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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„So begebt Euch jetzt hinunter in die Keller,“ befahl der Officier, „nehmt Hacke und Spaten mit, untersucht den Keller ganz genau, und wenn Ihr auch dort nichts findet, ist die Untersuchung beendet und die Execution beginnt.“

„Mayer Anselm,“ schrie Gudula in Verzweiflung, „errette mir den Vater Deiner Kinder, errette Dein Volk!“

Ihr Gatte richtete sich empor und athmete hoch auf, man sah es wohl an seinen zuckenden Zügen, er hatte einen letzten Kampf mit sich selber gekämpft. Der Schweiß stand in großen Tropfen auf seiner bleichen Stirn, und als er dann sprach, war seine Stimme matt und gebrochen.

„Nun wohl,“ sagte er, „ich gebe nach. Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht anders kann, daß ich mich unterwerfen muß. Herr Hauptmann, rufen Sie Ihre Leute zurück, lassen Sie mein Haus nicht ganz und gar zerstören. Geben Sie Befehl, daß sie sogleich Alle mein Haus verlassen und meine Kinder freilassen, und ich bin bereit, das mir anvertraute Geld herauszugeben.“

„Endlich!“ rief der Officier. „Ich sage Ihnen, Mann, Sie standen bereits mit einem Fuß im Grabe, denn ich hätte Sie erschießen lassen, ich hatte strengen Befehl dazu. Das Flehen Ihrer Frau, welches Ihren Starrsinn erweichte, hat Sie vom Tode errettet. Meine Herren Officiere, bringen Sie den Soldaten die Ordre, daß die Untersuchung beendet ist, verlassen Sie mit den Mannschaften sofort das Haus und postiren Sie sich mit denselben auf der Straße bis auf weitere Ordre. Nur die Posten hier an der Thür bleiben noch.“

Die Officiere verließen das Zimmer, und der Hauptmann wandte sich wieder dem Banquier zu. „Jetzt, mein Herr, erfüllen Sie Ihr Versprechen. Uebergeben Sie mir die Gelder.“

Mayer Anselm stieß einen letzten bangen Seufzer aus und schien nach Athem zu ringen. „Gudula,“ sagte er dann mit sanfter, bittender Stimme, „gehe jetzt hinaus. Man wird Dich nicht länger zurückhalten. Begieb Dich in das Familienzimmer und erwarte mich dort mit unsern Söhnen und Töchtern. Ich werde zu Euch kommen, sobald ich die Geschäfte mit diesem Herrn beendet habe.“

Gudula nahm seine ihr dargereichte Hand, drückte einen langen inbrünstigen Kuß auf dieselbe und grüßte ihn mit ihren Augen, dann schlich sie schweigend und demüthig hinaus.

Mayer Anselm wartete, bis die Thür sich hinter ihr geschlossen hatte, bevor er entschlossenen Schrittes durch das Gemach ging nach der gegenüberliegenden Wand. Er nahm von derselben das Bild ab, welches sich über seinem Repositorium befand. Eine kleine eiserne Thür ward sichtbar. Der Banquier zog aus seiner Brusttasche einen Schlüssel hervor und öffnete dieselbe. Man sah nun in einen in der Mauer angebrachten Verschlag, der ganz und gar mit Geldrollen, gefüllten grauen Leinenbeuteln und Papieren angefüllt war.

„Hier, mein Herr,“ sagte Mayer Anselm mit tonloser Stimme. „Es sind zwei Millionen achtmalhunderttausend Thaler in Gold, in Barren und in guten Werthpapieren.“

Zwei Stunden später trat Mayer Anselm in das Familienzimmer ein, in welchem er seine Frau, seine Söhne und Töchter versammelt fand.

Er grüßte sie Alle mit einem Neigen seines Hauptes, und ein wunderbarer Friede, eine stolze Freudigkeit war in seinen Zügen ausgeprägt. Mitten in dem Gemach blieb er stehen, hochgehobenen Hauptes, fester Haltung, wie ihn die Söhne nur in großen, entscheidenden Momenten gesehen.

„Söhne meines Herzens und meiner Liebe,“ sagte er, „als ich Euch zu Theilnehmern machte in meinem Geschäft, welches war da das Wort, welches ich Euch gab zum Gesetz Eures Lebens? Antworte Du, Anselm, im Namen Deiner Brüder. Wie lautet das Gesetz, das ich Euch gegeben?“

„Seid treu Euch selber und denen, welche Euch vertrauen,“ sagte der junge Mann feierlich. „Haltet fest an dem Glauben Eurer Väter, haltet fest an Arbeit und Ehrlichkeit. Heilig sei Euch Euer Wort, und was Ihr versprochen habet, das sei so unverbrüchlich, daß man darauf bauen kann wie auf einen Fels. Verschmähet nicht den kleinsten Gewinn, wenn er gemacht wird auf ehrliche Weise, verschmähet den größten Gewinn, wenn Ihr dabei müßt niederschlagen die Augen vor der Redlichkeit und Treue. So habet Ihr gesprochen, Vater, und ich hoffe, Ihr werdet uns geben das Zeugniß, daß wir darnach gelebet und gehandelt.“

„Und ich hoffe,“ rief ihr Vater mit begeisterter Stimme, „und ich hoffe, Ihr sollet in meiner Sterbestunde auch mir geben das Zeugniß, daß ich darnach gelebt und gehandelt. Meine Söhne, ich hatte einem Manne, der mir sein Geld anvertraute, mit dem heiligsten Eide geschworen, es ihm aufzubewahren und zu behüten, es zu vertheidigen mit meinem Leben. War ich verpflichtet, ihm Wort zu halten?“

„Ihr wart verpflichtet, ihm Wort zu halten,“ riefen die Söhne wie aus einem Munde.

„Und wenn ich sein Geld retten konnte, indem ich das meine hingab, mußte ich es geben?“

„Ihr mußtet es geben, Vater!“

„Nun wohl, ich habe meine Schuldigkeit gethan. Ich habe mein gegebenes Wort erfüllt. Das mir anvertraute Geid und Gut ist gerettet, aber mein und Euer ganzes Vermögen und Alles, was wir gehabt im Geschäft, ist verloren. Ich bin wieder ein armer Mann.“

„Nein,“ rief Gudula, und auf ihrem gealterten Gesicht glänzte ein Strahl der ewigen Jugend und der ewigen Liebe, „nein, Du bist reich, Mayer Anselm, denn Du bist ein braver Mann, Du hast ein Weib und Söhne und Töchter, welche Dich lieben. Du hinterläßt Deinen Kindern einen ehrenvollen Namen und ein reines Gewissen.“

Mayer Anselm stieß einen Freudenschrei aus und zog sein Weib an seine Brust. „Gudula,“ rief er, „ich sage Dir heute, wie ich es Dir damals sagte, als Du die Braut wurdest des armen Mayer Anselm: Ich bin ein reicher Mann, denn Dein Herz ist ein Schatz, der unvergänglicher ist, als Geld und Gut! Meine Söhne, unser Reichthum ist verloren, aber nicht unsere Kraft. Wir werden wieder von Neuem anfangen. Wir werden arbeiten, und Gott wird uns seinen Segen geben!“

– – – Und Gott gab seinen Segen! Das Haus Rothschild wuchs und gedieh, und sein Credit war nicht einen Augenblick erschüttert. Niemand wußte ja, daß Mayer Anselm sein Vermögen verloren, nur das hatte man erfahren, daß Mayer Anselm von den Franzosen gezwungen worden, die ihm anvertrauten Gelder des flüchtigen Kurfürsten herauszugeben, und Niemand tadelte ihn deshalb, denn man wußte, daß er nur der äußersten Gewalt gewichen war.

Und so verging die Zeit, und es kamen für das erniedrigte und in den Staub getretene Deutschland die Tage der Erhebung, die Tage der Rache. Das Volk, welches so lange wie ein gebändigter Löwe am Boden gelegen unter den Füßen des Allgewaltigen, das deutsche Volk brach seine Ketten, und stand auf, und ward sich seiner Kraft bewußt, und zwang seine Fürsten abzulassen von dem Usurpator und die nationale Sache zu der ihrigen zu machen. Das deutsche Volk erkämpfte sich seine Freiheit, seine Ehre wieder, und im Jahre 1813 am 18. October, da nahm es seine Rache, da übte es Vergeltung, da trieb es Napoleon mit seinen flüchtigen Schaaren hinaus aus Deutschland, und dann, dann nahm der großmüthige Löwe freiwillig seine Ketten wieder auf, und ordnete sich wieder unter seinen Bändigern und seinen Herren, rief seine verjagten Fürsten zurück, und aus den freien deutschen Männern wurden wieder deutsche Unterthanen von achtunddreißig Fürsten.

Auch der Kurfürst von Hessen kehrte nach der gewonnenen Schlacht bei Leipzig wieder heim in seine Staaten, und sein Volk, das großmüthig all’ die Unbill, welche der Kurfürst ihm früher angethan, vergessen hatte, sein Volk nahm ihn wieder an zu seinem Herrn.

Nachdem die Tage der Huldigung vorüber waren, begab sich der Kurfürst nach Frankfurt, und sein erstes Geschäft war, daß er nach dem Banquierhause Rothschild sandte, und den Chef desselben zu sich entbieten ließ.

Eine Viertelstunde später meldete man dem Kurfürsten den Banquier Anselm Rothschild, er befahl ihn einzulassen, und schritt hastig nach der Thür hin.

Aber es war nicht Mayer Anselm Rothschild, welcher da eintrat, sondern ein jüngeres Abbild von ihm, ein Mann von kaum vierzig Jahren.

„Wer seid Ihr, mein Herr?“ fragte der Kurfürst hastig. „Ich sandte nach meinem Hofagenten, dem Mayer Anselm Rothschild.“

„Hoheit, er konnte Eurem Rufe nicht folgen, denn Gott hat ihn zu sich gerufen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_822.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)