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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

dem Jäger einen Schlag gegeben … wohin, weiß ich nit … aber er hat meinen Hals losgelassen im Augenblick, hat als wie damisch (betäubt) ein paar Torkeler gemacht und ist rücklings hinuntergetaumelt über’s Gewänd …“

Erzähler und Hörerin schwiegen … „Du sieh’st,“ begann er nach einer Weile wieder, „mein Willen ist es nit gewesen … und wenn ich auch nit auf rechten Wegen gegangen bin … ich hab’s in der Verzweiflung gethan … ich hab’ mich nur wehren wollen …“

Sabine weinte und winkte ihm mit der Hand, zu schweigen; er aber fuhr fort. „Du meinst, es wär’ schon genug?“ sagte er, „aber nein – Du mußt jetzt Alles hören … Du weißt wohl, wie’s geschehen ist, aber nit, was ich ausgestanden hab’ dafür! – Am andern Morgen hab’ ich mein’ Dienst aufgesagt und bin zurück nach Tirol … ich hab’ keinen Stutzen mehr angerührt, sondern Tag und Nacht als Bauernknecht gearbeit’ … bei meiner alten Mutter und für sie … ich hab’ es mir selber aufgethan als Buß … Aber es hat nit geholfen! Ich hab’ keine Ruh’ mehr gehabt – und keine rechte Freud’ … jede Nacht hab’ ich den Jäger im Schlaf geseh’n – ich hab’s geseh’n, wie er stürzt, und hab’ ihn aufhalten wollen und hab’s nit gekonnt – und wie ich hab’ müssen flüchtig geh’n, bin ich diesen Weg herauf … ich hab’ beten wollen an dem Ort … es ist mir gewesen, als wenn mich was bei den Haaren hätt’ und hätt’ mich hergezogen … ich hab’ gehofft, ich könnt’ meine Ruh wieder finden – und ich hab’ mich ja auch nit geirrt: ich hab’ ja Alles gefunden, was ich gewollt hab’ … und noch mehr dazu …“

Sabine weinte still … „Mir ist das Herz zum Zerspringen schwer und voll,“ seufzte sie, „und doch ist es mir ein Trost, daß Du nit so schuldig bist, wie’s den Anschein gehabt hat!“

„Der Schein betrügt,“ erwiderte Hans, „ich hab’s ja auch an Dir erfahren, Madel – Du bist auch nit so hart vom Gemüth, wie Du Dich angestellt hast, und wenn Du mich auch verrathen und ausgeliefert hast … jetzt, wo Du so neben mir sitzest in meinem Gefängniß und bist so gut und herzig mit mir, jetzt weiß ich doch, daß Du nit die Unwahrheit geredt hast, wie ich Dich gefragt hab’, ob Du mir gut wärst – und ob es Dir leid that, wenn sie mich fangen und fortführen zum Erschießen …“

Das Mädchen erwiderte nichts; aber sie duldete, daß er näher rückte, und als er ihre Hand ergriff, entzog sie ihm dieselbe nicht, nachdem ein schwacher Versuch dazu an seinem Widerstande gescheitert war.

„Laß mir Deine Hand …“ sagte er innig . .. „Der arme Bursch, der durch mich hat zu Grund gehen müssen, wird Dir nit bös sein, wenn er vom Himmel herunter schaut und sieht Deine Hand in der meinigen liegen – er wird nit bös sein, wenn Du mir verzeihst, und wiederholst, was Du mir doch schon einmal gesagt hast … Der Todte wird nit eifern mit dem Lebendigen, der ihm bald nachfolgen wird … Thu’s, Madel, Du machst mir den letzten Gang noch einmal so leicht …“

Wie sich plötzlich besinnend sprang Sabine auf. „Nein,“ rief sie, „nein – Du sollst nit sterben – ich will Deinen Tod nicht auf meinem Gewissen haben, unser Herrgott allein soll richten unter uns … Du mußt fort …“

„Fort? Wie wär’ das möglich? Bin ich nicht gefangen und von allen Seiten bewacht?“

Geräusch von Fußtritten und Stimmen tönte herein und unterbrach das Gespräch.

„Du mußt fort,“ flüsterte Sabine, „ich mach’ daß es möglich wird … Sei still … ich komm’ wieder … in einer Viertelstund …“

Sie schlüpfte aus der Hütte und war eilig daran, die Stricke an der Thüre zum Scheine wieder zu verknüpfen. Eben war sie damit zu Ende, als Lipp um die Ecke trat und vor ihr stand, sie mit finstern Blicken musternd und messend. „Du bist da?“ sagte er, „hat’s Dich gar nimmer gelitten droben auf Deiner Alm?

Schaust nach, ob Dein Arrestant wohl verwahrt ist? Sorg’ Dich nit, Binl – der kommt nimmer aus, dafür laß mich sorgen – Du weißt ja, ich hab’s versprochen, daß ich Dir helfen will! … Aber was ist denn das?“ fuhr er auf, als er näher tretend einen Blick auf den Verband an der Thüre geworfen hatte. „Der Strick ist ja wie aufgezogen! … Hoho Madel, steht’s so? Jetzt weiß ich, wie viel’s bei Dir geschlagen hat … Du hast hinein gewollt zu dem Mörder? Es reut Dich wohl gar, was Du gethan hast, und Du willst ihm durchhelfen?“

„Und wenn ich’s wollt’?“ erwiderte sie, sich zusammenraffend und fest. „Ich leugne nichts … ja, ich war bei ihm in der Hütten – ich hab’s hören müssen, wie’s genau zugegangen ist, selbiges Mal am Margarethentag …“

„So? Und jetzt weißt Du’s?“ fragte Lipp lauernd. „Und bist wohl noch wüthiger wie zuvor?“

„Nein,“ sagte sie mit einigem Zögern, „mein Sinn ist mir umgewendt … ich will nit mehr haben, daß er zu Grund geh’n soll …“

Lipp lachte auf; der Zug von Rohheit in seinem Gesichte trat immer unverhohlener hervor. „Was man nit Alles erlebt!“ rief er. „Und warum denn, wenn man fragen darf? Wie ist denn das so schnell ’kommen?“

„… Es ist unchristlich … ich will Alles unserm Herrgott anheim geben – ich will sein Leben nit auf meinem Gewissen haben!“

„Bah … ich nehm’s auf das meinige!“

„Ich will nit, sag’ ich, es ist mein Gefangener – ich hab’ ihn Dir übergeben!“

„Nu ja – eben weil Du ihn mir übergeben hast, ist er mein und soll’s bleiben! Frag’ die Bauern, ob sie den Spion, den Rebellen, den Mörder laufen lassen wollen. Und wenn sie wollten … er soll nit fort, er soll keinen Fuß aus der Hütten, setzen, bis die Franzosen da sind und ihn abholen! So will ich’s haben, und ich weiß warum!“

„Und warum? Rede!“

Lipp sah die Entrüstete höhnisch an. „Warum?“ entgegnete er. „Weil ich besser als Du selber weiß, was in Dir vorgeht … weil ich Deine Gedanken errath’, als wenn Du ein gläsernes Fensterl auf der Brust hätt’st! Weil Du Deinem Verlöbniß untreu geworden bist – weil der fremde Landfahrer Dir gefallen hat, wenn Du auch gesagt hast, Du kannst kein Mannsbild mehr gern haben, das wär’ gar nimmer in Dir! … Du hast gesagt, Du willst mich nit und auch keinen Andern nit … Du hast Dein Wort nit gehalten, desto besser will ich das meinige halten und sorgen, daß kein Anderer Dich kriegt!“

Sabine hatte die Hände vor das erröthende Antlitz geschlagen „Gern haben?“ murmelte sie. „Ich? Den Mörder von meinem …“

„Von Deinem Schatz!“ ergänzte Lipp. „Es ist freilich sonderbar, aber Du hast in Allem eine besondere Weis’ … bei Dir schlagt die Hitz leicht um wie die Kält’ …“

„… So ist es nit …“ stammelte sie, „ich hab’ nur Erbarmniß mit ihm …“

„Erbarmniß?“ rief Lipp noch höhnischer und schwieg, die Blicke fest auf das Mädchen geheftet und unverkennbar über einem Gedanken brütend. „Zeig’ mir, daß es nur das ist,“ sagte er dann rasch – „beweis mir’s, und ich will Dir beisteh’n und will ihm mit Dir forthelfen …“

„Aber wie? wie?“ fragte sie hastig.

„Wie? – Wenn’s wirklich nur das Erbarmen ist, was Dich treibt … wenn Du sonst keine Absicht hast, als den da drinnen vom Tod zu erretten … so mach’ der ganzen Geschicht’ ein End’, gieb Dein Jawort und nimm einen Andern.

Sie machte eine stumme Gebehrde des Abscheus und des Schreckens.

„Thu’s!“ fuhr er näher und dringender fort. „Gieb Dein Gelöbniß auf – ein Loch ist doch schon hineingerissen … nimm einen Andern, Binl … nimm mich …“

Sabine schauderte. „Es wär’ Dein Unglück wie mein’s … flüsterte sie tonlos; „… Du solltest so was nit sagen …“

„Ich wag’s auf das Unglück hin! Geschwind – entschließ’ Dich, Binl! Du hörst, die Bauern kommen näher – Du hast die Wahl, entweder Du sagst Ja … oder ich verrath’s ihnen, daß Du den Rebeller und Mörder willst entwischen lassen, dann ist es gewiß, daß er ihnen nimmer auskommt …“

„Heilige Mutter …“ stammelte Sabine schwankend … „Ist es denn möglich … so weit soll’s kommen mit mir! … Und wenn ich Ja sagen that …“ setzte sie stockend hinzu.

„Dann will ich schweigen und Dir helfen – ich geb’ Dir mein heiliges Ehrenwort darauf! In einer halben Stunde soll er über alle Berge sein … Besinn’ Dich nit lange mehr – da sind die Bauern schon … Sag’ Ja, – sie müssen’s Alle hören, damit Du nicht mehr zurück kannst …“

Die Bauern kamen näher. Es galt eine neue Berathung, ob es nicht geeignet sei, eine Streife gegen den Feind vorzuschicken,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_067.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)