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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

für die eines Jägers, der dem Marde nachgelaufen wäre, halten konnte, so rechnete ich doch bestimmt darauf, daß der alte Herr zu bequem sein würde, vom Pferde zu steigen und dem Gelaufe nachzugehen. Also, daß er mich etwa erwischen könnte, darum war mir nicht bange, wohl aber, daß der Spectakel in der Buche grade losgehen möchte, wenn der alte Schneesieber vorbeiritt. Mit Zittern sah ich deshalb den Reiter näher und näher kommen, und ’s war mir doch, als wenn ich selber in die Luft fliegen sollte, als ich plötzlich ein Fünkchen vom Salpeterschwamm im Buchenloche aufspritzeln sah, wobei ich schon im Geiste den Krach vernahm, der meiner Meinung nach nun augenblicklich erfolgen mußte. Aber es blieb still – das Feuer konnte das Pulver noch nicht erreicht haben. Schon hoffte ich, daß der Förster wenigstens ein gehöriges Stück von dem elendigen Baum wegkommen würde, ehe der Teufelskram losginge, wenn nicht gar der Schuß „crepirt“ wäre. Aber es sollte dennoch anders kommen. Denn wie der Herr vielleicht nur noch fünfzehn Schritt vom Unglücksstamm entfernt war, that’s doch einen Platz, daß ich mir einbildete, die Erde müsse mich verschlingen – und die Buche flog in die Luft. Zu gleicher Zeit stürzten aber auch Pferd und Reiter zusammen, und eine Schneewolke wirbelte in die Höhe, daß man nichts mehr um sich sah. Dazu flogen die Aeste der alten Mordsbuche wie Schwärmer klirrend im Gezweige der anderen Bäume herum und stürzten neben mir prasselnd zur Erde, so daß mich ein Schrecken überfiel, wie ich ihn in meinem Leben noch nicht gehabt. Und nicht etwa um mein elendiges Leben war mir’s zu thun, ich hatte nur den armen alten Mann, den ich naturlich für todt hielt, im Sinne. Wie ein Wahnsinniger riß ich deshalb aus, und in meinem Leben will ich die Angst nicht vergessen, die ich den Tag über und die folgende Nacht ausgestanden habe, da ich mich natürlich für einen Mörder halten mußte; denn an den Unglücksplatz hinzugehen, um mir Gewißheit zu verschaffen, getraute ich mir nicht. Aber Gott sei’s heute noch gedankt, wir waren Alle, der Förster, ich und das Pferd, wie sich’s später auswies, mit dem bloßem Schrecken davongekommen! Der weiche Schnee hatte nämlich den Sturz des alten Mannes unschädlich gemacht, und Stücke des Baumes, der total zum Teufel gegangen war, hatten ihn sowohl als auch das Pferd unverletzt gelassen.

Daß aber der Förster Z. ein kreuzbraver Ehrenmann, überhaupt der einzige vernünftige Jäger ist, den ich habe kennen lernen, das habe ich dazumal erfahren. Als mir nämlich des andern Tages die Angst keine Ruhe mehr ließ, ging ich, um mich selbst anzuzeigen, in’s Forsthaus. Aber gleich bei meinem Eintreten sah ich zu meiner unaussprechlichen Freude den Todtgeglaubten frisch und gesund im Hausflur stehen, wo ich ihm nun selber mein Vergehen berichtete. Da schalt er mich zwar – die Seele von einem Mann – zwar einen Himmelsschwerenöther über den andern und zankte mich überhaupt tüchtig aus, aber versprach mir auf meine Bitten dabei doch, diesmal noch ein Auge zudrücken zu wollen und keine Anzeige zu machen. Und er hat mir schlechtem Kerl auch richtig Wort gehalten!“

Aus solchen und ähnlichen Offenbarungen folgerte ich denn doch, daß ein fortgesetzter intimer Umgang mit ihm mich endlich nicht nur mit dem Gesetze in Conflict bringen möchte, sondern mich auch den jägerlichen Freunden, die ich mir nun schon seit geraumer Zeit erworben hatte und denen ich mit wahrer Leidenschaft anhing, entfremden müsse, wenn sie erführen, daß ich mit ihrem Gegner fraternisire. Mit einem Worte: der Knabe Karl fing an, mir fürchterlich zu werden! Weil ich ihn deshalb mehr und mehr bei Seite liegen ließ, er mich aber zu wiederholten Malen im Walde mit einem Forstgehülfen, dem Sohne eines Revierförsters der Haide, hatte verkehren sehen, und zwar, da ich unter der Leitung meines jungen Freundes meine ersten Jagdstudien zu betreiben begann, mit Gewehr und Tasche, so mochte mich Pulverfuchs für einen Spion halten und dehnte deshalb seinen Haß jetzt auch auf mich, wie auf Alle aus, die der Jägerei anhingen. Davon machte er mir wenigstens einmal, als er mich im Walde allein traf, unumwundene Mittheilung, wie er denn überhaupt mit Auslassung seines Zornes nicht hinter dem Berge hielt. So verging er sich wider mich nicht nur mit Redensarten, als: „grünitziger Hund“, „spionirender Jägerknirps“ u. s. w., sondern er drohte mir auch noch als ich ihm scharf entgegentrat, sich thätlich an mir vergreifen zu wollen, so daß ich mich wahrhaftig genöthigt sah, den Nickfänger in die Hand zu nehmen, um für alle Eventualitäten bereit zu sein. Von da an, aber noch mehr nach einem spätern nochmaligen unmittelbaren Zusammentreffen mit ihm, wo ich mich noch dazu in Gesellschaft eines Unterförsters befand, der ihm, dem schon Gekannten, den Weg vertrat, um ihn in meinem Beisein Als verdächtiges Subject zu visitiren, wurde er mein entschiedenster Feind. Denn trotzdem ich bei dieser Untersuchung, die einen Nickfänger, Angelschnuren und Dohnen ergab – welche Gegenstände sich in diversen Löchern an der inneren Seite seiner als geheime Taschen benutzten Rockärmel vorfanden – ihm die Brücke zu treten versuchte, indem ich für ihn bat, so sagte er mir geradezu in’s Gesicht, das sei nur Verstellung von mir, denn ich sei doch nur der „niederträchtige Anstifter“ solcher Hudeleien. Drohend rief er mir, als er abgepfändet und zur Anzeige aufgeschrieben worden war, noch nach, ich sollte nur meine verdammten Knochen vor ihm in Acht nehmen, denn wenn er mich einmal zur passenden Zeit erwische, zerschlüge er mir dieselben, daß ich sie nur im Schnupftüchel heimtragen könnte! „Ruppige Jägernase!“ fügte er der Drohung, dabei giftig ausspuckend, hinzu. Ausdruck und Pantomime bezog mein Freund Förster aber auf sich und gerieth darüber so in Harnisch, daß er dem Schimpfenden nachlief, diesen nochmals packte und so lange abschüttelte, bis Pulverfuchs seinen Ausdruck dahin modificirte, daß er nur mich gemeint habe. Pulverfuchs hat indessen, wie ich es von seiner wirklichen Gutherzigkeit auch nicht anders erwartet hatte, seine Drohung gegen mich nie wahr gemacht, so oft ich noch ganz allein mit ihm im einsamen Walde zusammengetroffen bin. Er mied nur geflissentlich jede Annäherung.

Einstmals stieß ich ganz zufällig auf ihn, als mich ein Pürschgang mit dem Förster schon vor Sonnenaufgang tief hinein in den Wald geführt hatte. Lautlos schlich ich auf dem mir bezeichneten Pürschpfade hin, während der Förster nach einem Gehau gegangen war, als mir ein tiefes Schnarchen die Anwesenheit eines Menschen verrieth, der im Dickicht sein Lager aufgeschlagen haben mußte. Darauf hinschleichend, stand ich bald vor einem in eine wollene Pferdedecke gehüllten thaunassen Schläfer, der Niemand anders war – als Pulverfuchs. Aus Neugier lüftete ich, da der Obdachlose beharrlich fortschnarchte, das neben ihm liegende Bündel und fand darin außer einem kleinen Gebauer, der wahrscheinlich für junge auszunehmende Vögel bestimmt war, reichliche Lebensmittel. In einer Anwandlung von Humor breitete ich nun das Tuch, das die genannten Gegenstände umfaßte, vor ihm aus und servirte seine kalte Küche darauf, die ich noch durch ein paar Würstchen aus meiner Jagdtasche vermehrte. Auch die Flasche Nordhäuser, sowie sein „Pimpelmännchen“, – beide Erquickungen enthielt sein Fouragesack – stellte ich auf. Zum Ueberfluß legte ich noch einen aus dem Neste gefallenen halbnackten todten Eichelhabicht, den ich unterwegs gefunden und als Futter für eine Eule, die ich zu Hause besaß, eingesteckt hatte, hinzu und zog mich ungesehen zurück. Lachend schlüpfte ich dann vollends aus dem Dickicht hinaus, um meinen Pürschgang fortzusetzen. Was der Strolch über sein „Tischchen decke dich!“ gedacht haben mag, ist mir niemals kund geworden. Nur so viel weiß ich, daß der Schläfer bald aufgewacht sein mußte, denn auf dem Rückwege ging ich noch einmal an die Stelle, und – der Fuchs war aus dem Bau verschwunden!

Von dieser Zeit an habe ich ihn niemals wieder im Walde erblickt, so oft ich auch noch hineinkam. Vielleicht, daß er den Scherz für Spuk oder Zauberei genommen und deshalb die Gegend gemieden hat, – denn abergläubisch war er wie ein Heide. Endlich, nach Jahren, sah ich ihn einmal wieder, aber nicht im Walde, sondern – in der Stadt. Da stand er vor einem Trödelhandel und feilschte um eine Reiterpistole. Um ihn durch meine Annäherung nicht etwa zu verscheuchen, trat ich der Tausenderlei bietenden Kaufhalle gegenüber in ein Haus, von wo aus ich ihn in aller Ruhe beobachten konnte. Er war ein stämmiger Kerl mit echter Vagabundenphysiognomie geworden, die seine Kleidung, welche in einer alten Soldatenjacke, in die Stiefeln gesteckten leinenen Hosen und einer böhmischen Jägermütze bestand, so recht zur Geltung kommen ließ. Außerdem trug er eine Jagdtasche, an deren Riemen er mit der Fangleine ein allerliebstes Dachshundchen gefesselt hielt. Seine ganze Erscheinung hatte den früheren harmloseren Charakter des bloßen Bummlers verloren – sie war vielmehr das echte Bild eines Wilderers geworden. Besonders machte er diesen Eindruck, als er nach böhmischer Wilddiebsart seinen Hakenstock mit dem Griff über die Achsel legte und diesen, gleichzeitig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_830.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)