschrocken sich erhebend; im gleichen Augenblick öffnete der Conducteur die Thür an dem hochstehenden Theile des Wagens, und als wolle sie jeder neuen Diensterbietung ausweichen, machte sie sich hastig zum Aussteigen fertig. Sobald sie aber die trostlose Aussicht auf die verschwundene Straße gewann und der Regen in ihr Gesicht schlug, wich sie einen halben Schritt zurück.

Ihr Reisegefährte trat indessen rasch an ihr vorüber und stieg vorsichtig in’s Freie hinaus. „Ist nicht etwa wieder ein Loch bis zu dem Hause dort?“ wandte er sich an den Conducteur, der bis über die Knöchel in dem aufgeweichten Boden stand und eben eine kleine Laterne anzündete.

„Ohne Sorge, meine Herrschaften, ich gehe voran; folgen Sie mir nur Schritt für Schritt, sobald Sie bereit sind!“

„Nun, Fräulein, Sie können hier nicht durch, und ich hoffe, Sie zieren sich nicht unnöthig,“ wandte sich der Reisende in einem Tone, der kaum einen Widerspruch zuzulassen schien, nach dem Mädchen zurück; „bitte, nehmen Sie meinen Ueberwurf um sich, Ihre Kleidung verträgt den Regen nicht, und vertrauen Sie sich dann ruhig meinen Armen – der Conducteur wartet!“

Sie antwortete nicht, aber trat wie in einem energischen Entschlusse auf den Wagentritt heraus, hier dennoch ihren Schritt wieder zögernd anhaltend. Er indessen hatte ohne ferneres Wort sich seines weiten Ueberrocks entledigt, legte diesen rasch um ihre Schultern und nahm sie dann, leicht wie ein Kind, in seine Arme. Ein Beben schien bei seiner Berührung durch ihren ganzen Körper zu gehen, und einen Moment war es, als wolle sie sich der aufgedrungenen Maßregel entziehen, er schien aber kaum ihre Bewegung zu fühlen. „ Vorwärts, Conducteur, damit wir in’s Trockene kommen!“ rief er, „und Sie, Fräulein, legen Sie Ihre Arme um meinen Hals, damit ich sichere Haltung in diesem schlüpfrigen Boden gewinne – wir stehen einmal jetzt unter dem Gesetz der Nothwendigkeit!“ und wie überwunden von ihrer Lage und seiner Bestimmtheit brachte sie ihre Hände über seine Schultern, sich damit einen festen Halt an ihm gebend.

Schritt für Schritt den Boden prüfend, dem sorgsam voranleuchtenden Conducteur nach, ward der Weg bis zu dem unweit stehenden Hause zurückgelegt, und auf der Schwelle der offenen Thür setzte der Reisende seine Last vorsichtig und discret nieder; der Conducteur hatte bereits die Thür des Zimmers geöffnet, und der Lichtschein fiel in das völlig bleiche Mädchengesicht, das außer seiner Formenfeinheit kaum etwas Anziehendes gehabt hätte, wäre ihm nicht durch ein Paar große langbewimperte Augen ein eigenthümlicher Reiz verliehen worden. Der junge Mann hatte ihr rasch seinen Ueberwurf abgenommen und deutete schweigend nach dem offenen Zimmer; da schoß indessen ein lebendiges Roth in ihre Wangen, der Ausdruck eines leichten, inneren Kampfes malte sich einen Moment in ihren Zügen, die in ihrer jetzigen Belebung einen ganz neuen Charakter von Reiz und Lieblichkeit gewannen, dann streckte sie ihm die Hand entgegen und sagte mit einem leisen Beben ihrer Stimme: „Ich bin Ihnen zu vollem Danke verpflichtet, mein Herr!“

Er berührte nur leicht ihre Finger. „Ich habe nichts gethan, als was sich von selbst verstand, Fräulein!“ erwiderte er; in seinem Tone aber lag eine Gehaltenheit, als wolle er in der bisher erlittenen Zurückweisung jetzt selbst verharren, und als er sie nach der von Gästen leeren Stube geleitet, wo sie nach kurzem Umblick einen der hölzernen Stühle am Fenster einnahm, wandte er sich nach dem Conducteur, welcher mit dem Wirthe und einem zweiten Manne bereits im lebhaften Gespräche stand. „Erhalten wir Hülfe?“ fragte er. „Wenn ein paar Thaler, auf die Hebebäume gelegt, schneller aus dem Loche helfen, so sollen sie da sein!“

„Ich denke’s schon!“’ lachte der Wirth, „es soll nicht gar zu lange dauern, ich kenne die Stelle. Damit sind Sie indessen über das Schlimmste weg und nach einer guten halben Stunde haben Sie die Chaussee.“

Und als die Drei eilig davongingen, folgte ihnen der Reisende, als sei er völlig allein, langsam bis zur Hausthür, von wo er in dem scharf sich abzeichnenden Lichtkreise der Wagenlaterne die Arbeiten zur Hebung des Wagens beobachtete, und erst, als dieser nach einer mühseligen Anstrengung der angepeitschten Pferde sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, wandte er sich nach dem Mädchen im Zimmer zurück. „Wir werden in der nächsten Minute einsteigen können, wenn Sie sich bereit machen wollen!“ sagte er kühl, und sie wandte rasch den Kopf, die tiefdunkeln blauen Augen wie in scheuem Forschen über sein verändertes Wesen in sein Gesicht richtend. Er aber schien es kaum zu bemerken und nur dem Geräusche des herankommenden Gefährts zu horchen. „Da ist der Wagen, und wenn der Wirth Recht hat, so haben wir nichts weiter zu fürchten,“ fuhr er nach einer Pause fort, „ich bitte um Entschuldigung, wenn ich ohne Weiteres vorangehe; die Straße hat indessen zu viele Andenken an mir hinterlassen, als daß ich beim Nachfolgen damit Ihre Kleider in Gefahr bringen möchte.“ Und als jetzt vor dem Hause Peitschenknall laut wurde,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_082.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)