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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

auf der Hauptwache abzuliefern hatte. Dieser, der einst mein Schulcamerad in der Tertia des Colberger Lyceums gewesen war, nahm mich freundlich auf. — Die Garnison, nur noch 4000 Mann stark, vertheidigte Wall und Mauer gegen 15,000 Feinde, indem die Bürger die Wachen bezogen. Tausend Verwundete und Kranke lagen in der Kirche, die eine der größten in Deutschland ist. Bald brach auch Feuer an zwei Orten in der Stadt aus.

Sein Mittagsmahl theilte Roland mit mir und noch einem Freunde, der sich zu uns geflüchtet hatte; da aber nur ein Löffel da war, so wurde ausgemacht, daß Jeder vier Bissen nahm und dann den Löffel weiter gab. — Während der Nacht schlief ich, so viel man bei dem ununterbrochenen Kanonendonner schlafen konnte, in dem höchsten Gemache auf dem Thurme, die Unterlage war Steingruß; die ganze Nacht dauerte das Bombardement und der Sturm gegen Wall und Mauern fort, da die Außenwerke bis auf zwei bereits genommen waren. Am Juli gegen Mittag gerieth auch die schöne Hauptwache und der Thurm auf dem Markte in Brand. Es machte einen höchst betrübenden Eindruck, als der Bürgerofficier mit den Schützen aus der brennenden Hauptwache mit Musik abzog in das Schützenhaus oder in die Casematte. Die Stadt brannte nun in der Mitte und an vier andern Orten. Als ich Nachmittags mich noch einmal hinunter wagte, um womöglich uns durch Ankauf eines Commißbrodes zu verproviantiren, sah ich nur hier und da einen Menschen scheu und eilig an den Häusern hinschleichen; denn ohne die größte Noth wagte sich Niemand mehr aus dem Hause oder — besser gesagt — aus den Kellern, worin die meisten Einwohner Schutz gesucht hatten. Ich hörte aber doch erzählen, daß der Commandant Gneisenau den Bürger Nettelbeck gefragt habe, wie lange wir uns noch halten könnten, und daß der unerschrockene Nettelbeck geantwortet habe: wenigstens noch vierzehn Tage! Das machte auch uns wieder Muth, Niemand aber hatte eine Ahnung davon, daß unsere Erlösungsstunde so bald schlagen würde.

Es war gerade um 4 Uhr Nachmittags und die Noth war bereits auf’s Höchste gestiegen, als ein Courier die Nachricht von dem in Tilsit geschlossenen Waffenstillstande brachte, welcher bekanntlich dem Frieden vorausging. Da dieser Courier von Cöslin kam, so hatte er auf seinem Wege zur Stadt schon die nächste Batterie des Feindes benachrichtigt; diese signalisirte der nächsten, so verbreitete sich die Kunde schnell im Lager des Feindes, und während einer Viertelstunde hörten eine nach der andern alle Batterien zu feuern auf. Ich wunderte mich über diese plötzliche Unterbrechung und sah aus den Luken des Thurmes, daß unten auf der Straße auf einmal überall sich Gruppen von Menschen bildeten, die sich umarmten. Schnell stieg ich hinunter, da vernahm ich denn die frohe Botschaft von dem geschlossenen Waffenstillstande und sah Thränen des Dankes und der Freude über die nicht mehr gehoffte Rettung in manchem Auge glänzen."

Da die Franzosen noch Herren im Lande waren, so mußte Steinbrück, um die Festung schon vor dem definitiven Friedensschlusse verlassen zu können, sich von dem commandirenden General der Belagerungsarmee, dem Divisionsgeneral Loison einen Paß erbitten, um vor den Verfolgungen der Polen in seiner Heimath sicher zu sein, zumal er über das weitere Schicksal Friedlands und wem die Stadt jetzt angehöre, während seines halbjährigen Aufenthalts in Colberg nichts erfahren hatte.

Der Commandant v. Gneisenau gewährte Steinbrück bereitwillig die Erlaubniß, sich in’s französische Hauptquartier zu Loison zu begeben, da aber vorläufig nur ein Waffenstillstand geschlossen war, so hielten die Franzosen die freie Passage in ihr Lager für bedenklich. Steinbrück wurde deshalb am Thore von einem französischen Unterofficier und zwölf Mann in Empfang genommen und, nachdem ihm die Augen verbunden waren, zu dem General geführt. Loison empfing ihn artig und freundlich, versicherte, schon von dem muthigen Patrioten gehört zu haben, und daß es ihm erfreulich sei, ihn kennen zu lernen. Auch gewährte er gern die Erlaubniß, daß Steinbrück zu seinen Eltern zurückkehren könne, denn dorthin wollte der Bedrängte sich zuerst wenden, um von da aus erst nähere Erkundigungen einzuziehen, bevor er nach Friedland selbst zurückging.

Am 5. Juli verließ nun Steinbrück das schwerbedrängte, aber ungebeugte Colberg, und während des kurzen Aufenthaltes bei seinen Eltern erhielt er bald günstige Nachrichten über die inzwischen stattgehabten Veränderungen in Westpreußen. Die Grenzen des von Napoleon neu errichteten Herzogthums Warschau, zu dem ein großer Theil von Westpreußen gelegt war, erstreckten sich zwei Meilen östlich von Friedland, so daß dieses selbst mit seinen nächsten Umgebungen beim preußischen Staate verblieben war. Diese Kreise waren zwar ebenfalls von französischen Truppen besetzt, doch hatte der in sein Amt zurückgekehrte Pastor von diesen nichts zu befürchten, auch hielten sie außerdem gute Ordnung.

Nur ein Ereigniß aus der Zeit bis zum Abzuge der Franzosen verdient Erwähnung, weil es nicht minder als das bereits erzählte ein Zeugniß von der Liebe Steinbrück's zu seinem Vaterlande und von seinem unbeugsamen Muthe ablegt. „Zu einer Geburtstagsfeier Napoleon’s," so erzählt er selber in seinen Denkwürdigkeiten, „die der französische Oberst Habest, natürlich auf Kosten der Stadt, veranstaltete, wurde auch ich eingeladen. Diecse Einladung anzunehmen, hielt ich gegen meine Grundsätze und wich derselben aus, indem ich an dem Tage nach einem nahegelegenen Dorfe ging. Am nächsten Tage begegnete mir der Oberst, fragte, ob ich nicht eingeladen, und als ich dies bejahete, warum ich nicht gekommen sei. Ich antwortete, ich hätte doppelte Trauer: einmal trauerte ich um den Tod eines nahen Verwandten, und dann könnte ich nicht froh werden, so lange er und seine Truppen mein armes Vaterland besetzt hielten. Um sich zu rächen, schickte der Oberst mir am Nachmittag desselben Tages sechs Mann als Einquartierung, von der ich bis dahin verschont geblieben war. Ich redete die Leute, welche Franzosen waren, freundlich an, bat, daß sie mit mir fürlieb nehmen möchten, und brachte ihnen selbst eine Schüssel Obst, das sie sehr liebten. Dadurch gewann ich sie so, daß sie mir unzweideutige Beweise ihrer Achtung gaben und schon nach einigen Tagen freiwillig abzogen."

Während der folgenden Jahre der Erhebung des Vaterlandes gegen die Fremdherrschaft blieb unser Pastor nicht müßig; er that Alles, um auch in seinen Kreisen die Begeisterung für den großen Kampf zu erwecken und rege zu halten; auch sammelte er fleißig Geld und Lazarethbedürfnisse für die Verwundeten, worüber mir aus seinen nachgelassenen Papieren Quittungen vom Königl. Lazareth-Magazin in Berlin und von der Regierung zu Marienwerder vorliegen.

Aber auch der König hielt sein dem wackern Manne gegebenes Versprechen, denn als im Jahre 1817 die königliche Pfarrstelle in der Gemeinde Stolzenhagen bei Stettin vacant wurde und Steinbrück sich um dieselbe bewarb, wurde ihm die Stelle sofort und zwar auf Grund einer Cabinetsordre verliehen, obwohl bereits von dem Consistorium über die Besetzung anderweitig verfügt war. In diesem Amte blieb er nun bis zu seiner auf sein Ansuchen im Jahre 1853 erfolgten Emeritirung, und wenige Jahre nachher, am Mai 1858 entschlief er in den Armen seines ältesten Sohnes und Amtsnachfolgers. Bis in sein hohes Alter hatte er sich einen regen Sinn für Alles, was Gutes und Erfreuliches die Welt bewegte und die Entwickelung der Menschheit förderte, zu bewahren gewußt; einfach und schmucklos, aber zu allen Zeiten wahr, treu und bieder, so lebte und wirkte er, und so wirkt auch sein Andenken im Segen in seiner Gemeinde und bei allen denen fort, die ihm im Leben nahe gestanden haben. – Wahrlich, er war es werth, den Besten seines Volkes beigezählt zu werden!

H., am 1. Weihnachtstage 1863.

Dr. Z. 



Haarkäufer in Thüringen.

Geschäfte führten mich vor Jahren häufig und in ziemlich regelmäßigen Intervallen nach der holländischen Provinz Nordbrabant. Dazumal gab es die Eisenbahn noch nicht, die jetzt in raschem Fluge über Limburg die mächtigen Haidebreiten jenes Landstriches durchschneidet. Man hatte daher in seinem Hauderer oder dem schwerfälligen Postwagen Tage lang Gelegenheit, das Auge an der öden Fläche zu ermüden, auf der es vergebens nach einem freundlichen Ruhepunkte sucht. Immer und immer wieder unterbrachen nur bald einzeln stehende, bald kettenartig aneinandergereihte Hügel weißen Flugsandes das braune Einerlei der langgestreckten traurigen Kieferpflanzungen, welche gegen jenen als Schutzwände für Aecker und Wiesen dienen müssen; höchstens gab dann und wann ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_059.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)