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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

sein … Es ist der Vomper-Hans und hat zur selbigen Zeit beim Wirth in Krinn gedient …“

„Ja, ja – das ist wahr …“ stammelte sie und ließ ihn nicht los, als wollte sie jede Sylbe vorher von Mund und Auge des Erzählers lesen. „Er ist in der Gegend bekannt, das trifft zu …“

„Es trifft wohl noch mehr zu … er ist ein verwegener Wildschütz gewesen, der wohl mit dem Jäger zusammengetroffen sein kann!“

„Ja, ja,“ sagte sie finster, „war er darum so traurig, als ich ihm sagte, er solle gut machen, was er auf der Seel’ habe …“

„Das schlechte Gewissen wird ihn wohl traurig machen. – Aber es kommt noch mehr … Der Müllerknecht hat ihn angetroffen heut früh, wie er einen Kranz an das Marterl gehängt hat …“

„Einen Kranz? Also von ihm?“ keuchte das Mädchen mit immer wilder sprühenden Augen. „Ich hab’ ihn gesehen, den Kranz …“

„Er ist niedergekniet an dem Marterl und hat gebet’t …“

„… Und wenn es sein letzter Stoßseufzer wär’, er betet nit weg, was er gethan hat!“

„Warum sollt’ er das gethan haben, wenn ihn nit das Gewissen dazu treibt? Bei Dir thut’s die Lieb’ … bei ihm das Gewissen …“

Bine hatte sich wieder gesetzt, sie rang die Hände und fuhr sich in das Haar. „Es ist schrecklich,“ murmelte sie … „o, es ist mehr als schrecklich …“

Lipp trat näher. „Er hat’s sogar eingestanden, so halb und halb,“ flüsterte er, „wie ihn der Knecht gefragt hat, hat er geseufzt und hat gesagt … an den Margarethentag hab’ ich zu denken, mein Leben lang! … Kann da noch ein Zweifel sein?“

„Keiner – keiner!“

„… So sag’, wo er ist, eh’ die Andern kommen … wenn Du ihm forthelfen willst, so sag’s .. . wir thun’s miteinander …“

„Forthelfen!“ rief Sabine in fessellos ausbrechendem Grimm.

„Ich hab’ mich nach dem Augenblick gesehnt, wie eine arme Seel’ im Fegfeuer nach einem Tropfen Wasser … ich hab’ ihn mir erbet’t und soll ihn jetzt aus meiner Hand lassen? Nein, der arme Gotthard soll einmal Ruh haben im Grab – seinem Mörder soll gescheh’n, was ihm gehört … Heb’ die Fallthür’ auf, Lipp – dort im Keller ist er versteckt!“

Erschüttert von dem Kampf ihrer Seele taumelte sie gegen den Heerd, während Lipp die Fallthüre aufriß. Im selben Augenblick erschienen die übrigen Streifer an der Thür der Hütte. „Wir haben ihn,“ rief Lipp ihnen jubelnd entgegen – „nur herein, Cameraden, und bandelt ihn …“

Die Hütte füllte sich mit bewaffneten Bauern; auf den obern Kellerstufen stand der Vomper-Hans.

„Gieb Dich, Tiroler,“ rief ihm Lipp zu, „widersetz Dich nit … Du siehst, daß wir Dir überlegen sind!“

„Das müßten wir erst sehen,“ war die kaltblütige Antwort, „wenn ich’s darauf ankommen lassen wollt … aber ich will mich nit wehren, es ist mir recht so ..., nur Eins möcht’ ich wissen, sagt’s mir nur das Einzige, wie Ihr mich gefunden habt?“

„Die Sennerin dort hat Dich verrathen!“ rief Lipp, während Einige hinzuträten; und dem Gefangenen, der es ruhig geschehen ließ, die Hände auf dem Rücken zusammenschnürten.

Er machte einen Schritt gegen die Thür, blieb aber vor dem Mädchen stehen und sah sie mit einem Blicke an, in dem Wuth, Liebe und Verachtung sich mischten. „Du hast gesagt, Du willst ledig bleiben,“ sagte er, „thu’s, Sennerin – thu’s ja! Mach’ Keinen mehr unglücklich – Du grundschlechte Seel’!“

Mit flammenden Augen sprang Sabine auf und hielt den sich Abwendenden zurück. „So willst Du mit mir reden?“ stammelte sie. „Kannst Du sagen, daß Dir Unrecht geschieht?“

„Ich hab’ für meinen Kaiser gefochten und für’s Land Tirol,“ erwiderte er fest, „ob mich die Franzosenkugeln am Iselberg getroffen hätten oder ob sie mich jetzt treffen – das ist Eins!“

„Nein!“ rief das Mädchen wie außer sich, „eine ehrliche Soldatenkugel ist zu gut für Dich … Du gehörst auf’s Blutgerüst und Dein Kopf dem Scharfrichter! Denk’ an die lange Wand und an den Margarethentag – Du Mörder!“

Hans zuckte schmerzvoll zusammen und senkte den Kopf – er fand kein Wort der Erwiderung.

„Du kannst nit Nein sagen,“ fuhr Sabine fort, … „der Jäger ist mein Schatz gewesen und mein Bräutigam … Du hast mir mein ganzes Glück zernicht’t, hast mir das Brautkranzl aus den Haaren gerissen und hast gemeint, Du machst es gut, wenn Du ein’s an das Marterl hängst! Mach mit unserm Herrgott aus, was noch kommt – wir zwei sind fertig mit einander … und ich bin’s und bin stolz darauf, daß ich Dich verrathen hab’!“

In finsterem Schweigen folgte Hans den ihn umringenden Bewaffneten; triumphirend blickte Sabine ihnen nach … über den Bergrand der langen Wand blitzte in ruhiger Größe der erste Sonnenstrahl empor.




3.

Schon lange waren die Bauern mit ihrem Gefangenen im Waldsaume verschwunden, und nur von ferne tönte manchmal noch ein Juhschrei, durch welchen der Eine oder der Andere seine Freude über den glücklichen Erfolg des Unternehmens ausdrückte und zugleich den unten harrenden Genossen das Gelingen anzeigte.

Obwohl längst nichts mehr zu sehen war, stand Sabine doch noch unter der Thüre der Almhütte und blickte nach der Stelle, wo die Streifer sich entfernt hatten, in den klaren Morgen hinaus.

Es war, als habe sie sich nicht satt gesehen an dem Anblick des Gefangenen, als wolle sich ihr Gemüth noch länger an der Gewißheit weiden, daß der so lang und heiß ersehnte Augenblick der Vergeltung für den Verhaßten gekommen war, der das theuerste Leben und mit ihm das Glück ihres eigenen Lebens vernichtet hatte. Hoch aufgerichtet stand sie da, und aus den entschlossen blickenden Augen strahlte eine stolze, kühne Freude, hell und entschieden, wie die Sonne immer höher und leuchtender in das klare Blau emporstieg. Sie schien in ihrem sieghaften Glänze des Gewölkes zu spotten, das über Nacht der Mond von Berg, See und Moor gesogen und emporgehoben hatte, und woraus nun am östlichen Himmel ein dichter, düsterer Streifen wie eine undurchdringliche Wand aufgebaut stand, als wenn es gälte, das emporschwebende Gestirn des Tages in seinem Laufe anzuhalten.

Zum ersten Male in den vielen Jahren, in welchen Sabine die Alm bezogen hatte, vergaß sie darauf, das Vieh, das in den kalten Nächten schon in den Ställen sich einfand, am Morgen auszulassen; in ihrer Aufregung, in dem Widerstreit ihrer Gedanken überhörte sie, wie die Thiere blökend nach der frischen Weide verlangten, mit den Ketten klirrten und die Halsglocken schwenkten, daß es bimmelte und dröhnte.

Trotz Stolz, Genugthuung und Freude lag ein Etwas in ihrer Seele, dunkel wie der Wolkenstreifen über der steigenden Sonne.

Der wachsende Lärmen schreckte sie endlich auf und der Zuruf des Geiß-Buben, der mit seinen Ziegen schon ausgezogen war und von dem Felsen, um welchen seine Schützlinge kletternd weideten, herunterjuchzte, mit der einen Hand das alte zerlumpte Hütel, mit der andern die Peitsche schwingend, daß Knall auf Knall sich folgte. Sie trat in den Stall und löste den Kühen die Ketten vom Futterbarren, sie stieß die Stallthüre auf und ließ die Thiere sich hinausdrängen, aber sie dachte nicht daran, wie sie sonst niemals unterließ, sie mit allerlei Schmeichelnamen zu begrüßen, und auch ihr Liebling, eine schöne Falbenkuh, drängte sich vergeblich an sie, um, wie sie gewohnt war, von der Sennerin getätschelt und zwischen dem zierlich gewundenen Gehörne gekraut zu werden.

Als sie in sich gekehrt vom Stalle weg um die Hütte ging und an der Vorderseite auf den sogenannten Gräd ankam, blieb sie überrascht stehen – die Sonne hatte die Wolkenwand erreicht, und da sie dieselbe nur unvollständig zu durchdringen vermochte, brachen sich die schräg ausfallenden Strahlen zu einem eigenthümlichen Roth, das wie der Widerschein einer fernen ungeheuren Feuersgluth den ganzen Himmel und die Berghöhen überfluthete.

Es war etwas Unheimliches in dieser Beleuchtung, und dem Mädchen kam es wieder vor, als wäre das Roth von Blut, als wären ihre eigenen Gedanken vor sie herausgetreten und wirklich geworden, denn sie hatte im Geiste immer Gotthard’s blutbedeckte Leiche vor sich und sah, wie das Blut seines Mörders, von dem rächenden Schwerte vergossen, auf ihn niederströmte. Wie oft hatte sie solche Vorstellungen und Bilder in sich hervorgerufen und festgehalten, sie waren ihr nicht neu – und dennoch waren sie anders geworden, und vor ihrem Erscheinen rieselte es ihr wie kalter Schauder über den Leib.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_063.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)