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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)


an welchem Tage gegenwärtiger Bericht abgefaßt wurde, herrscht übrigens hier in England die größte Ruhe; wir hoffen auch ferner auf Frieden und Ruhe, weil der jetzige große Schrecken bei den Feinden der Königin und Ihrer Majestät nicht ohne Wirkung bleiben, und den Fürsten und Herzögen eine Mahnung sein wird, nicht von Gott und der Gerechtigkeit abzuweichen, wenngleich sie auch in dieser Welt sich vor der Furcht der Strafe befreit glauben sollten. — So weit der Bericht.

Wir haben nur noch hinzuzufügen, daß die Königin Elisabeth den Wunsch der Hingerichteten, bei ihrer Mutter in Frankreich begraben zu werden, nicht erfüllt hat. Nach Verlauf von sechs Monaten, Donnerstag den 1. August 1587, wurde die Leiche endlich mit einem königlichen Ceremoniel in der Kathedrale von Peterborough, dem Grabe Katharinens gegenüber, beigesetzt. Zweiundzwanzig Jahre später ließ ihr Sohn, Jakob VI., den Leichnam nach London bringen und in Heinrich’s II. Capelle beisetzen. Ihr prachtvolles Monument daselbst in der Westminster-Abtei ist auch in deutschen Reisewerken schon öfters abgebildet worden.




Aus den Landen des verlassenen Bruderstammes.
1. Ein Besuch in Rendsburg.


Rendsburg ist meine liebste Stadt zwischen Elbe und Königsau. Ich liebe Rendsburg in seiner Geschichte, in seiner Lage, in seiner charakteristischen Altstadt, in seinen Bürgern. Rendsburg liegt gerade in der Mitte Schleswig-Holsteins; es ist der Knoten in der Vertheidigungslinie der Eider, die natürliche Brücke von Holstein nach Schleswig. In Rendsburg und seiner Umgegend, welche keinesweges von der Natur so begünstigt ist, wie die üppigen Districte des Ostens, wohnt mit der edelste Theil der Ureinwohner des Landes, der Kern des nordalbingischen Sachsenstammes. Von diesem zwischen Eider und Stör gelegenen Theile Holsteins, welcher heute das Amt Rendsburg umfaßt, gingen die großen und historischen Ereignisse des Landes aus. Bei diesem energischen und kräftigen Menschenschlage fand Karl der Große auf seinen verheerenden Raub- und Eroberungszügen den kräftigsten Widerstand. Von hier aus wurden die Dänen nach dem Norden, die Wenden nach dem Osten zurückgeworfen; die Heldenschaar, mit der Gerhard der Große das dänische Reich unterwarf, war aus der Gegend zwischen Eider und Stör.

Seit uralter Zeit war die Eiderinsel, auf der Rendsburg liegt, befestigt. Sie führte den Namen Reinoldesburg. Als Stadt trat Rendsburg mächtig unter den Städten der Herzogthümer hervor unter dem großen Grafen Gerhard, der in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts lebte. Christian der Fünfte erweiterte den Ort auf seine heutige, doppelte Größe, und schuf ihn zu einer Festung um. Und von jeher haben sich die Bewohner von Rendsburg durch ihre kräftige Energie, durch ihre patriotische Gesinnung, durch seltenes, gesundes Urtheil, durch geistiges Leben und edle Bildung ausgezeichnet.

Rendsburg war immer und zu allen Zeiten ein Fels des Landes. An seiner kernigen und muthigen Bürgerschaft brach sich die Macht der Schweden im dreißigjährigen Kriege. Und diese Stadt wurde im Jahre 1851 mit ihren Kriegsvorräthen, welche für eine Armee von 50,000 Mann ausreichen, mit ihrem Feld- und Belagerungsgeschütz so schmählich den Dänen ohne Schwertstreich, ohne Schuß geopfert! — Sie zerstörten alle nach dem Norden gelegenen Festungswerke, bauten zwischen Altstadt und Neustadt die Forts, welche sie zum Hohn Deutschlands „Südjütlands- Brückenkopf“ nannten, und machten sie zu einem Bollwerk dänischer Herrschaft gegen die deutsche Nation. Aber auch rund um die Stadt herum wohnt ein gar gediegener und tüchtiger Bauernstand, ein Bauernstand, der sich durch aufgeweckten, gesunden Verstand, durch seltene Intelligenz, durch kräftigen Unternehmungsgeist, durch gemeinnützige Gesinnung, durch wahrhaft deutschen Sinn auszeichnet. Hier liegen die alten, großen und historischen Dörfer des Landes.

Es sind nun zwei Jahre, daß ich zum letzten Male in Rendsburg war. Die Stadt lag damals voll von dänischen Truppen; dänische Beamten und dänische Polizei unterdrückten alle bürgerliche und individuelle Freiheit. In der Presse knebelte die dänische Regierung die Freiheit des Gedankens und die öffentliche Meinung. Das nationale, deutsche Bewußtsein der Bürger sollte dem Dänenthum weichen. Aber die Energie und die Zähigkeit der Bevölkerung waren stärker, als alle Anstrengungen des dänischen Regierungsmechanismus. Wie ehemals in der Lombardei, wie heute noch in Venetien, setzten Alle einmüthig den Dänen den zähesten Widerstand entgegen. Den Dänen öffnete sich kein deutsches Haus, noch weit weniger ein deutsches Herz. In keiner Gesellschaft hatten die dänischen Beamten und Officiere Zutritt; zu keinem Feste, zu keinem Balle wurden sie geladen; man sprach nicht mit ihnen, man grüßte sie nicht, man saß nicht mit ihnen im Gasthause an demselben Tische. Sie lebten einsam, wie in einer menschenleeren Wüste, nur auf den Umgang mit sich selbst und mit ihren Familien angewiesen. Wer diesen Bann brach, den man um die Dänen gezogen, der war selbst von der ganzen Gesellschaft ausgestoßen. Verachtet ging er ebenso einsam umher. Zwölf Jahre haben die Rendsburger Bürger diesen Widerstand mit einer seltenen Consequenz und Ausdauer durchgesetzt, mit einer zähen Energie, um welche die Lombarden in Mailand und Brescia sie hätten beneiden können. Jetzt sah ich Rendsburg wieder, das von der dänischen Herrschaft befreite Rendsburg. Ich hatte die Heerstraße zu meiner Reise benutzt. Alle Häuser waren mit deutschen und schleswig-holsteinischen Fahnen geschmückt, in den Straßen erklang das Schleswig-Holsteinlied, vor der Hauptwache am Paradeplatze und auf „Südjütlands-Brückenkopf“ wehten die Fahnen Schleswig-Holsteins und des gemeinsamen, großen deutschen Vaterlandes fröhlich im Morgenwinde. Und als ich Morgens erwachte, da hörte ich auf dem Paradeplatze die Signale sächsischer Hörner und deutsche Commandoworte: „Gewehr auf, Marsch, Marsch!“ und eine sächsische Jägercompagnie zog vorüber, um die Stellung an der Schleußenbrücke und an den Schanzen zu besetzen. Und ein lieber Freund, der Advocat Fischer, trat zu mir in die Stube und sagte: „Wollen wir nicht einen Gang durch Rendsburg machen? Vor zwei Jahren habe ich Sie auch durch die Stadt geführt. Damals war es anders. Heute sollen Sie Rendsburg ohne Dänen sehen.“

„Ja,“ rief ich. „Vor zwei Jahren war es an einem warmen und heitern Sommertage, heute liegt eine dichte Schneedecke und ein grauer Nebel über der Stadt; aber das Herz ist ebenso heiter und fröhlich, wie es damals traurig war.“

Und aus der casernenhaft und regelmäßig gebauten Neustadt gingen wir durch die herrliche Allee von Ulmen und Linden über den Jungfernstieg nach der noch im mittelalterlichen Styl aufgebauten Altstadt. Zu beiden Seiten des Weges goß sich in weiter Fläche die Eider aus. Den Wasserspiegel bedeckte heute eine schimmernde Eisdecke. Auf dem Jungfernstieg waren bei einigen prächtigen Bäumen die Krone und ein Theil der Aeste abgeschlagen; manche trugen die Spuren von Axthieben auch an den Stämmen; drüben auf der anderen Seite des Wassers war eine lange Reihe herrlicher Ulmen in ähnlicher Weise verunstaltet. Eine prächtige Trauerweide, welche vor zwei Jahren weit über den Wasserspiegel hinabhing, fehlte heute ganz. „Wer hat denn diese prächtigen Bäume in so barbarischer Weise verunstaltet? wo ist denn die schöne Trauerweide geblieben, welche ich damals so bewunderte?“ fragte ich, erstaunt über diese Verwüstung, meinen Freund.

„Glauben Sie,“ erwiderte er, „daß diese Barbarei Jemand anders begangen haben kann, als die Dänen? Es fiel ihnen plötzlich ein, daß die Altstadt zu Schleswig gehöre, und sie hatten die Absicht, Rendsburg nur bis „Südjütlands-Brückenkopf“ zu räumen, der, wie Sie sehen, dort am Ende der Promenade des Jungfernstieges die Altstadt von der Neustadt trennt. Hinter den Forts dort wollten sie sich festsetzen und sämmtliche Bäume hier auf der Promenade niederhauen, um für ihre Kanonen freien Spielraum zu haben, wenn die Sachsen durch die Neustadt heranzögen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_075.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2021)