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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Arzt meint, es käme von den Nerven, aber ich fürchte, daß sie sich meinethalbem grämt. Sie ängstigt sich zu sehr, daß ich so jung schon Soldat werde. O,“ wandte sich Felix an seinen ehemaligen Professor, „wie sie sich freuen wird, wenn ich ihr von meinem Besuch hier erzähle! Es vergeht kein Tag, an dem nicht Ihr Name unter uns genannt wird, und wenn meine Mutter von Ihnen spricht, wird sie rothwangig, froh und beredt!“

Der Prior warf einen überraschten, funkelnden Blick auf Pater Benedict; aber die Augen des Letzteren begegneten ihm so klar und ruhig, daß er die seinigen senken mußte. Er that noch einige gleichgültige Fragen an den Gast, dann verabschiedete sich der Letztere von ihm und den übrigen Mönchen. Benedictus begleitete seinen Schüler an’s Thor. Als Beide aus dem Corridor in’s Freie traten, stand der Mond am Himmel und beleuchtete den stillen Klosterhof. Die breite Marmortreppe, die zur Kirche aufwärts lud, glänzte wie Silber, das Gotteshaus selbst aber lag dunkel. Die Luft war schwül und duftete, als brächen schon die Rosen auf.

Graf Felix blieb unter dem Kreuzbild inmitten des Platzes stehen und blickte auf die friedvolle Stätte, die der mondbeglänzte Fels wie ein ehernes Riesenthor von der übrigen Welt abschloß. „Wissen Sie, Herr Professor,“ begann Jener, „daß es mir ordentlich wehe wird, von diesem Ort zu scheiden? Ich fühle mich hier so wohl, ich würde hier ein guter Mensch werden. Wahrhaftig, am liebsten bliebe ich hier, bliebe bei Ihnen!“

Ein wehmüthiges Lächeln zog sich um den Mund des Begleiters. „Felix,“ sagte er, und legte seine Hand auf des Knaben Schulter; „die Stille ist nicht immer der Friede. Sie würden sich aus klösterlicher Einsamkeit bald in’s Freie sehnen, denn nur der darf dem Irdischen entsagen, der das Irdische erkannt hat. Ihnen aber ist noch das Leben eine vielversprechende Blüthe, und der Mensch ein fragwürdiges Räthsel. Sie sind zu einem andern Ziel geboren, als ich. Ihre Gaben, Ihre Erziehung weisen Sie in die Welt!“

Felix hörte mit kindlichem Vertrauen auf seinen Lehrer, schnell auch überkam ihn wieder die Heiterkeit der Jugend. „Der Pater Prior,“ plauderte er, „scheint mir ein guter und leutseliger Mann zu sein, aber – ich darf es Ihnen wohl gestehen – er sieht gar nicht wie ein Klostergeistlicher aus. Ich mußte fortwährend an ein altes Bild denken, das in unserm Schloß hängt. Es soll einer meiner Ahnen, ein Reiterobrist aus dem dreißigjährigen Kriege, sein, ein großer, stattlicher Mann mit rothem Gesicht und kleinen Feueraugen, vor denen ich mich als Kind immer fürchtete. Gerade so sieht Ihr Pater Prior aus, nur daß er keinen Bart und keinen Lederkoller trägt.“

„Der Pater Prior,“ versetzte der Andere in gutmüthigem Scherz, „würde auch dem Soldatenkleid keine Schande machen; er ist stark und tapfer.“

Sie gingen einige Schritte, dann stand Graf Geldern wieder still und fragte plötzlich: „Halten Sie meine Mutter für unglücklich?“

„Vielleicht,“ antwortete Pater Benedict nach einer kurzen Pause. „Doch, wenn sie es ist, ist sie’s nur im Gemüth. Die Herzenswunden aber heilt und vernarbt die Zeit. Der Mann hat noch andere, schlimmere Qualen: Unfrieden und Zwiespalt des Geistes, und das sind Wunden, die selbst die Heilkünstlerin Zeit müde machen.“

Der Knabe nahm ein zierliches Buchzeichen aus seiner Brieftasche. „Dies,“ sprach er, „sendet Ihnen meine Mutter; sie hat es selbst gestickt. Sie möchten unser nie, nie vergessen und für uns beten, waren ihre letzten Worte.“

Benedictus nahm das schlichte Erinnerungszeichen, er sagte nur: „Seien Sie ein guter Sohn, Felix!“ aber er sagte es mit vor Bewegung zitternder Stimme.

„Und denken Sie nicht mehr nach der Stadt zu kommen? Die Schule verehrt Sie so sehr!“

In diesem Augenblicke that ein Wetterleuchten den ganzen Himmel auf, und Benedictus, der das Antlitz erhoben hatte, sah mit verklärtem Blick wie ein ahnungsreicher Seher aus. „Ich werde wohl nicht wiederkommen …“ sagte er leise.

Im Thorweg wartete schon der Diener. „Wir müssen eilen, Herr Graf,“ sprach dieser, „denn es wird ein Gewitter geben. Ueber die Felsen zieht’s kraus und schwarz herauf.“

Sie nahmen Abschied. Von einem bangen Gefühl des Nimmerwiedersehens belastet, drückte der Knabe dem theuren Lehrer immer wieder die Hand, bat um seinen Segen und warf sich zuletzt laut aufweinend an seine Brust. „Stark und still, mein Sohn,“ sagte Benedictus mit seiner sanftesten Stimme. „Gott segne Dich …“

Die Thorglocke klang, und Benedictus ging allein, gesenkten Hauptes, über den Hof in’s Brüderhaus zurück. In den Corridoren huschten die schwarzen Gestalten wie Schatten aneinander vorüber, die Brüder in den matterleuchteten Schlafsaal, die Patres in ihre Zellen. Auch Benedict begab sich in seine Kammer; der Prior ging dicht vor der Thür an ihm vorbei, hoch aufgerichtet und mit widerhallendem Schritt, wie er in Zorn und Erregung aufzutreten pflegte, aber der Gelehrte hatte sein nicht Acht. Bald darauf wurden nach der Ordensregel alle Lichter ausgelöscht, und durch die öden Gänge flackerte nur noch der Schein des aufziehenden Wetters und zuweilen ein scheuer Blick des Mondes aus eilendem Gewölk. Es war ein stummer Kampf in den Lüften, und ungeduldig rauschte das Wasser der Donau dem ersten Gewitter entgegen. In diese geheimnißvollen Schauer einer Frühlingsnacht tönte wie der Pulsschlag der Menschheit der Pendelgang der Thurmuhr.

Im Innern der Kirche brannte, gegen Wind und Wetter wohl verwahrt, die ewige Opferflamme vor dem Hochaltar. Als die Glocke elf schlug, gingen zwei andere Lichter im Kloster auf. Das eine trug aus kühlem Felsenschacht der weinselige Bruder Küfer empor. Als er vorsichtig die Kellerthüre wieder zuschloß, sah er das zweite Licht im ersten Stock des gegenüberliegenden Flügels auftauchen und langsam die Fensterreihe entlang wandeln. Dies Licht trug der Prior. Im vollen Anzug, die schwarze Kapuze über den Kopf gezogen, schritt er auf den Zehen an den Zellen vorüber. Vor der letzten Thür, dicht neben dem Eingang zum Sängerchor, machte er Halt. Es war Benedictus’ Zelle. Der Prior stellte seinen Leuchter auf den Boden und horchte an der Thür. Alles still … In jeder Zellenthüre ist ein Schiebfensterchen angebracht, durch das der Prior seine Mönche beobachten kann. Pater Gregor schob es zögernd zurück und blickte hinein. Ein Wetterstrahl erhellte das enge Gemach. Es war leer, das Lager stand unberührt.

Ein tiefer Seufzer entquoll dem Prior. Er schlug sich vor die Stirn, und auf seinem Antlitz kämpften Gram und Zorn. Dann ergriff er hastig das Licht, eilte zurück, die Treppe hinab und trat durch den Erdflur in die Kirche. Vom Corridor gelangte man in das Schiff der Kirche. Die Wölbung wurde von Pfeilern getragen. Auf den Längeseiten waren je zwei Fensterpaare, links vom Eintretenden gingen sie auf die Hoftreppe, rechts auf den Fluß. Das letzte sich entsprechende Fensterpaar erhob sich aus dem höhergelegenen Hauptchor, nur wenige Fuß über dem Boden. Dazwischen stand der Hochaltar. Der Prior, nachdem er die Thür hinter sich zugezogen, hielt die Hand vor das Licht und blickte aus dem Hintergrund des Schiffs in den gähnenden Raum. Düster, feierlich, still! Nur wenn ein Blitz durch die Fenster flackerte, schienen die weißen Pfeiler plötzlich emporzuzüngeln; die Gestalten im Deckengemälde wurden sichtbar und lebendig, und die bekrönten Knochengerippe in den Heiligenschreinen der Nebenaltäre leuchteten seltsam.

Aber nicht links, noch rechts sah der Prior, sondern starrte vorwärts zum Hochaltar. Dort war die Ampel mit dem ewigen Licht tief herabgezogen, und bei ihrem Schimmer saß ein einsamer Mönch auf den Chorstufen und las. Dieser Mönch war Benedictus. Und so tief war sein Geist im Buche, daß er des Priors Gegenwart erst gewahrte, als dieser, herangeschritten, die Hand auf seine Schulter legte. Er erblaßte und stand auf, aber sein Auge verrieth keine Furcht. So standen sie eine Weile sich schweigend gegenüber, der hochgewachsene, gebieterische Gregor und die bescheidene Gestalt des Gelehrten. Das Flußfenster neben dem Hochaltar war geöffnet, und sie konnten die Wellen der Donau rauschen und an die Mauern schlagen hören. Der erste Donner löste sich langsam und durchwallte die Felsenschlucht.

Der Prior stritt einen schweren Kampf. Im Glanz seiner Augen, im Zucken der Stirnader verrieth sich sein Zorn; er hätte wie das Wetter draußen aufbrüllen und toben mögen, aber er bezwang sich. Langsam schritt er die Stufen empor und that, indem er seinen Leuchter auf die Erde stellte, einen Kniefall vor dem Allerheiligsten. Dann kehrte er sich wieder zu Benedict. Unwillkürlich folgte dieser dem Prior auf den Altartritt und stützte, mit dem Rücken gegen das Fenster stehend, die Hand mit dem Buch auf den Altar.

„Ein heiliges Werk,“ begann der Andere mit einem Blick auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_019.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)