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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Patres haben so viel für morgen zu thun, und gerade heute will Jeder sein Herz vor Gott ausschütten.“

„Pater Ambros – Hieronymus – und ich,“ erwiderte nach einer kurzen Pause der Prior. Damit trat er in den Büchersaal, der als der größte und sonnigste Raum im Kloster für das Festmahl bestimmt war. Gregor öffnete die hohen Bogenfenster der frischen Abendluft und blickte nachdenklich auf den Strom hinaus, der wieder geglättet und leuchtend dahinfloß.

„Nach Stürmen wieder ruhevoll und ein Spiegel des Himmels,“ dachte Gregor, „und ich? nach fluchwürdiger That ein Priester! Und wenn nun ein Mörder an meinen Beichtstuhl tritt und sich mir gegenüber zur heimlichen Missethat bekennt? Was werde ich, an Gottes Statt, dem Verbrecher sagen? Geh’ hin und büße; söhne Dich aus mit der Menschheit und menschlichem Recht! – – Ja, wenn’s mit der Reue gethan wäre! wenn Thränen sühnen könnten! das Licht meiner Augen wollte ich mit Thränen auslöschen! aber Reue will Buße. Entweder muß ich hingehn und meine Schuld bekennen, gestehen, daß ich als Priester geirrt, als Mensch gefrevelt habe – oder thu’ ab die Reue, erhebe frei die Stirn und sage: der Priester darf auch Rächer sein!“

Er begab sich vom Fenster hinweg und durchschritt das Gemach. Sein Blick fiel auf den Tisch, an welchem Benedictus Tages über zu lesen und zu schreiben pflegte. Klosterchroniken und Folianten lagen da, wie Benedict sie verlassen hatte. Der Prior ergriff hastig ein Manuscript, an dem sein Opfer zuletzt geschrieben hatte. Die Feder ruhte noch daneben, wie sie der Unglückliche hingelegt, als Felix eintrat. Das Heft trug den Titel: „Die Prioren des Klosters Felsenburg, der Geist ihres Wirkens und die Wirkungen ihres Geistes; dargelegt von Benedictus.“ Das Werk umfaßte einige hundert Seiten; das letzte Blatt war noch unbeschrieben und trug nur die Ueberschrift: „185*. Gregor August, P. S. O. B.“ Es war sein, des Mörders Name. Gregor starrte auf den leeren Raum darunter … Schreibt keine unsichtbare Hand darauf, wie auf Belsazar’s Wand: Mene, Tekel, Upharsin?

„Nein!“ rief er und brach vernichtet zusammen, „fluchwürdiger als Belsazar! Am Tag des Gerichts wird auf diesem Blatt ein Wort nur flammen: Kain!“

Aus der Kirche aber tönte es plötzlich: Alleluja! Christ ist erstanden! und die Orgel brauste, die Trompeten jauchzten, und über die Felsen, den Strom und das einsame Grab des Märtyrers dröhnte der Glockenhymnus: Christ ist erstanden!

Als die Kirchenfeierlichkeit zu Ende war, begann ein wirres, aber fröhliches Getriebe. Wer jetzt im Klosterhof steht, wird nimmer glauben, daß diese Mauern zuweilen so einsam und traurig liegen, als wären sie, einst versunken, längst vergessen, ein ödes Wrack, das die Ebbe bloß gelegt. Der Abendhimmel, der, ganz Gluth und Gold, sich über der Felsschlucht ausbreitet, hat alle Schwermuth hinweggenommen. Die frische Luft, welche von dorther weht, wird mit dem Waldgeruch getränkt, den große Bündel von Tannenzweigen im Hofe ausströmen. Denn einige alte Frauen sind eifrig damit beschäftigt, Kränze und Guirlanden zu winden. In blauen Röcken und rothen Schürzen kauern sie zwischen dem grünen Wirrsal, das um das eherne Kreuz in der Mitte aufgehäuft ist. Das Klosterportal und der Thorweg sind bereits in einen Triumphbogen verwandelt, am Eingang zum Bruderhaus aber hämmert noch ein junger Mönch die Latten zur zweiten Ehrenpforte fest, während ein Anderer ihm die Leiter hält. Auf der Kirchentreppe umkleiden Arbeitsleute die Säulenschäfte mit hohem Schilf und schlagen die Halle mit rothem Tuch aus, ein Pater steht dabei, ordnet dies und jenes an und liest dazwischen im Breviarium. Klosterknechte tragen Wasser vom Fluß, denn Zellen und Corridore werden gelüftet und gescheuert, die Möbel in den Gastzimmern gereinigt und zurecht gerückt. Thüren gehen, Zimmer und Corridore widerhallen vom Geräusch der Arbeit und von den Stimmen der Arbeitenden.

An diesen heitern, lichtvollen Scenen vorüber wandelte der Prior langsam und gedankenschwer in die Dämmerung des Gotteshauses. Dort waltet die Stille eines mystischen Sabbaths. In den Säulen, in Stein gefangen, träumt die Sehnsucht der Seele. Auf den Marmor haucht das Licht, durch bunte Fensterscheiben brechend, zarte Farben hin, und um die Capitäle schweben blaue Weihrauchwolken. Im Zwielicht der Seitenhallen knieten Betende, und in den schwergeschnitzten, katafalkähnlichen Beichtstühlen flüsterten Stimmen. In einen solchen ließ sich eine hohe Mönchsgestalt nieder, das blasse Angesicht dem ewigen Licht zugekehrt. Alsbald warf sich ein Mann in der Tracht der Ordensbrüder am Beichtgitter nieder und begann in des Andern Ohr zu flüstern: „Hochwürdiger Vater, auf meiner Seele lastet ein furchtbares Geheimniß. In Angst, Zweifel und Unruhe finde ich Nachts keinen Schlaf und am Tag kein Gebet. Pflichtvergessen gegen die Gesetze meines heiligen Ordens habe ich einst eine stürmische Nacht beim Wein durchwacht. Als ich in meine Zelle zurückkehren wollte, ward ich der unsichtbare Zeuge eines Mordes, von geweihter Hand am Geweihten begangen!“

Der Priester im Beichtstuhl zuckte heftig zusammen, aber der Beichtende fuhr leise fort: „Das Opfer ward an unheiliger Stätte begraben, und der Vorwurf des Selbstmords schändet sein Andenken. Die Wahrheit und der Mörder aber blieben unentdeckt, denn ich, der Einzige, der außer Gott sie kennt, habe geschwiegen.“

Das Haupt des Beichtvaters, das die zitternde Hand kaum noch mit dem weißen Tuch zu verhüllen vermochte, fiel schwer auf die Brust; die freie Rechte packte krampfhaft das Holzwerk; der Andere aber begann nach kurzer Pause wieder: „Nun ich mein Herz vom entsetzlichen Bann befreit habe, wird Gott mir Frieden und Du, als sein Priester, mir die Absolution gewähren. Dir selbst aber, unglücklicher Gregor, gelobe ich in dieser heiligen Stunde ewiges Stillschweigen. Dir, der von der Schuld des Schweigens mich lösen kann, übergebe ich hiermit vor Gott, dessen ewiges Licht der Barmherzigkeit uns Beiden leuchten möge, mein Geheimniß als Dein Geheimniß!“

Das weiße Tuch sank, und Gregor’s Antlitz wurde sichtbar: die Stirn war bleifarbig, und das Haar klebte an den Schläfen vom Angstschweiß, die Augen waren starr und erloschen, die Lippen zuckten. Schweigend wartete der Andere auf die Stimme des Priesters. Aber dieser winkte nur mit der Hand. Seine Blicke waren wirr; er rang nach Worten und fand sie nicht, und seine Zunge war schwer. Er sah und hörte nicht, was um ihn vorging. Die Nacht sank nieder, und die Kirche war längst von Allen verlassen, aber Gregor saß noch immer im Beichtstuhl, mit starrem Blick, mit fiebernder Stirn und sann dem Worte nach: Absolvo te!




5. Auferstanden!

Ostersonntag! Die Natur ist sonnentrunken; Felsen, Wasser und Rasen sangen lechzend in der Brunst des Frühlings die goldige Fluth, und der Himmel spendet aus blauen Tiefen unerschöpfliche Fülle. Dabei quillt Glockengetön und Menschenjubel unaufhörlich durch die Luft. Hunderte von bewimpelten Kähnen, mit geputzten Menschen beladen, gleiten auf der Donau dahin, landen am Kloster oder fahren weiter, dem Dampfer entgegen, der stromaufwärts kommt. Vom Kirchthurm flattert die Osterfahne im Morgenwind. Ueber dem weitgeöffneten Klosterportal prangt in goldenen Lettern aus Immergrün: Ave! Der Hof aber ist mit beflaggten Masten, Gewinden und Kränzen in eine grüne Halle verwandelt, die zur Kuppel das unendliche Blau hat. Und hier drängt sich das Volk, Männer, Frauen, Kinder. Stundenweit aus Dörfern und Einöden kamen sie, mit festlichen Gewändern und fröhlichen Gesichtern. In den Corridoren des Bruderhauses eilen die Mönche Treppen auf, Treppen ab. In den Vorrathskammern werden Kisten und Kasten geräumt, Fässer gerollt, und in der Küche steht Bruder Ignatius wie ein Feldherr; um ihn her werden die Mörser geladen und Spieße gedreht, schmort, siedet und bratet es. Kein Gemach, kein Winkel ist im ganzen Kloster, wo nicht Menschen voll Aufregung, Erwartung und Festfreude sich rühren.

Um neun Uhr donnern die Böller von der Felsenhöhe, und der feierliche Zug der Mönche begiebt sich zur Einholung des Bischofs zum Strom hinab, die Sänger und Rauchfaßträger, die Brüder und Patres, der Prior im goldgestickten Prachtgewand, von zwei Leviten begleitet.

Das Dampfschiff rauscht heran. Auf dem Deck stehen, Kopf an Kopf, Hunderte von Städtern und das bischöfliche Gefolge. Zahlreiche Kähne begleiten den schwarzen Riesenschwan und bedecken weithin die Wasserfläche. Die Schiffsglocke gellt zwischen das Kirchengeläut; vom Boot und von den Höhen dröhnen die Böller, denen das Felsenecho antwortet; Musik erschallt vom Deck, und die Menschen auf dem Strom, am Ufer und im Hof schwingen Hüte und Tücher und jauchzen, und hoch auf den Felsenplatten, wo nur der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_051.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)