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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

eine Reihe langgestreckter Seen, die durch kurze Canalstrecken leicht zu verbinden waren. Daher ist die Idee, das Oberland zu canalisiren, gewiß schon alt. Aber was nützte ein Canal im Innern des Landes, wenn man keine Verbindung mit dem Meere herstellen konnte, denn 317 Fuß Gefälle zu überwinden, welche kostbaren Schleußenwerke wären dazu erforderlich gewesen! Und selbst, wenn man die Anlagekosten nicht gescheut hätte, würden doch schwerlich die oberländischen Seen ohne Schaden für die Schifffahrt soviel Wasser haben hergeben können, als der Durchgang der Fahrzeuge durch die Schleußen consumirte. Erhielte auch jede Schleuße ein Gefälle von 10 Fuß, so würden doch 32 Schleußen nothwendig geworden sein; der hierdurch erzeugte Aufenthalt in der Schifffahrt, der obenerwähnte Wasserverlust und die unverhältnißmäßigen Kosten ließen stets das Project scheitern.

Da trat vor etlichen zwanzig Jahren ein Mann mit der Idee hervor, die Schiffe auf Walzen und Eisenbahnen bergauf und ab zu führen, und wurde hierdurch der Segenspender für einen großen Strich Landes, dessen reiche Schätze bis dahin kaum gehoben werden konnten. Vier Städte, Deutsch-Eylau, Osterode, Saalfeld und Liebemühl, wurden somit Vorplätze unserer größeren Seestädte und heben sich sichtlich mehr und mehr. Ueber 200,000 Morgen Forsten, worunter 109,000 Morgen königlich, sind dem Verkehr erschlossen.

Der Grundbesitz hat einen doppelten Werth erhalten, und Handel und Wandel gewinnen täglich an Aufschwung. Der Mann, der so Großes für eine halbe Provinz that, der sein ganzes Leben diesem einzigen Ziele widmete, der unbeirrt Hohn und Gespött über seinen „Phantasiecanal“ ertrug, um endlich den schönsten Lohn zu finden, das Bewußtsein erfüllter Pflicht und nicht umsonst gelebt zu haben, dieser Mann ist der Baurath Steenke zu Zoelp, unfern Maldeuten. Ich nenne ihn, weil die Namen derer, die für ihre Mitmenschen Großes und Gemeinnütziges geleistet haben, Gemeingut der Nation sind und von Jedermann gekannt und genannt zu werden verdienen, und weil die Gartenlaube diesen Namen zu jeder deutschen Hütte trägt, läge sie noch so fern. – In zweiter Linie nenne ich noch den Dirigenten der königl. Maschinenbau-Anstalt zu Dirschau, Herrn Krüger, welcher sich durch saubere Ausführung und Aufstellung der Triebwerke um den Bau verdient gemacht hat.

Wollt Ihr nun das ganze Bauwerk mit Muße betrachten, so thut Ihr am besten, Ihr setzt Euch mit mir und einer munteren Gesellschaft auf einen unserer vier Dampfer und fahrt von Deutsch-Eylau den Geserichsee entlang. Er bietet Euch durch seine grünen und bewaldeten Uferbiegungen ansprechende Fernsichten und dauernde Abwechselung. Nachdem wir ihn zu zwei Dritttheilen zurückgelegt haben, können wir durch einen Zipfel desselben links durch den Weinsdorfer Canal in den Ewingsee nach Saalfeld fahren. Wir ziehen es aber vor, gerade aus gen Elbing zu dampfen.

Aufriß der „geneigten Ebene“ bei Buchwalde.

Ueber zwei und eine halbe Meile sind wir von Eylau entfernt und gelangen durch eine kurze Canalstrecke in den Dubensee und durch den nahezu anderthalb Meilen langen Liebemühl-Geserich-Canal zur Stadt Liebemühl. Auf dieser Strecke treffen wir die erste größere Sehenswürdigkeit des Canals. Derselbe ist nämlich durch einen Damm geleitet, welcher durch den fünf Fuß niedriger liegenden Abißgarsee geschüttet ist, also ein Canal durch den See! Es sind stellenweise sechszig Fuß Wassertiefe auszufüllen gewesen. Dieser kolossale Aquäduct hat eine Länge von 1550 Fuß und eine Kronenbreite von 124 Fuß. – Wenden wir uns nun rechts, so gelangen wir durch zwei Schleußen und den canalisirten Liebefluß zum Drewenzsee, welcher funfzehn Fuß niedriger liegt, als unsere Wasserbahn, und nach Osterode. Wir aber gehen abermals geradeaus durch mehrere kleinere Seen und Canalstrecken in den reizenden Röthloffsee, von dessen nördlichem Ende uns die freundliche Villa des Herrn Baurath Steenke zu Zoelp ein Willkommen zuruft. Hier halten wir einige Augenblicke, um diesem Biedermanne die Hand zu drücken, eilen aber dann ungesäumt weiter, denn wir haben keine Zeit zu verlieren, durch den Samrodt- und Pinnausee und den Draulitter Canal zur ersten „geneigten Ebene“. Diese letzte Canalstrecke ist nahezu eine halbe Meile lang und durch einen bis 55 Fuß hohen Bergrücken geführt. Hic haeret aqua. Vor uns sehen wir eine kleine Anhöhe, planirt und mit zwei Schienensträngen belegt, aber kein Wasser. Ueber diesen Berg fahren wir, ohne das Schiff zu verlassen, wenige Fuß bergan, dann eine lange Strecke bergab; wie, erzähle ich Euch später. Wiederum schwimmen wir, aber nur ein kurzes Endchen, dann abermals über einen solchen Berg zu Lande, wieder zu Wasser, und so passiren wir im Ganzen vier solcher „geneigten Ebenen“, bis wir schließlich dem nassen Element getreu bleiben und durch noch fünf Schleußen (welche später durch eine einzige Ebene ersetzt werden sollen) zum rohr- und entenreichen Drausensee, durch den Elbingfluß zur gleichnamigen Stadt, zum frischen Haff, zum Meere gelangen. Von Elbing aufwärts haben wir auf diese Weise eine Schifffahrtsbahn von im Ganzen sechsundzwanzig Meilen, wovon sechs und eine halbe Meile Canäle, zwanzig und eine halbe Meile Seen sind. Diese letzteren haben zum Theil gesenkt werden müssen, um sie mit den übrigen in gleiches Niveau zu bringen (z. B. der Samrodt- und Pinnausee um 17 F.). Dadurch sind 1) circa 2000 Morgen vorzüglicher Wiesen entstanden, 2) haben die Bodenverhältnisse durch größere Entwässerungsfähigkeit im weiten Umkreise gewonnen, und 3) ist eine Wasserbahn erzielt, welche ohne Unterbrechung von Schleußen eine Länge von sechszehn und einer halben Meile hat. Kein zweiter Canal hat solche ununterbrochene Ausdehnung aufzuweisen.

Ich komme jetzt zum schwierigsten Theile, zugleich aber der Hauptsache dieser Arbeit, der Beschreibung einer „geneigten Ebene“ und deren Triebwerk, und wähle dazu die erste bei Buchwalde, der im Wesentlichen die anderen drei gleich sind. Dieselbe hat, wo sie sich außerhalb des Wassers befindet, eine Neigung von 1:12 und setzt sich oberhalb wie unterhalb unter Wasser in einer Neigung von 1:24 fort. Sie ist ihrer ganzen Länge nach (ca. eine sechszehntel Meile) mit zwei parallel laufenden Schienengeleisen auf dicht liegenden eichenen Schwellen belegt. Auf jedem derselben geht ein Wagen auf acht Rädern, ganz von Eisen construirt, 64 Fuß lang, 10 Fuß im Lichten breit und mit zwei hohen Geländern versehen. Derselbe hat ein Gewicht von 521 Centnern. Sein Boden ist mit starken Latten belegt. Im Moment der Ruhe steht ein Wagen im oberen Bassin unter Wasser (vgl. Bild II. ), so daß nur das Geländer aus demselben hervorragt (dadurch ist dem Schiffer genau die Stellung des Wagens bezeichnet), der andere Wagen ebenfalls unter Wasser im unteren Bassin. Kommt nun ein Schiff an, so fährt es zwischen die beiden Seitengeländer und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_027.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)