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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Die Mönche respondirten ihm, in singendem, traurigem Ton.

Die röthlich beleuchtete Gruppe unter düsterem Nachthimmel und ragenden Felsen, die lateinisch klagenden Männerstimmen, vom Rauschen des Stromes begleitet, das Alles war seltsam, wild und doch auch feierlich.

Als der Prior mit bebender Stimme das Schlußgebet gesprochen hatte: In memoria aeterna erit justus; ab auditione mala non timebit. Requiem aeternam dona ei, domine![1] fielen die Uebrigen mächtig ein: et lux perpetua luceat ei, und über den Fluß hin dröhnte das Felsenecho.

Et lux perpetua luceat ei! So lang in deiner Kirche Sprache über Gräbern gebetet wird, Gregor, wird ihr Wort gegen dich zeugen: „das ewige Licht leuchte ihm!“ –

Man fuhr schweigend nach dem Kloster zurück. Die übrigen Mönche warteten bereits im Refectorium. Gregor trat rasch herein, stellte sich hinter seinen Stuhl und sprach mit erhobener Stimme: „Ich habe Ihnen eine erfreuliche Mittheilung zu machen.“ „Am Morgen des Ostersonntages,“ fuhr Jener fort, „wird Se. Eminenz, der Bischof C… bei uns eintreffen. Er will den heiligen Tag in unserem Kloster verbringen.“

Ohne eine Pause zu machen, schlug er nach diesen Worten ein Kreuz und stimmte das Tischgebet an. Aber sobald man saß, gab sich die allgemeine Freude und Aufregung kund; man sprach laut und wirr durcheinander, und als wäre Benedict’s Tod eine längst vergessene Sage, hatte Jeder nur Wünsche und Winke für das bevorstehende Ereigniß und sprach nur noch vom Bischof.

Sogar der blinde Ambrosius öffnete den Mund und sagte: „Ich sah ihn.“ Pater Hieronymus aber, der vom Prior durch einen unbesetzten Stuhl getrennt saß, wiegte eine Weile ungeduldig das Haupt, dann wandte er sich an Gregor. Dieser bog sich hinten über, als wenn Benedictus noch auf dem leeren Stuhl säße. „Unser hochwürdiger Bischof,“ sagte Hieronymus, „ist ein herrlicher Mann, aber er ist zu gut für diese Welt. Er ist gegen die Feinde der Kirche zu nachsichtig. Heutzutage, wo Feuer und Schwert gepredigt werden sollte, schont und beschützt er die Freidenker. Wenn es auf ihn ankäme, würde der Index veralten. Durfte ihm doch der arme Benedict sein Buch von der Reformation widmen!“

Gregor, dem vor wenigen Tagen Hieronymus damit zu Dank gesprochen hätte, ergriff den Arm des Eifernden und sagte mit einem wilden Blick: „Lassen Sie die Todten ruh’n!“

Hierüber trat eine augenblickliche Stille ein, und in diesem Schweigen sprach plötzlich Ambrosius zwei Worte vor sich hin: „Justitia“ und „caritas.“




Das war am Abend des grünen Donnerstags gewesen; am Morgen des folgenden Charfreitags standen die Klosterthore weit geöffnet; dicht geschaart drängte sich das Landvolk im Hof und auf der breiten Treppe zusammen, die zur Kirche führt. Klosterdiener hielten einen Weg vom Bruderhaus nach dem Flußufer offen, Chorknaben drängten sich mit wichtiger Amtsmiene durch die Menge, und an den Fenstern des Hauses erschien hin und wieder das Gesicht eines Paters.

Der Himmel war bewölkt, aber es regnete nicht, und der Wind wehte aus Osten.

Um zehn Uhr entstand eine Bewegung unter den Harrenden, und der Corridor des Erdgeschosses entließ langsam den feierlichen Charfreitagszug. Voran wurde ein Kreuz getragen, von dem Trauerflöre wehten; vier Posaunen stimmten in langgezogenen, dumpfen Tönen eine Klageweise an; Chorknaben und Sänger folgten. Dann kamen paarweise die Väter des Klosters in schwarz und weißen Togen, brennende Kerzen in der Hand. Meßdiener schwangen hinter ihnen Weihrauchfässer, und aus dieser Wolke von Rauch glänzte das Allerheiligste, das Gregor trug.

Ein schwarzer Mantel, mit einem breiten, weißen Kreuz gestickt, umwallte seine hohe Gestalt, zu seiner Linken schritt Pater Hieronymus, zur Rechten, an der Hand eines blondgelockten Kindes, der achtzigjährige Ambrosius. Die Brüder schlossen sich an.

Während der Zug sich langsam über den Hof nach dem Donauufer bewegte, lag das Volk auf den Knieen. Vor dem Thor hielt jener still, und die Sänger, Ministranten und Geistlichen erfüllten dicht die schmale Landzunge, die sich zum Wasser hinab erstreckt.

Der Prior aber trat unmittelbar an den Fluß heran. Auch auf der Höhe der jenseitigen Felsen knieten Männer und Frauen und sahen auf’s Kloster nieder.

Die Posaunen verstummten, es war Gregor, als hielten Himmel und Erde den Athem an, um auf das Rauschen der Fluth zu horchen, die er jetzt segnen sollte. Langsam erhob er die Arme, er schien zu wachsen, ja, einen Augenblick war’s, als wollte er sich von der Erde gegen Himmel heben. Dann segnete er mit dem hochgeschwungenen Allerheiligen den Strom – den Strom, der über seinen Mord, der über Benedictus rauschte. Eine Welle schlug an’s Ufer, spritzte an seinem Priesterkleid empor und verrann …

Wieder tönten die Posaunen, der Zug ging zurück und begab sich über die Marmortreppe in die düster gähnende Kirche. Die Fenster waren mit schwarzem Sammt verhangen, die Altäre alles Schmuckes beraubt und die Leuchter umgestürzt. Eine Seitencapelle aber war zum Garten verwandelt und zwischen Blumen und immergrünen Pflanzen lag der Dulder der Welt … Der Altar dabei war hell erleuchtet, und dorthin brachte Gregor das Allerheiligste. Dann, seines Mantels entkleidet, schritt er zum Hochaltar. Ein Kreuz lag auf den Stufen, wo Benedictus seine Nächte durchwacht hatte, und die ewige Ampel, die einem feurigen Auge gleich aus der Finsterniß des Chors leuchtete, schwebte darüber. Gregor warf sich mit ausgestreckten Armen über das Kreuz auf die Erde und betete. Ja, er betete! Der düstere Prunk des Gottesdienstes hatte ihn mit einer Art Trunkenheit erfüllt, und der Glanz seines heiligen Amtes warf einen Schimmer auf den häßlichen Flecken in seiner Seele.

„Ich habe gesündigt, Herr,“ sagte er bei sich, als er Angesichts des Volkes auf den Stufen lag, „aber ich habe die That nicht aus weltlichen Gründen, ich habe sie gethan im priesterlichen Zorn. Der Priester aber steht über dem Gericht der Welt, frei von allen irdischen Banden, hat er nur Gott sich gegenüber!“

. . . . . . . .

Als er sich erhob, entfiel ihm ein kleines Metallkreuz …

Dies Kreuz war das Geschenk seiner Mutter, einer armen, siebenzigjährigen, rechtschaffenen Bauersfrau im Gebirge. Sie lebte noch. Gregor, stehst du auch über diesem Gericht?




4. Absolvo te.

Auch seine Augen fanden Schlummer. In der Nacht vom Charfreitag lag Gregor mit geschlossenen Wimpern auf seinem Stuhl; die breite Brust hob und senkte sich in gleichmäßigen Athemzügen, und das mondbeleuchtete Gesicht hatte die Ruhe, den Frieden, die Unschuld des Schlafes. Seine erschöpften Sinne waren auch des Traums nicht mehr fähig, und so genoß er ganz und ungestört sein letztes Glück. Aber beim Erwachen lächelte er nicht, gleich den andern Menschen, der Sonne zu, welche nach trüben Tagen herrlich wieder im Blauen stand! Dem Schuldbewußten war diese Klarheit entsetzlich. Er hätte sich in die Tiefen der Erde flüchten mögen und es schien ihm unmöglich, vor diesem allgegenwärtigen, gewaltigen Licht ein Geheimniß zu verbergen. Aber das Geräusch, das am frühen Morgen schon das Kloster durchtönte, erinnerte Gregor an seine Pflicht, an das Fest, an den Bischof, und zitternd trat er unter Menschen.

In der allgemeinen Verwirrung und Unruhe beachtete Niemand die Blässe, den scheuen Blick und das nervöse Zucken des Priors. Wo er erschien, ward er mit Fragen und Bitten bestürmt, mußte er hier seinen Rath, dort Befehle ertheilen. Boten kamen und gingen, und er blieb in einer Fluth von Geschäften keine Minute allein. Endlich, am späten Nachmittag, war Ordnung in die durcheinander schwirrenden Arbeitskräfte gebracht, der geschäftliche Theil erledigt, und nur die Ausschmückung der Räume noch übrig. Vom Thurm läutet’ es zum ersten Mal wieder, und die Gemeinde strömte über den Klosterhof in die Kirche, wo Pater Hieronymus am purpurgeschmückten Hochaltar die Auferstehungsfeier begann. Gregor aber stand, als die Luft von den langgezogenen Glockentönen erzitterte, vor der Thüre zur Bibliothek. Er hielt die Hand über die Augen, weil ihn die Sonne blendete. „Was wollen Sie noch?“ fragte er den Bruder Kellermeister, der zu zögern schien.

Dieser schrak zusammen. „Nichts, nichts, Herr Pater Prior,“ entgegnete er, fügte aber dann stockend hinzu. „Ich wollte nur fragen, wer nach der Vesper zur Beichte sitzen wird. Die Herren


  1. „Des Gerechten wird nimmermehr vergessen, vor böser Verleumdung wird er sich nicht fürchten. Herr, gieb ihm die ewige Ruhe!“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_050.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)