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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

wie geistig. Andere Raubthiere lassen gleichgültig oder werden gefürchtet. Der Bär wird geachtet und verehrt. Die feierlichen Gebräuche zur Versöhnung der abgeschiedenen Bärenseele, welche die Indianer Nordamerikas anstellen, die Ehrenbezeigungen, welche sibirische Völkerschaften dem Thiere erweisen, sind nichts anderes, als Erläuterungen unserer eigenen Ansicht.

Es kostet Ueberwindung, ehe man sich eingesteht, daß unsere Anschauungen auf falschen Voraussetzungen oder richtiger auf Mangel an Kenntniß des Bären und seines Wesens beruhen. Wer sich aber vorurtheilsfrei mit Meister Braun beschäftigt, ihn mit anderen Raubthieren vergleicht und sein Wesen einer strengeren Prüfung unterwirft, muß nach und nach doch dahin kommen, sich zu sagen, daß der Bär ein dem allgemeinen Urtheil widersprechendes Geschöpf ist, daß er die Achtung, welche er genießt, nicht verdient.

Das vergangene Jahr hat mir Gelegenheit gegeben, nicht nur unseren braunen Bären, sondern auch seine Verwandten tagtäglich zu beobachten – den braunen Bären in allen Lagen, welche das Gefangenleben eines Thieres möglich macht. Diese Beobachtung hat mein früheres Urtheil gänzlich verändert. Ich habe in einem von Roßmäßler und mir verfaßten Buche, welches Schilderung der Thiere unseres Waldes bezweckt, diesem Urtheil in folgender Weise Worte zu geben versucht: „Der Bär ist ein in geistiger Hinsicht entschieden tief stehendes Thier. Jede Katze, jeder Hund und jeder Marder erhebt sich hoch über ihn. Sein Verstand ist gering. Er besitzt weder große List, noch besondere Beurtheilungsfähigkeit; er hat ein schwaches Gedächtniß und eine nur geringe Erfindungsgabe. Im Verhältniß zu seiner Stärke ist sein Muth nicht der Rede werth. Nur der in höchsten Zorn gebrachte Bär wird furchtbar; für gewöhnlich weicht das gewaltige Thier vor dem schwachen Jagdhunde. Der Bär ist geistig weit unbeholfener, als leiblich. Er lernt wenig und dies Wenige nicht mit Verständniß, sondern nur nach und nach, in Folge der Angewöhnung. Mit anderen Thieren oder mit dem Menschen befreundet er sich nicht. Er erkennt die Oberherrschaft des letzteren an, ordnet sich ihr aber keineswegs aus freudigem Bewußtsein, sondern nur aus Feigheit, in Erinnerung an viele Prügel unter. Dem einzelnen Menschen beweist er selten eine besondere Anhänglichkeit. Er unterscheidet seinen Wärter zwar von anderen Leuten, behandelt ihn aber auch nicht anders, als jeden Fremden, welcher sich mit demselben Geschick wie sein Wärter mit ihm beschäftigt. Jede Handlung des Bären beweist einen schwachen, niedrig stehenden und bildungsunfähigen Geist. Die dem Thiere nachgerühmte Ehrlichkeit ist nur als Plumpheit, die offene Geradheit als Tölpelhaftigkeit zu deuten. Gutmüthig ist der Bär keineswegs; er wird im Gegentheil wie alle tiefgehenden Charaktere augenblicklich zornig, wenn ihm etwas nicht nach seinem Wunsch geht.“

Dieses Urtheil stand fest und war abgefaßt, bevor der Bär des Kölner Thiergartens einen Beleg für seine Richtigkeit lieferte, wie er trauriger nicht gegeben werden konnte. Ich will erzählen, welche Beobachtungen ich gesammelt hatte, bevor ich den Stab über den Bären brach und mir herausnahm, einem Tschudi und anderen tüchtigen Naturforschern zu widersprechen.

Wenige Tage nach Beginn meiner Wirksamkeit als Leiter des Hamburger Thiergartens, zu Ende Januars, brachte mir der Inspector des Gartens die Nachricht, daß die seit October des vorigen Jahres im Zwinger wohnende Bärin zwei Junge geworfen habe. Man kann sich meine Freude denken. Ein junges Thier ist für mich fast dasselbe, was ein neugeborener Mensch für Andere. Seine Entwickelung giebt mir Gelegenheit zu anziehenden, fesselnden Beobachtungen. Ich hoffte solche auch diesmal machen zu können, und – wurde schmählich getäuscht.

Die Bärin hatte sich eine der Zellen des Zwingers zu ihrem Wochenbette erkoren und dort die Jungen einfach auf den Holzboden derselben geworfen. Doch nahm sie Stroh, welches ihr zugereicht wurde, mit Freuden an und machte sich sofort darüber her, ihre Lagerstätte entsprechend zu verbessern. Es schien, als ob sie ihre Kinder mütterlich pflegen werde.

Ich will unentschieden lassen, ob ich einen Fehler beging, als ich anordnete, daß die beiden Eltern getrennt würden. Trübe Erfahrungen, welche früher gemacht wurden, ließen mir solche Trennung gerechtfertigt erscheinen. Ich wußte, daß Meister Braun vom Vaterglück zuweilen eigene Ansichten hat, daß er seine Sprossen erst später als Prinzen von Geblüt anerkennt, bald nach ihrer Geburt dagegen Gelüste zeigt, wie weiland Vater Saturn, der Unersättliche. Vorsicht war jedenfalls angerathen. Die jungen Bärlein waren in der Größe acht Tage alten Jagdhunden etwa gleich, derb vom Leibe, mit dünnen, kurzen, seidenglänzenden, graugelblichen Haaren ziemlich spärlich bekleidet, blind, äußerst hülflos, jedoch sehr gut bei Lunge. Ihre Stimme, welche man häufig vernahm, erinnerte an das Geschrei eines neugeborenen Kindes.

In einem sorgfältig gearbeiteten Bericht des galizischen Naturforschers Pietruwsky hatte ich gelesen, daß eine Bärin, welche von ihm in Haft gehalten worden war und währenddem Junge bekam, diese mit großer Liebe und Zärtlichkeit behandelt, sich um die Außenwelt nicht gekümmert und ausschließlich ihren Kindern gelebt hatte. Die Hoffnungen, welche ich auf unsere Bärin setzte, schienen also gerechtfertigte zu sein. Sie waren dies aber nicht. Ich beobachtete bald, daß unser Bärenpaar sein Glück nicht zu würdigen verstehe. Es schien mir, als ob in der Seele der Mutter die süße Gewohnheit der Gattenliebe mit dem natürlichen Triebe, welcher Zärtlichkeit zum Kinde verlangt, in Streit begriffen wäre. Die Bärin sehnte sich offenbar nach ihrem hohen, wie sie gelangweilten und verstimmten Gemahle. Ihre Sehnsucht ließ sie die Mutterpflichten vergessen. Gefühllos schleppte sie ihre Kinder in der Zelle auf und nieder, unachtsam warf sie die Hülflosen auf den harten Boden hin. Das eine starb schon wenige Stunden nach der Geburt, wie es schien, an Nabelverblutung, das andere folgte ihm zwei Tage später nach. Die abscheuliche Mutter hatte es verschmachten lassen! Unbekümmert um die Leiche ihres Kindes, verlangte sie einzig und allein nach dem Bären, und als ihr Begehr erfüllt wurde, stürzte sie sich gleichsam frohlockend auf ihn zu, beinah in seine Arme.

Meine Entrüstung über die Erbärmliche wurde gemildert durch diesen Beweis des Gefühls. Ich war pflichtschuldigst erbaut und gerührt von solch treuer Anhänglichkeit an den Gatten. Ich konnte nicht unterlassen, meiner abscheulichen – von einem verkrüppelten Schöngeist auch gebührend gerügten – Angewohnheit Folge zu geben, nämlich den Bären mit dem Menschen, bezüglich dessen eheliche Treue mit der des erhabensten Thieres zu vergleichen. Das Ergebniß meines Nachdenkens söhnte mich aus mit den Bären.

Ich sollte abermals getäuscht werden. Mitte Mai begann die Bärzeit. Wir hatten in unserem Zwinger außer den Eisbären, den nordamerikanischen Baribals und unseren gemeinen Bären noch einen männlichen Aasbären, welcher unverkennbar große Sehnsucht nach weiblichem Umgange an den Tag legte. An der Treue des ersterwähnten Bärenpaares zu zweifeln, wäre mir als Frevel erschienen, und ich ging deshalb um so lieber auf den Wunsch der Gesellschaft, gedachtem Junggesellen zu einer passenden Lebensgefährtin zu verhelfen, ein, als ich hoffte, daß die gegenseitige Hingebung des ersten Bärenpaares auch dann nicht gestört werden würde, wenn ich ein zweites treuinnig verbundenes Paar zu ihm bringen würde. Es wurde also eine Bärin für den verheirathungslustigen Aasbären gekauft und zu ihm gebracht. Die Holde konnte allerdings nicht zu den Schönheiten ihres Geschlechts gezählt werden. Sie hatte ihre erste Jugend auf Reisen zugebracht und als Schaustück in Thierbuden geglänzt. Im Laufe dieses wechselreichen Lebens war sie, vielleicht bei einem unliebsamen Streite mit einem der Herren wandernden Thierkundigen, um eins ihrer Augen gekommen. Aber sie war ein Weib und bewahrte jedenfalls die Würde und wenigstens einige Reize ihres Geschlechts.

Petz, der ehrlose Bär, war sichtlich erfreut, mit ihr vereinigt worden zu sein. Er schien die Schönheitsmängel der ihm Bestimmten als Folge neidischer Mißgunst des Schicksals zu betrachten, mit welcher oder welchem nicht zu rechten. Mit großer Zärtlichkeit nahte er sich ihr, und bald hatten sich Beide verständigt. Die Zeit schien günstig, das verbundene Paar dem andern zuzugesellen. Es geschah. Die Thür der Zelle wurde aufgewunden, die einäugige Bärin schritt voran, ihr Gemahl, dessen Brust Hochgefühle zu durchwogen schienen, folgte. Beide befanden sich im Zwingerraume, mit dem anderen Paare zusammen.

Eine allgemeine Bestürzung sämmtlicher Bären war die Folge meines übereilten Beginnens. Sämmtliche vier Bären schlugen in seltener Uebereinstimmung klappend ihre achtungswerthen Gebisse zusammen, schnaubten, brummten, brüllten. Sie fürchteten sich gegenseitig, wie die beiden alten Weiber in Gellert’s Fabel. Die frühere Eigenthümerin der Wohnung stieg auf den Kletterbaum und sah ängstlich nach unten; die Neuvermählte gerieth in Todesangst, gedachte plötzlich vergangener Zeiten und begann alle Unarten zu

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