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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

des Vetters war nicht sichtbar; Lipp aber stand mit Einigen beisammen, in eifrigem Gespräch und unverkennbar die Ereignisse der Nacht erzählend.

Der Gefangene war nirgends zu erblicken, er mußte also schon fortgeführt worden sein oder war in der Kohlhütte untergebracht, es gab sonst keinen Platz ihn zu verwahren.

Behutsam schlich das Mädchen näher und hatte auf einem Umwege durch den Wald rasch die Hinterseite der Hütte erreicht, an welcher, gegen den Wald ausmündend und abgewendet von dem Verhau und seiner Besatzung, eine Hinterthüre und neben dieser eine kleine Fensterluke angebracht war.

Sie rollte ein Baumstück herbei und stieg hinauf, um hinein sehen zu können.

Es war beinahe dunkel in dem engen, modrigen Raume – nur in schwachen Umrissen war in der Ecke ein Haufe dürrer Blätter zu erkennen, die als Laubstreu für den kommenden Winter zusammengerecht waren. Auf demselben lag die stattliche Gestalt des Vomper-Hans, zusammengekauert und mühselig, denn die noch immer auf den Rücken gebundenen Hände hinderten ihn eben so an freier Bewegung, als an bequemer Ruhe und Lagerung. Hastig und gewaltsam warf er sich hin und her, einzelne Laute, die er dabei ausstieß, ließen es unklar, ob er nur unverständlich vor sich hinmurmelte, oder ob es die Erregung des Fiebers war, welche unklar aus ihm sprach. Das Letztere war nicht unmöglich, denn die durch das Binden wieder gereizte und blutende Armwunde mochte wohl die Schmerzen bis zur Betäubung gesteigert haben.

Mit angehaltenem Athem lauschte Sabine den Reden des Gefangenen; was sie davon vernahm und verstehen konnte, waren nur einzelne Worte – Worte der Ergebung und des Gebets, um so ergreifender, je kräftiger die Persönlichkeit des Klagenden, und je hülfloser die Lage war, in der er sich befand. „… Nein!“ rief er jetzt vernehmlicher, „… ich will mir die Augen nit verbinden lassen – ich will selbst Feuer commandiren! …“ Eine Pause trat ein, nur von schweren Athemzügen unterbrochen. „… Eine letzte Bitte?“ flüsterte er dann wieder, als ob er eine nur von ihm vernommene Frage beantwortete … „Ich hab’ keine … laßt mich noch ein Vaterunser beten – für meine Mutter selig … Nein, die ist lang im Himmel, die braucht mein Beten nimmer … ein Vaterunser für mich selbst … und für den Jäger … und für …“

Das Weitere verlor sich in unverständliches Gemurmel.

Sabine vermochte nicht länger an sich zu halten. Die ganze trotzige Kraft ihres Wesens war gebrochen und erweicht, wie der Schnee im Frühling, den die innere Erdwärme mürbe macht, noch ehe die senkrechte Sonne seine schimmernde Decke schmilzt. Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht, es kamen keine Thränen mehr, nur ein wildes, schmerzliches Schluchzen erschütterte hörbar ihre Brust.

Der Gefangene richtete sich etwas auf und horchte.

„Ist Jemand da?“ rief er, und als keine Antwort kam, fuhr er fort: „Wenn Jemand da ist … bitt’ ich um einen Trunk Wasser … ich muß verschmachten sonst …“

Sabine antwortete wieder nichts – aber sie eilte zum Lagerplatz, wo sie im Rücken des Landsturms einen großen, irdenen Krug stehen sah, ergriff ihn und eilte damit zur Thüre. Sie war nicht mit einem Schlosse versehen, und daher nur die Klinke mit Stricken festgebunden. Sie löste dieselben, öffnete und die Thüre wieder hinter sich anziehend, wankte sie, kaum ihrer Sinne mächtig, in den dunklen Raum. Hans hatte sich aufgesetzt, mit beiden Händen, das Gesicht abgewendet, hielt sie ihm wortlos den Krug an den Mund.

Er trank gierig und athmete tief auf.

„Wer’s auch ist … vergelt’s Gott tausendmal …“ sagte er und wollte sich wieder auf das Lager zurücklegen, aber die Bewegung brachte in der Wunde einen stärkeren Schmerz hervor, daß er zusammenzuckte und unwillkürlich einen Laut des Schmerzes ausstieß.

Sabine gab keinen Laut von sich, mit fliegendem Athem und glühendem Gesicht kniete sie hinter seinem Rücken nieder und löste die Stricke von seinen Händen. „Vergelt’s Gott noch einmal,“ sagte er, während sie mit bebenden Händen die Einschnitte der Stricke befühlte, die Schürze abriß und sie mit Wasser befeuchtet um die geschwollenen Hände und den wunden Arm schlang. „Ich versprech’ Dir heilig, daß ich nit davon laufen will – es hat nit Noth, daß man mich gebunden wie ein Kalb zur Schlachtbank führt … aber wer ist es denn,“ fuhr er, sich umwendend, fort, „der sich so annimmt um mich …“

„Du?“ rief er, Sabinen erblickend und erkennend, die mit gesenktem Blick in ihrer knieenden Stellung verblieb, aus der sie vor Zittern sich nicht zu erheben vermochte. Er fuhr etwas zurück und sah sie dann lange schweigend mit einem durchdringenden Blicke an, in welchem Staunen und Entrüstung mit einem mildern Gefühle rang. „Du bist’s?“ wiederholte er. „Du kommst zu mir? Das muß ich sagen, Du bist ein unbegreifliches Geschöpf! Erst bist Du gut mit mir und freundlich – dann verräthst Du mich, und jetzt kommst Du wieder zu mir und thust, als ob Du mir gut wärst und als wenn’s Dir leid thät’ um mich … Du hast zwei Gesichter, Madel … welches davon ist das falsche?“

„Das kommt,“ sagte sie halblaut, „weil Du zuerst ein doppeltes Gesicht gezeigt hast … ein redliches, dem man wohl trauen möcht’ … und ein schreckliches, vor dem einen schaudert!“

„Schaudern? Wer weiß!“ erwiderte er. „Vielleicht thätst eher weinen und mich bedauern, wenn Du Alles wissen thätst … Und Du sollst es auch wissen! Ich hätt’ Dir schon oben auf der Alm Alles gesagt, aber es hat nit heraus gewollt aus mir, vor den vielen Leuten … Ich mein’, es müßt’ mir leichter werden, wenn ich’s Jemanden sagen kann – und vor Allen Dir …“

Sabine kauerte seitab im Dunkel auf der Laubstreu, während er begann.

„Ich bin ein wilder Bursch gewesen selbige Zeit … meine Mutter selig hat mir wohl oft zugeredt, aber es hat nichts geholfen, ich hab’ das Wildschießen nit lassen können, und das Herumsteigen auf den Bergen war mir lieber, als daheim die Arbeit und die Kümmerniß in der engen, rauchigen Hütten. In Tirol drinnen war nit mehr viel zu machen mit der Jagerei – dafür hat’s herüben in Baiern desto mehr Hirschen gegeben und Gams, das hat mich verlockt, und ich hab’ mich herüber verdingt in’s Bairische. Da war ich in mein’ Element, und wenn ich frei gewesen bin, sind wohl wenig Nächt’ gewesen, in denen ich nit draußen war im Wald und bin dem Wildpret nachgestiegen. Ich hab’s verwegen ’trieben, die Jäger haben mich bald gespürt und sind mir wie wüthig auf die Eisen ’gangen von allen Seiten – aber der Vomper-Hans ist schlauer gewesen als sie, und wenn es unten geknallt hat und sie haben ihn unten gesucht, ist er wie der Wind schon zu höchst über ihnen gewesen und hat sie ausgelacht! Einmal …“

Er hielt inne, und es war, als ob er eines Anlaufs bedürfe, um fortzufahren.

„Einmal …“ sagte er dann mit gedämpftem Ton, „… Du weißt ja den Tag – bin ich im Zwielicht herüber auf Deine Alm – ich hab’ einen Hirsch gespürt gehabt, einen prächtigen Sechzehnender, der hat vom Wald herunter gewechselt, und auf den hab’ ich mich anpirschen wollen. Ich bin drum am Gewand’, oben an der Schneid’ von der langen Wand herum, weil ich ihm den Wind abgeh’n wollt’ – ich bin ganz sicher gewesen, denn ich hab’ den Forstner mit seinen Leuten schon lang zuvor heimgeh’n seh’n … Auf einmal, wie wenn er aus der Erden herausgewachsen wär’, ist der Jäger vor mir gestanden … ich begreif’s jetzt freilich wohl, was ihn hergeführt hat … „Halt’, Kerl – oder ich schieß …“ hat er mich angeschrieen und ist da gestanden vor mir, mit der Büchs im Anschlag; ich hab’ mich besonnen, einen Augenblick … zum Auffahren mit meinem eigenen Stutzen war’s zu spät … bis ich ihn an die Backen gebracht hätt’, hätt’s schon lang geschnallt bei dem Jäger – wir sind keine zwanzig Gäng’ von einander gewesen … ich resolvir’ mich also kurz, duck’ mich nieder, mach’ zugleich einen Sprung … unterlauf’ ihm das Gewehr und pack’ ihn um die Mitt’ …“

Sabine machte eine Bewegung, er hielt, selbst ergriffen, inne.

„… Ich hab’ ihm nichts zu leid thun wollen,“ sagte er dann, „ich wollt’ ihn nur verhindern, daß er mich nit niederschießen oder fangen kann … Ich hab’ oft nit an mei’ Mutter gedenkt, in dem Augenblick aber ist sie mir eingefallen, und was sie sagen und aussteh’n thät, wenn sie hören thät’, daß ihr einziger Bub erschossen worden ist oder im Zuchthaus steckt … Ich hab’ nichts gewollt, als den Jäger niederwerfen und dann davonspringen – aber der Jäger ist stärker gewesen, als ich gemeint hab’, er hat sich tüchtig gewehrt, und so haben wir miteinander herum gewürgt, daß es mir schon schwarz und roth geworden ist vor den Augen … Die Knie’ sind mir eingebrochen, in ein paar Augenblicken … ich hab’s gespürt … hätt’ er mich am Boden gehabt … da hab’ ich meinen rechten Arm frei gekriegt und hab’

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_066.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)