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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Er ist todt?“

„Ja, Hoheit, er starb vor einem Jahr.“

„Er war ein braver, guter Mann,“ sagte der Kurfürst seufzend. „Ich hegte das größte Vertrauen zu ihm, und ich habe es ihm bewiesen. Ich kann ihm auch keinen Vorwurf daraus machen, daß das Resultat meines Vertrauens unglücklich ausgefallen. Ich habe durch meine Agenten und Bevollmächtigten Alles erfahren, und ich weiß, daß Euer Vater nur nach dem tapfersten Widerstreben und gezwungener Weise den schändlichen französischen Räubern mein Geld ausgeliefert hat. Euer Vater hat sich benommen als ein redlicher und treuer Mann, ich gebe ihm dies Zeugniß noch in das Grab, und was die drei Millionen anbelangt, die ich ihm übergeben, so habe ich sie verschmerzt. Nicht deshalb ließ ich Euch rufen, es sind mir Gott sei Dank noch einige Millionen geblieben, und die wollte ich Eurem Vater übergeben, daß er sie mir sicher anlege. Ich beklage es, daß er gestorben, denn wie gesagt, er war ein redlicher, treuer Mann, und es ist nicht seine Schuld, daß meine drei Millionen verloren gegangen.“

„Hoheit,“ sagte Anselm Rothschild lächelnd, „Ihre Millionen sind nicht verloren gegangen!“

„Wie meint Ihr das? Es ist also nicht wahr? Man hat Euren Vater nicht ausgeplündert?“

„Ja, Hoheit, das ist wahr. Aber mein Vater hatte Eurer Hoheit geschworen, Ihnen das ihm anvertraute Gut zu bewachen, und er hat seinen Schwur erfüllt. Er übergab den Franzosen, die ihn mit dem Tode bedroheten, sein eigenes Vermögen und rettete dadurch die drei Millionen Eurer Hoheit.“

„Sodaß meine Millionen also wirklich nicht verloren gegangen sind!“ rief der Kurfürst mit aufleuchtendem Gesicht.

„Hoheit, das Haus Rothschild ist bereit, wenn Eure Gnaden es befehlen, die drei Millionen sofort auszuzahlen, nebst den üblichen Zinsen, vom Tage des Empfanges an.“

Der Kurfürst blickte staunend, athemtos in das ruhige, unbewegte Gesicht des Banquiers. „Alles?“ fragte er nach einer Pause. „Ihr konntet mir Alles verleugnen, und Ihr gebt mir Alles, das Capital sowohl, wie die Zinsen?“

„Es ist selbstverständlich, Hoheit,“ erwiderte der Banquier ruhig. „Nur um Eins ersuchet das Haus Rothschild Eure Hoheit, nämlich um dieses: daß Ihr wollet in Anbetracht der schlimmen Umstände, unter denen unser Vater Eure Millionen rettete, nicht bis zum heutigen Tage von den Zinsen den Zins fordern, sondern diesen Zins uns anrechnen für die jahrelange Verwaltung der drei Millionen. Wir sind bereit über Alles Rechenschaft abzulegen.“

„Aber ich bin nicht bereit sie entgegenzunehmen,“ rief der Kurfürst lebhaft. „Herr Banquier Anselm Rothschild, Ihr seid der würdige Sohn Eures Vaters. Ich habe einmal vor Eurem Vater beschämt die Augen niederschlagen, vor seinem Sohne will ich es nicht. Ihr sollt mir die drei Millionen nicht auszahlen, sie bleiben in Eurem Geschäft, und es darf keine Rede mehr sein von den Zinsen und Procenten, die Ihr mir anbietet vom Tage des Empfanges bis zu dieser Stunde. In diesem Augenblicke erst übergebe ich Euch meine drei Millionen, Herr Banquier Rothschild, und erst vom heutigen Tage an könnt Ihr mir Procente berechnen, doch dürfen dieselben nicht mehr als die Hälfte des üblichen Zinsfußes betragen.“

„Eure Hoheit, ich weiß nicht, ob ich diese Großmuth annehmen darf, und –“

„Still,“ unterbrach ihn der Kurfürst ernst, „redet nicht von Großmuth, sonst müßte ich bekennen, daß Ihr es seid, der sie geübt, Ihr, der Banquier gegen den Kurfürsten. Aber ich habe in diesen Jahren der Verbannung viel Neues begriffen, und der fürstliche Hochmuth hat sich beugen gelernt und eingesehen, daß es außer den legitimen Fürsten noch andere Fürsten giebt, und daß das Geld ebenso gut Throne aufrichtet, wie die Geburt. Wir conferiren also Macht gegen Macht, Herr Anselm Rothschild. Ich bin der Kurfürst, Ihr seid der Geldfürst. Und wer weiß, vielleicht ist der Geldfürst zuletzt mächtiger als der Kurfürst. Was ich dann thun kann, Euch Macht in die Hände zu geben, das soll geschehen. Ihr sollt sehen, Herr Geldfürst, daß der Kurfürst nicht undankbar ist, und daß er sich nicht schämen wird, laut gegen Jedermann zu bekennen, wie viel Dank er Euch schuldet!“

Und der Kurfürst hielt seinem Banquier, dem Oberhofagenten Rothschild, den er zum hessischen Finanzrath ernannt, sein Wort, hielt ihm besser Wort, als seinem Volk, dem er die versprochene Constitution bald wieder nahm.

Als die Fürsten alle in Wien sich zum Congreß versammelten, als dort, wie der Fürst von Ligne sagte, „die europäischen Fürsten ihre Ferien feierten“, als dort „der Congreß tanzte, aber nicht vorwärts schritt“, da erzählte bei einem der heitern festlichen Gastmahle der Kurfürst von Hessen den anwesenden Königen und Fürsten die Geschichte seiner drei Millionen und der Redlichkeit des Hauses Rothschild. Und staunend vernahmen die Fürsten diese seltene Mähr, und Jeder dieser gekrönten Herrn erklärte sich freiwillig bereit die seltene Redlichkeit zu lohnen. Und dies Mal hielten alle Fürsten Wort. Oesterreich erhob die Gebrüder Rothschild in den Freiherrnstand, Preußen ernannte sie zu Geheimräthen, die andern Fürsten decorirten sie mit Orden, und alle Fürsten, die kleinen wie die großen, wenn sie des Geldes bedurften, wandten sich an das Haus Rothschild, an die Geldfürsten, von denen man bald sagen konnte, daß sie mehr als die legitimen Fürsten über Krieg und Frieden zu entscheiden hatten.

Gudula, die Stamm-Mutter des Hauses Rothschild, die treu verblieb in ihrem kleinen Hause in der Judenstadt, obwohl die Söhne längst sich fürstliche Paläste gebaut da draußen auf der Zeil und anderswo im schönen Frankfurt, in Wien, Paris, Neapel und London, Gudula kannte auch gar wohl die Macht ihrer Söhne, der Geldfürsten. Als im Jahre 1830 eine Nachbarin weinend zu ihr kam und klagte über die Revolution, die in Frankreich und Polen ausgebrochen, und daß es nun wohl zum großen Kriege kommen werde, da antwortete Madame Gudula lächelnd und stolz: „Sei Sie ohne Furcht, meine Gute. Ich werde meinem Sohn sage, daß er dene Fürschte soll nit gebe Geld, und dann können die Fürschte keinen Krieg mache.“




Der Dichter der Gartenlaube.
(Mit Portrait.)

Aus den grünen Waldbergen Thüringens ist eine farbenreiche Sage in das deutsche Land hinausgegangen von einem Liederkampfe, den vor grauen Zeiten berühmte Meistersänger auf der Wartburg kämpften. Es soll ein Ringen auf Tod und Leben gewesen sein. Die Geschichtsschreiber freilich behaupten, daß Alles, was man von diesem Sängerkrieg zwischen Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen und dem geheimnißvollen Klingsor erzählt, eine Fabel sei, erfunden von den Dichtern späterer Jahrhunderte. Indessen, wie dem auch sei, ob Fabel, ob Wahrheit: das Schauspiel zeigt sich noch täglich vor unsern Augen.

Wie viele junge, glühende Seelen, begierig nach dem Dichterpreis, stürzen sich noch jährlich in die Arena und lassen ihre Leier erklingen! Und wie Viele verlassen nicht mit zerbrochener Harfe und zerstörten Hoffnungen, den bittern Schmerz der Enttäuschung im Herzen, die Schranken! Wie wenig Glückliche erringen sich ein Blatt aus dem Lorbeerkranze, welcher Anstrengungen, welcher Gunst des Schicksals bedarf es nicht, um nicht das Loos jener Schaar zu theilen, für die das Publicum ein kaltes, spöttisches Lächeln oder höchstens ein mitleidiges Achselzucken hat! Ist das nicht auch ein Kampf auf Tod und Leben, wie jener Sängerkrieg auf der Wartburg? Nur mit dem Unterschiede, daß der Besiegte nicht zu den Füßen einer schönen Fürstin flüchten und deren Huld und Schutz anflehen kann, sondern daß er langsam verkümmert und jahrelang stirbt an jenem spöttisch-kalten Lächeln und dem mitleidigen Achselzucken. Wer hieß den Narren auch die Feder in die Hand nehmen und unter die Poeten gehen! Wäre er Bierbrauer oder Bäcker geworden, das sind unstreitig sichere Professionen. Mit einem Worte: es geht bei den modernen Sängerkämpfen zwar nicht so prachtvoll-phantastisch zu, wie bei denen im Mittelalter, wohl aber nicht weniger ernsthaft und viel erbarmungsloser.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_823.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)