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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

um zu erfahren, ob er wirklich im Anzuge sei; das zwecklose Wachestehen am Verhau und die Versäumniß dringender Arbeit war den Leuten verleidet. Der alte Vetter kam vom Dorfe her mit der Nachricht, das französische Piket sei schon im Anmarsch, den Walchensee entlang – das entschied, denn die Verstärkung und Ablösung war damit nahe.

„Ich hab’ auch eine Neuigkeit, Ihr Leut’,“ rief jetzt Lipp, indem er das schweigende, nicht widerstrebende Mädchen an sich zog, „… ich lad’ Euch zum Stuhlfest ein – da steht meine Hochzeiterin!“

„Ist’s wahr?“ rief der alte Vetter freudig und trat zu Sabine, indeß auch unter den Bauern sich eine allgemeine Bewegung der Theilnahme kund gab. „Ist’s wirklich wahr? Nun schau, das ist ein gescheidter Gedanke, daß Du die Flausen und die Faxen aufgegeben hast vom Ledigbleiben! Aber wie ist denn das nur so ’kommen in der Geschwindigkeit?“

„Wie wird’s gegangen sein!“ rief Lipp, dem daran lag, das todesbleich in seinen Armen bebende Mädchen nicht zum Worte kommen zu lassen. „Wie so was halt allemal geht! Die Madel zieren sich Alle am Anfang – jetzt ist sie doch eigens herunter von der Alm, um mir zu sagen, daß sie nit leben kann ohne mich …“

Ein Schuß krachte vom Verhau herüber, und wildes Geschrei begleitete ihn. „Sie kommen!“ hieß es. „Sie sind da! Die Tiroler kommen!“ Auch von der Straße hörte man Büchsenknall und das wirre Geschrei einer anrückenden Menge. Mit wildem Sausen stürmten die Bauern auf den Verhau, nur Lipp sah ihnen, ruhig stehen bleibend, nach.

„Was wartest Du?“ rief ihm Sabine zu. „Gehst Du nit mit den Andern in’s Gefecht?“

„Eilt mir nit,“ antwortete er. „Die Andern werden mit den Tirolern wohl auch ohne mich fertig … ich geh’ mit Dir zurück in’s Dorf …“

„Mit mir? Ich will nit in’s Dorf – hier ist mein Geschäft!“

„Nichts da!“ rief Lipp und faßte sie am Arm. „Nichts hast Du hier zu schaffen – Du gehst mit mir – und das auf der Stelle!“

„Ich geh’ nit,“ rief Sabine, indem sie sich loszumachen suchte … „nit eher, bis ich ihn befreit habe! Jetzt, in dem Getümmel, ist der beste Augenblick dazu! … Lipp, laß mich los!“ schrie sie auf, als er nicht abließ, sie fortzuziehn und sie sogar um die Mitte faßte. „… Bedenk’, was Du mir versprochen hast!“

„Wer weiß was davon?“ rief er mit höhnischem Lachen. „Wer will mich zwingen, daß ich’s halt’? Du bist jetzt doch mein vor allen Leuten, Du kannst nit mehr zurück ohne Schand’ und Spott …“

„Ich kann’s und ich will’s …“ rief die verzweifelt, doch umsonst Widerstrebende. Er aber zerrte sie fort. „Das wollen wir doch sehn, Du Wildfang, Du unbändiger …“ schrie er, „ich will Dich schon zahm machen …!“

Da krachten die Breter der Kohlhüttenthüre zertrümmert zu Boden, und auf der Schwelle stand der Vomper-Hans, – einen Prügel in dem hochgehobenen Arm, sprang er den Beiden mit einem Satze nach und ließ ihn auf den Kopf des Burschen niedersausen, daß dieser lautlos und plump zusammenstürzte.

Sabine stand verwirrt, als faßte sie nicht, was geschehen.

„Ich bin frei,“ rief ihr Hans zu, „frei, Madel – und ich bin’s durch Dich! Ich sag’ Dir Vergelt’s-Gott und Behüt’-Gott zu gleicher Zeit! … O, Madel,“ fuhr er nähertretend mit herzlichem Tone fort … „vielleicht wär’s besser gewesen, wenn ich Dich niemals gesehn hätt’ – aber ich kann’s nit wünschen, ich hab’ Dich ja so gern – so gern wie ich noch Niemand gehabt hab’, so lang’ ich leb’ … und ich muß Dir’s sagen, gerad’ jetzt, in dem Augenblick, wo wir auseinandergehn auf Nimmerwiedersehn …“

Das Mädchen fand hochaufathmend noch immer kein Wort der Erwiderung, aber sie widerstrebte nicht, als er sie in seine Arme zog und fest an sich preßte.

Ihre Lippen vereinigten sich wie willenlos zum langen, innigen Kusse.

Jetzt ließ er sie los, raffte Lipp’s Gewehr vom Boden auf und entsprang gegen den Wald.

„Nit dort hinaus!“ rief Sabine ihm angstvoll nach. „Dort ist die Straße … rechts in das Dickicht …“

„B’hüt’ Dich Gott tausendmal!“ rief er zurück. „Dort sind meine Landsleut’ … dort ist mein Platz!“

Er verschwand. Sabine sank an einem Baumstamme nieder, hinter dem Lipp, noch immer ohne Lebenszeichen, lag. Wie aus weiter Entfernung, mit einer Ohnmacht ringend, vernahm sie das Geschrei der Streitenden und das Krachen der Gewehre, denn drüben am Verhau war ein wüthender Kampf entbrannt. Ein Gebet auf den Lippen, knickte sie zusammen – ein Gebet, das mehr dem Feinde galt, als den Landsleuten und dem einst so geliebten Todten.

Als sie zu sich kam, war das Kampfgetümmel verstummt: als ob, wie sonst, nur die heimischen Bewohner des Waldes in sorgloser Lust unter ihnen gespielt hätten, so friedlich und grün hoben die Tannen über ihr die Wipfel in das Himmelsblau – um sie herum blühten Blumen und duftete das Moos, als habe es frischen Thau und nicht eben Blut getrunken.

Das Gefecht hatte sich rasch entschieden: die zuerst wüthend anstürmenden Tiroler mußten sich zurückziehen, als die erwartete Abtheilung französischer Soldaten eintraf, welche zu beiden Seiten des Verhaus mit gefälltem Bajonnet vordrangen und sie im Rücken zu fassen suchten. Die Bauern waren mit einigen Verwundungen davongekommen – die Tiroler hatten nur einen Todten zurückgelassen. Es war der Vomper-Hans.

Muthig hatte er sich zwischen die Streitenden geworfen, und in dem Bestreben, Frieden zu stiften, war ihm eine Kugel mitten durch’s Herz gegangen.

Der Körper blieb unbeachtet im Grase des Waldrandes liegen, bis Abends Leute kamen und ihn nach Walchensee hinuntertrugen, um ihn neben dem kleinen Kirchlein hart an der Kirchhofwand zu verscharren.

Lange kniete Sabine stumm und thränenlos neben dem Todten. Seitwärts am Walde saß der alte Vetter, ohne sie zu stören, zu fragen oder anzureden: in dem warmen Herzen des Greises dämmerte die Ahnung dessen, was in ihr vorging. Abends trat er hinzu und forderte sie mit liebevollen Worten auf, ihm in das Dorf zu folgen. Sie folgte schweigend.

Am Eingange der Schlucht hielt sie an. „Ich hab’ noch ein kleines Geschäft, Vetter,“ sagte sie, „wart’t auf mich, nur einen Augenblick …“ Sie ging tief in das Gestein, suchte den verschleuderten Tannenkranz und hängte ihn über das Gemälde. –

Lipp kam wieder auf, aber er mied die Gegend am Walchensee und ist im fernen Ungarn verschollen.

Dreiundfünfzig Jahre haben dort die Erinnerung an diese Ereignisse vollständig ausgelöscht. – Sabine blieb bei dem Alten, bis er starb, dann bei seinem Sohne und dessen Kindern, ein stiller, nützlicher, von Allen geliebter Hausgenosse; kaum den Lebenden angehörig, mit Gedanken und Wunsch den Todten zugeneigt, für deren Heil sie betete ohne Unterlaß.

Als die Greisin zu ihnen versammelt wurde, prangte auf ihrem Sarge das Ehrenkränzlein der Jungfräulichkeit. – Auf ihre Bitte ward er ihr nicht mit in die Grube gegeben, sondern von freundlicher Hand über dem Täfelchen aufgehangen.

Er ist lange verdorrt und zerstäubt – auch das Marterl ist verwittert und unkenntlich geworden – nur unter den Betkorallen hat sich der fromme Spruch erhalten und mahnt den Vorübergehenden, wie flüchtig die Stunde ist.




Ein Leipziger Wirth als Volksprediger.
Deutsches Kneipenbild.


Wer zu Gast nach Leipzig kommt und im „Leipziger Tageblatt“ oder in der „Mitteldeutschen Volkszeitung“ unter den Vergnügungs-Ankündigungen auch eine liest, vielleicht des Inhalts:

„Hôtel de Saxe. Vortrag: 1) Heer- und Wehrpredigt. 2) Gesänge mit Waldhorn-Quartett-Begleitung. 3) Neueste Nachrichten. – Anfang ½8 Uhr. Entrée 2½ Ngr. Ludwig Würkert.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_068.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)