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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

von einem zahlreichen und eleganten Publicum. Die Parkanlagen sind ebenso mannigfaltig, als schön und behaglich. Die neuerbaute evangelische Kirche vereinigt in glücklicher Mischung einen gothischen Eklekticismus mit einer starken Dosis moderner Koketterie und löst die Aufgabe, mit möglichst wenig Geld möglichst viel Eclat zu machen. Die Ausflüge in den benachbarten Rheingau, wo man auf einen Hügel steigt, um den glänzenden, immer noch alpengrün gefärbten Strom und die langhingestreckten Weinberge zu überblicken, sind herrlich und doch nicht so schön, als die kleinen Waldwiesen nördlich von Wiesbaden, auf welchen die Hirsche unter dem Schatten tausendjähriger Eichen weiden, mit einer Ruhe und Sicherheit, als wenn sie sich in einem Urwald befänden, Hunderte von Meilen entfernt von aller menschlichen Cultur.

Ich stattete meinem Freund meine Glückwünsche ab über die gelungene Wahl seines Aufenthaltes, und da er früher nie lange Ruhe an einem Ort gehabt hatte, so fügte ich den Ausdruck der Hoffnung bei, daß er nun wohl nicht wieder von Neuem die Anker lichten werde. Ich war erstaunt, als er sein weißes Haupt bedenklich schüttelte und, während ein schmerzliches Lächeln über seine sonst so heiteren Züge glitt, mir sagte, ich irre; er werde schwerlich lange mehr bleiben; er habe bereits einen Agenten mit dem Verkauf seines Hauses beauftragt; dieses Paradies, das er mir gezeigt habe, werde verpestet durch einen Giftbaum, der Alles tödte und verderbe, was in seinem Schatten wandle oder seine Ausdünstungen einathme: der Giftbaum sei das Spiel.

Ich wußte, daß mein Freund durchaus kein Puritaner oder Kopfhänger war, ich hatte früher aus seinem Munde die Aeußerung gehört, man solle Jedermann seine Freiheit lassen, auch die Freiheit, sich zu ruiniren; auch Messer und Gabel seien gefährliche Instrumente unter Umständen, gleichwohl falle es deshalb Niemandem ein, sie zu verbieten, und dergleichen Redensarten mehr, wie sie im Munde eines alten Lebemannes natürlich sind.

Seine Aeußerung über das öffentliche Spiel mußte mich betroffen machen, und da mich meine Gesundheitsverhältnisse zwangen, bis in den December 1863 in Wiesbaden zu verweilen, so benutzte ich meine unfreiwillige Muße, um die Spielhölle, ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart (eine Zukunft hat sie hoffentlich nicht), ihre Technik und ihre Taktik, ihre Herrscher, ihre Beamten und ihre Unterthanen, ihr stehendes Heer, ihr schweres Geschütz und ihre leichten mobilen Colonnen (welche weiblichen Geschlechts sind), ihre Anhänger und ihre Opposition, zu studiren und zu schildern mit dem Fleiße eines deutschen Geschichtsforschers und der Genauigkeit eines englischen Mathematikers. Die große Mehrzahl der Thatsachen, welche ich erzähle, wird den Lesern neu sein. Aber glücklicher Weise sind sie nicht nur neu, sondern auch wahr. Es ist keine einzige darunter, die ich nicht entweder officiellen Documenten oder dem Zeugnisse wohlunterrichteter und glaubwürdiger Wiesbadener Einwohner entnommen hätte. Ich wünsche für meine Schilderung eine möglichst weite Verbreitung, und deshalb ist es die „Gartenlaube“, welche ich um deren Aufnahme bitte. Ich hoffe, daß die Krankheitsgeschichte, welche ich schreibe, dazu beitragen wird, ein wunderschönes Land voll biederer Menschen und einen altberühmten Badesitz mit unerschöpflichen natürlichen Hülfsmitteln zu befreien von der Pestbeule, welche sie zu Grunde richtet, und Deutschland zu erlösen von einer Schmach, welche uns dem Ausland gegenüber entehrt; – ich hoffe ferner, daß, auch wenn das Ziel erreicht sein wird, und wenn die Zustände, deren Darstellung meine Aufgabe ist, der Vergangenheit angehören, meine Schilderung doch noch einen Werth hat, freilich nur den des schwärzesten Blattes aus der Cultur- und Sittengeschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert.

In Nassau bestehen zwei Spielbanken, die eine in Wiesbaden, die andere in Bad Ems (an der Lahn). Die letztere wird nur während der Badesaison betrieben, die erstere aber während des ganzen Jahres, mit Ausnahme der Monate Januar, Februar und März. Die drei letztgenannten Monate werden benutzt, um die Croupiers und sonstigen Spielbeamten für die eigentliche Campagne einzuexerciren. Am letzten December verläßt der schäbigste Rest der „Spielnomaden“, welcher in der Regel aus Franzosen und Walachen besteht, Wiesbaden, um am letzten März dahin zurückzukehren und am 1. April der Wiedereröffnung der Hazardspiele beizuwohnen, welche mit der pünktlichsten Regelmäßigkeit Vormittags um 11 Uhr alljährlich stattfindet. Die drei interdicirten Monate bringen jene Wanderstämme in dem landgräflich hessischen Bade Homburg vor der Höhe zu, in welchem die Spielbank das ganze Jahr hindurch ohne die geringste Unterbrechung arbeitet. Hier hat man nämlich besondere Ursache, sich mit der Ausbeutung des Spielmonopols zu eilen, weil der gegenwärtige Landgraf von Hessen-Homburg der Letzte seines Stammes ist, und am 26. April 1864 einundachtzig Jahre alt wird, nach seinem Tode aber sein Reich an den Großherzog von Hessen fällt, von welchem man als gewiß betrachtet, daß er die Fortsetzung des Spielunfugs nicht duldet.

Außer Nassau und Hessen-Homburg haben noch folgende deutsche Staaten Spielhöllen: 1. Mecklenburg (Doberan), 2. Waldeck (Pyrmont), 3. Kurhessen (Wildungen, Nauheim, Wilhelmsbad etc.). In Baden-Baden existirt zwar die Spielbank noch; allein ihre Tage sind gezählt. Die gegenwärtige liberale Regierung des Großherzogthums hat unter Zustimmung beider Kammern des Landtags die nöthigen Anordnungen getroffen, um sie nach Ablauf einer kurzen Frist, welche mit Rücksicht auf bestehende Verträge etc. gesetzt werden mußte, zu schließen. Weitere Spielhöllen in Europa sind uns nicht bekannt, als diese deutschen und eine italienische in dem von der alten Dynastie der Grimaldi beherrschten winzig kleinen Ländchen Monaco, dessen Fürst die Einkünfte, welche ihm die Verleihung des Spielmonopols erträgt, in Paris zu verzehren pflegt. Es ist ein seltsamer Zufall, daß in dem Gothaischen genealogischen Hofkalender in der alphabetischen Zusammenstellung der europäischen Regentenhäuser Mecklenburg, Monaco und Nassau unmittelbar aufeinanderfolgen, nur getrennt durch Modena, welches zwischen den beiden ersteren steht, dessen Herzog jedoch seit 1859 aufgehört hat, zu regieren.

Die Spielbanken von Wiesbaden und Ems werden betrieben von einer Actiengesellschaft, welcher unter dem wohlklingenden Namen einer anonymen „Gesellschaft zum Betrieb der Curetablissements in den Badeorten Wiesbaden und Ems“ Se. Hoheit der Herzog von Nassau laut der in dem Gesetzblatt des Herzogthums enthaltenen Verkündigung seiner Regierung vom 17. Novbr. 1856 die landesherrliche Concession „gnädigst zu verleihen geruht haben“.

Das Statut der Actiengesellschaft bezeichnet als deren Zweck den Betrieb der Curetablissements nach Maßgabe der Bestimmungen des Decrets des herzoglichen Finanzcollegiums vom 14. Novbr. 1856. Der Inhalt dieses Decrets wird in geheimnißvoller Weise verschwiegen. Man weiß aber, daß dasselbe dem Bankhaus Verlé in Wiesbaden, dem Gründer jener Actiengesellschaft, das Hazardspiel-Monopol in Wiesbaden und Ems für die Zeit von 1850 bis 1881 gegen sehr ansehnliche Gegenleistungen überträgt, mit dem Zusatze, daß auf die Dauer der Pachtung keine weitere Concession zum Hazardspiel in dem Herzogthum Nassau ertheilt werden soll. Im Uebrigen trat der neue Spielpächter in den Vertrag des früheren Spielpächters ein. Der letztere war am 5. October 1847 abgeschlossen und enthält in §. 35 die Vorschrift:

„Wenn etwa von Seiten der deutschen Bundesversammlung die allgemeine Aufhebung der Hazardspiele beschlossen werden sollte, so ist die herzogliche General-Domänendirection jederzeit berechtigt, den gegenwärtigen Vertrag aufzuheben.“

In der That verdient die Voraussicht des Ministers von Dungern, welcher diese Vertragsvorschrift beifügte, alle Anerkennung. Denn schon fünfzehn Monate nachher erließ zwar nicht die deutsche Bundesversammlung, welche inzwischen auseinander gestoben war, sondern der Reichsverweser Erzherzog Johann unter Gegenzeichnung des Reichsministers des Innern, Freiherrn Heinrich von Gagern, und des Reichsministers der Justiz, Robert von Mohl, im zehnten Stücke des Reichsgesetzblattes ein Gesetz, lautend wie folgt:

„Der Reichsverweser, in Ausführung des Beschlusses der Reichsversammlung vom 8. Januar 1849 verkündet als Gesetz: Alle öffentlichen Spielbanken sind vom 1. Mai 1849 an in ganz Deutschland geschlossen und die Spielpachtverträge aufgehoben.“

Diesem Befehle des Reiches leisteten damals die deutschen Einzelnregierungen Folge. Nur die kleinste unter ihnen, nämlich Hessen-Homburg, widersetzte sich; oder vielmehr es war der dortige Spielpächter Blanc, welcher, trotz des Reichsgesetzes, die Schließung der Spielbank weigerte. Man erzählt, er habe seine Weigerung mit dem schnöden Witzworte begleitet: „Mein Reich (die Spielhölle) wird länger dauern, als das deutsche“, eine Prophezeiung, die leider noch in dem nämlichen Jahre durch Auflösung der Centralgewalt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_042.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2020)