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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

und verriegelte. „Sie werden mich wohl für den Unrechten gehalten haben …“

„Aber warum bist nit fort, am Abend, wie Du’s im Sinn gehabt hast? Da wärst Du jetzt schon weit, und die Bauern könnten Dir nichts mehr anhaben …“

Der Mann sah einen Augenblick scheu zu Boden. „Es hat mich nit fortgelassen,“ sagte er dann düster, „es war, als wenn mich was unsichtbar festhalten that … und dann, glaubst, ich hatt’ so leicht fortgekönnt, Sennerin, nachdem ich Dich einmal gesehn hab’? Ich hab’ gedacht, ich wollt’ den Tag abwarten und dann nochmal zu Dir heraufkommen …“

„Du blutest ja noch!“ sagte die Sennerin ausweichend, „laß Dich doch verbinden … ich hab’ die Blutwurzel zur Hand, die das Blut stillt …“

Der Mann streifte den Aermel über den kräftigen Arm hinauf; oberhalb des Ellbogens hatte die Kugel gestreift und scharf gefleischt, die Wunde war nicht gefährlich, aber schmerzhaft. Die Sennerin wusch das Blut weg, legte ein Stück der heilenden Wurzel darauf und schlang ein Tuch um den Arm. Sie war eine zu starke Natur, um Scheu vor Wunden zu haben; dennoch zitterte ihre Hand, als sie die Binde anzog.

„Du bist wohl eingericht’t,“ sagte der Bursche zutraulich, „und hast eine gar sanfte Hand – man spürt Dich kaum …“

„Auf der Alm ist man allein,“ erwiderte sie und legte die Blutwurzel wieder auf das Sims, „da kann Einem allerhand zustoßen – da muß man sich vorsehn und muß sich zu helfen wissen …“

„Es ist nit das allein,“ sagte der Bursche und ließ die männlichen Augen so fest auf ihrem Antlitz ruhen, daß sie sich erröthend noch weiter abwandte. „Du hast so eine eigene Weis’, wie Du Alles machst … so ganz anders, wie andere Madeln … ich kann die Augen schier nimmer loskriegen von Dir … und mein Herz … du lieber Gott, das kann eh’ nimmer fort von Dir!“

Sabine erröthete noch tiefer. Sie war unwillig über diese Reden, und doch mischte sich eine verzeihende Regung in den Groll – konnte der Fremde denn wissen, wie sie gesinnt und entschlossen war? „Laß das Gered’ gut sein,“ sagte sie. „Sag’ mir lieber, wer Du bist – wenn die Bauern Dich verfolgen, kann’s leicht sein, daß sie Dich auch in meiner Hütten suchen …“

„Das glaub’ ich auch. Aber ich glaub’ auch, daß Du mich verbergen, daß Du mich nit verrathen wirst! Deswegen bin ich getrost auf Deine Hütten zu …“

„Also hast Dich doch zu scheuen vor den Leuten und bist kein bloßer Teppichhändler, wie Du Dich ausgiebst? … Wer bist also – wenn ich Dir helfen soll, muß ich vor Allem wissen, wem ich hilf’ … Sie haben Dich also nit für den Unrechten gehalten?“

Der Fremde sah sie noch einmal lange an, als wollte er ihre Züge erforschen, ob sie im Stande sein könne, sein Vertrauen zu täuschen. „Nein,“ sagte er dann fest, „ich bin schon der, den sie suchen …“

„Und wer bist nachher?“

„Ein armer, elendiger Mensch,“ rief der Mann schmerzlich aus, „der kein’ Heimath mehr hat, keinen befreundeten Menschen, kein Vaterland … und nit einmal ein Fleck, auf dem er ruhig sterben könnt’ … ich bin der Vomper-Hans, wenn Du etwa von mir gehört hast, einer von den Bauerncommandanten aus dem Tirol .. . bin vogelfrei und muß flüchten …“

„Ein Rebeller also – ich hab’ mir’s gedacht!“ sagte das Mädchen sichtlich erleichtert. „Wie ist es nur möglich – unser König Max ist der beste Herr von der Welt, wie habt Ihr Euch so gegen das Bairisch-Werden spreizen und ihm so einen großen Verdruß machen können?“

Der Bursche machte eine unwillige Bewegung. „Das verstehst Du nit, Madel,“ rief er rasch, dann aber fuhr er, wie sich besinnend, etwas milder fort: „Und dennoch – warum solltest Du’s nit verstehn? Du am allerersten, Du hast das Herz in Allem auf dem rechten Fleck: Wir Tiroler haben unsern Kaiser nit weniger gern, als Ihr Euren guten König … wenn jetzt die Franzosen kämen und wollten Euch zwingen und sagen, Ihr sollt nit mehr Eurem guten König gehören, sondern einem andern, der Euch wildfremd ist … was würden Deine Landsleute, was thatst Du selber dazu sagen?“

Das Mädchen sah sinnend zu Boden.

„Ich brauch’ das auch gar nit fragen,“ fuhr er fort, „Deine Landsleut’ haben es ja schon einmal bewiesen, es ist ja schon einmal so gewesen bei Euch! Vor hundert Jahren hat unser Kaiser Baiern besetzt und hat den Kurfürsten Max Emanuel vertrieben. Was habt Ihr gethan selbiges Mal? Aufgestanden ist das ganze Land und hat sich todtschlagen lassen für seinen Landesherrn – ich weiß es noch gar wohl, wie mein Ahnl erzählt hat, was er alles gehört hat von der großen Sendlinger Bauernschlacht … Sollten wir Tiroler weniger thun für unsern Kaiser?“

„Ich kann nit nein sagen,“ flüsterte das Mädchen, und sah noch immer vor sich nieder.

„Und ich hab’s doch über’s Herz gebracht,“ begann Hans wieder, „und bin ruhig daheim geblieben, wie Alles schon den Stutzen auf dem Buckel gehabt hat! Ich hab’ nur ein kleines Gütl gehabt, ein gering’s – ich hab’ woltern viel arbeiten müssen, damit es so viel ertragen hat, daß es genug war für meine arme alte Mutter und für mich. Das alte Weibl hat keinen Menschen gehabt, als wie mich, und so hab’ ich’s verschoben von einem Tag aus den andern und hab’ immer gedacht, den andern Morgen wollt’ ich’s machen wie meine Cameraden alle und auch gegen die Baiern ausziehn und die Franzosen. Da kam der Wrede wüthig auf die Stadt Schwaz losmarschirt und ließ sie an allen vier Ecken anzünden, zur Rache für Alles, was die Tiroler den Baiern angethan … Das Dorf Vomp, wo ich daheim bin, ist nicht weit davon entfernt und ich hab’ mich hinausgeschlichen auf Kundschaft … Auf einmal hab’ ich auch hinter mir Schießen und Schreien gehört, und wie ich zurückgelaufen bin …“

Der Erzähler hielt inne, die Erinnerung des Erlebten hatte ihn zu sehr erschüttert und benahm ihm die Stimme. Mit ängstlich erwartenden Frageblicken sah ihn das Mädchen an.

„Wie ich zurückgekommen bin,“ fuhr er dann langsamer fort, „habe ich nit mehr hineingekonnt in’s Dorf. Die Baiern haben es umstellt gehabt in einem weiten Kreis und haben angezündet überall, und die türkische Musik hat müssen dazu aufspielen … Ich hab’ das Gepolter von den Trommeln und das Pfeifen noch in den Ohren – und dazu das Klingen von den Glocken, die auf dem brennenden Kirchthurm von selber zu läuten angefangen haben, und das Schreien und Heulen von denen, die im Dorfe waren und all ihr Hab und Gut verbrennen sahen und nit herauskonnten, weil die Baiern Alles niederschossen, was entfliehen wollte .. . und dabeistehn und ruhig zuschauen müssen und nit helfen können … es hätt’ Einem die Haar’ grau machen können in einer Viertelstund’ …“

Sabine schauderte und barg das Gesicht in den Händen.

„Ich hab’s zuletzt nit mehr ausgehalten,“ begann er wieder, „ich hab’ wissen müssen, wie’s mit der Mutter steht, und hab’ mich hineingestürzt zwischen die brennenden Häuser … ich war schon ganz nah’ an dem unsrigen … da seh’ ich die Mutter vor mir, wie sie in dem Grasgarten fortgetappt ist, unter den Obstbäumen, die schon zu brennen anfingen und von denen die Funken niedertropften … sie war nit mehr weit von dem Zaun, und außer demselben standen die Baiern und lachten und schrieen durcheinander … Ich schrie auch … ich schrie der Mutter zu, sie solle anhalten, ich lief ihr nach … sie immer vor mir her … da krachte es über den Zaun herein … mit einem schwachen Schrei drehte es die alte Frau zusammen, und wie ich zu ihr hinkam, war sie todt … sie hat nit mehr viel Leben zuzusetzen gehabt … die arme, arme, gute Frau … Ich bin bei ihr liegen geblieben bis in die Früh … Da sind die Baiern abgezogen gewesen … ich hab’ zugeschaut, wie mein gutes Mutterl ist eingegraben worden mit den andern Todten, die sie herbeigetragen haben von allen Seiten … dann bin ich noch ’mal auf den Platz, wo unser niedergebrennt’s Haus gestanden ist, und hab’ mir eine Hand voll Aschen mitgenommen von dem Platz – und bin auch zu den Landesvertheidigern … Es ist wahr, ich bin einer von den Wildesten gewesen, und wenn sie einen Preis ausgesetzt haben auf meinen Kopf, so wissen sie wenigstens, warum sie es gethan haben …“

Eine ernste, langdauernde Stille trat ein. „Und jetzt?“ fragte die Sennerin so leise, als fürchtete sie, dieselbe zu unterbrechen. „Was ist es jetzt mit Dir?“

„Jetzt … jetzt ist mein Herzleid vollständig! Jetzt hat uns der Kaiser aufgegeben – er giebt seine eigene Tochter an unsern Erbfeind, an Napoleon … wir haben uns umsonst aufgeopfert … der Sandwirth ist fort, der Speckbacher von Rinn, der Peter

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