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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Aschbacher, der Pater Haspinger auch … da hab’ ich auch den Boden unter die Füß’ nehmen müssen …“

„Aber warum gerade da heraus?“ fragte Sabine beklommen.

„Warum gerade den allergefährlichsten Weg?“

„Die Franzosen sind uns in den Rücken gekommen … von Zirl und Seefeld her … es gab keinen andern Ausweg. Es ist mir auch einerlei, wenn sie mich erwischen – ich wollt’, die Kugel vorhin wär’ um ein paar Zoll seitwärts gegangen … da wär’ Alles schon überstanden …“

„Das ist nit recht, das ist nit christlich gered’t!“ erwiderte das Mädchen mit zitternder Stimme und einer Thräne im Auge, die sie vergebens zu verbergen strebte. „Man muß Gott danken für jede Viertelstund’ und sie benutzen … vielleicht will er Dir Zeit lassen, gut zu machen, was Du auf dem Gewissen hast …“

„Vielleicht!“ sagte Hans verdüstert. „Wer weiß aber, ob ich das kann, und wenn ich noch so lang’ leb? Aber möglich ist es ja doch, nit wahr? Es ist möglich, daß mich das Leben noch einmal wieder freuen kann? Daß mir noch etwas Gutes aufgehoben ist … Wenn es nit so wär’, hätt’ ich sonst den Weg gefunden zu Dir herauf auf Deine Alm? Ist mir nit schon das ganze Herz verkehrt, seit ich Dich gesehn hab’?“

„Ich hab’ Dir schon gesagt, daß Du solche Reden lassen sollst,“ rief Sabine finster und mit sichtlich strengem Tone. „Sie helfen Dir nichts und verfangen nimmer bei mir … ich hab’s gelobt, daß ich will ledig bleiben …“

„Ledig bleiben?“ sagte Hans und sah das Mädchen durchdringend an. „Hast also wohl auch schon Deinen Theil auszustehn gehabt in der Welt … wie solltest sonst zu der Verlobniß gekommen sein … Und darf ich’s nit wissen, was Dir begegnet ist …?“

Sabine nickte traurig und schickte sich zu erzählen an – augenblicklich jedoch sprang sie auf, das Wort erstarb ihr auf den Lippen, und mit ängstlicher Gebehrde den einen Finger an den Mund legend, deutete sie nach dem Fenster hin. Auch der Tiroler sprang auf.

Es war draußen heller geworden – man sah in der Ferne am Rande des Waldes und Bergabhangs verschiedene zerstreute Männergestalten. Sie riefen einander zu, sie bückten sich nach dem Boden nieder, es war unverkennbar, daß sie eine im Grase aufgefundene Spur verfolgten.

„Sie sind’s,“ flüsterte Sabine mit stockendem Athem, „sie deuten auf die Hütte her – sie werden Dich hier suchen … geschwind hinunter in den Keller …“

Sie hatte rasch die Fallthüre aufgerissen, daß die Kellerstufen sichtbar wurden. Der Tiroler war ihr nicht gefolgt, sondern stand noch immer spähend und wie unschlüssig am Fenster. „In den Keller?“ sagte er. „Verstecken soll ich mich?“

„Aber was willst Du sonst?“ rief Sabine und bemühte sich nicht mehr, ihre unverkennbare Angst zu verbergen. „Wenn sie Dich finden …“

„Dann liefern sie mich an die Franzosen aus … sieben Kugeln, die machen ein geschwindes End’ – mir ist’s recht, denn meine letzte Freud’ ist auch dahin …“

„Aber sie sollen Dich nicht finden!“ rief sie eifrig. „Ich will nit, daß sie Dich bei mir finden … Der Gedanke thät mich noch elender machen, als ich schon bin …“

„So thät’s Dir leid um mich?“ fragte Hans, der, von ganz andern Gefühlen bewältigt, aller Gefahr zu vergessen schien.

„Thät’s Dir leid, wenn sie mich finden und niederschießen?“

„Sie sollen nicht!“ rief sie immer angstvoller. „Fort in den Keller … sie sind schon in der Näh’ …“

„Antwort’ mir erst auf meine Frag’ …“ sagte Hans und wagte es, ihre Hand zu fassen. „Ich geh’ nit vom Fleck, eh’ Du mir Antwort giebst … vor Deinen Augen sollen sie mich fangen und binden und niederschießen … Sag’ mir, thät’ es Dir leid, wenn sie mich finden … wenn ich zu Grund geh’n muß … bist Du mir gut?“

„… Ja …“ stammelte und zwängte sie aus der widerstrebenden Kehle.

„Jetzt geh’ ich!“ rief er jubelnd und drückte ihre Hand noch fester. „Jetzt will ich in den Keller … jetzt kann mich das Leben wieder freuen, und so lang ich mich rühren kann, soll Keiner sagen, daß er den Vomper-Hans gefangen hat …“

Er verschwand in den Keller, und die Fallthüre klappte zu über ihm.

Sabine war in grenzenloser Verwirrung mitten in der Hütte stehen geblieben; ihr Athem flog, ihre Wangen glühten – sie wußte kaum, was geschehen, und noch minder, wie es gekommen war. Das Blut drängte ihr an die Schläfe und stürzte zum Herzen, als wollte es fragen, ob ein solches Geständniß möglich, ob sie es gewesen, die ein solches Wort ausgesprochen. Sie hielt die Hände an die Stirn gepreßt, die es ihr fast zu sprengen drohte, über der Antwort, die sie auf diese Frage geben mußte. Die Sinne vergingen ihr fast, denn sie vermochte nicht mehr, vor sich selber zu leugnen, daß der Fremde Eindruck auf ihr Herz gemacht, in welchem nach ihrem Gelübde nur das Bild des Todten wohnen sollte.

In diesem Zustande überraschte sie Lipp, der den Uebrigen weit vorangeeilt war, getrieben von der Begierde, seinen Verdacht auszusprechen und das Verdienst der Entdeckung auszubeuten.

Sie schien ihn nicht kommen zu hören; die Hände in den Schooß gelegt und vor sich hinstarrend, saß sie auf dem Kellergemäuer, um den Zugang zur Thüre zu decken und zu verwahren. Verwundert stand er vor ihr, als sie auf sein wiederholtes Rufen und Pochen die Hütte geöffnet hatte und dann gleich wieder an ihren Sitz zurückgekehrt war. Er beobachtete sie schweigend und scharf; war ihr Benehmen ihm schon Abends befremdlich vorgekommen, so war es jetzt noch auffallender. Es war nicht zu verkennen, daß mit dem Mädchen eine große Veränderung vorgegangen sein mußte. Das war nicht mehr dasselbe kalte, strenge Mädchen, das alle Gedanken an Liebe und Ehe so verachtend von sich wies, sie glich eher einer glücklichen Braut, die in glühender Verwirrung des geliebten Bräutigams wartet. Sie war nur noch schöner in diesem Zustande der Erregung, und in den Augen des Burschen stieg das Verlangen nach ihrem Besitze nur noch feuriger empor. Aber es galt vor Allem, die Ursache dieser Umwandlung zu erforschen. Wie wenn sie ein neues, geheimes Liebesverhältniß zu verbergen hätte? Wenn sie Abends, als sie ihn fortgewiesen, doch nicht allein gewesen? Wenn der gegen ihn gebrauchte Vorwand einem Andern gegenüber seine Kraft verloren hätte? Aber wer konnte der Glückliche sein? Wäre es Einer aus der Gegend, so hätte es nicht verborgen bleiben können, und ein Fremder …

Er hielt in seinen Gedanken inne; ein Blitz zuckte in ihm auf, und ein grinsendes Lächeln des bittersten Hohnes umzog seinen Mund.

Jetzt fuhr auch Sabine aus ihrem Brüten empor; sie schien die Nähe der Streifer ganz vergessen zu haben und fuhr erschreckend zusammen, wie Jemand plötzlich aus dem Schlafe auffährt.

„Nun, Du erschrickst ja völlig, Binl?“ sagte er spöttisch. „Hast wohl nit einmal das Schießen gehört?“

„Ich hab’ geschlafen,“ entgegnete sie unsicher, „aber das Schießen hab’ ich wohl gehört … Was giebt’s denn? Wem hat’s denn gegolten?“

„Einem Hauptspitzbuben,“ sagte er, Sabinen unvermerkt betrachtend, um die Bestätigung seines Argwohns in ihren Mienen zu lesen, „einem von den Tiroler-Rebellen, der sich zu uns heraus geflüchtet hat …“

Das Gespräch mit Lipp gab dem Mädchen allmählich seine Fassung wieder. „Wenn er schon flüchtig ist,“ sagte sie kalt, „so hättet Ihr ihn sollen laufen lassen … was kann er Euch thun?“

„Nichts – wir wollen aber verhindern, daß er uns was thut! Daß er uns ausspionirt und dann seine Cameraden herführt, daß sie uns das Vieh wegtreiben und die Häuser anzünden! Es ist schon hinuntergeschickt nach Kochel zu, wo die französischen Vorposten stehen, damit sie kommen und ihn holen …“

„Wenn Ihr ihn habt – nicht wahr?“

„Wir werden ihn bald haben … wir haben ihn von allen Seiten eingegangen wie in ein Jagdnetz … er kann nur auf der Alm – oder gar da in Deiner Hütten sein …“

„Und Ihr wollt ihn wirklich ausliefern?“

„Gewiß …“

„Und Ihr wißt, was ihm geschieht, wenn ihn die Franzosen erwischen …“

„Er wird wohl erschossen werden …“

„Und Du hilfst mit bei so was? Einer, der sich einmal eingebildet hat, die Binl könnt’ ihn mögen, giebt sich zum Schergenknecht für die Franzosen her? Geh … wenn Du Dich Deiner Lebtag noch nie geschämt hast, so geh jetzt und mach daß Du’s lernst!“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_036.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)