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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Aus dem nordamerikanischen Bürgerkriege.
Von einem deutschen Freiwilligen.


3. Schuß um Schuß.

Eine Abtheilung meiner Compagnie „berequirirte“ wieder einmal die Farmer in der Umgegend von Fairfax. Diese Farmer waren der Unionssache nicht gewogen, der Armee noch weniger hold. Waren wir da, sahen wir ihnen Auge in Auge, so waren sie loyal. Wendeten wir den Rücken, so rissen sie sicher das beste Pferd aus dem Stalle und, die Büchse über die graue Jacke mit schwarzen Aufschlägen gehangen, galoppirten sie in’s feindliche Lager. Mancher von uns hatte schon beim nächsten Gefecht in dem Rifleman, der auf ihn anlegte, seinen Gastfreund vom nur vergangenen Tage zu erkennen geglaubt. Wenige Wochen, ja Tage nur später saß aber dieser Gegner ganz ruhig und unschuldig wieder auf seiner Farm, wenn diese wieder im Bereiche unserer Macht lag. Ihm war es natürlich nicht eingefallen gewesen, auf uns zu schießen, höchstens, wenn er nicht krank zu Bett gelegen, hatte er einen Geschäftsritt gemacht. Nicht alle Farmer aber waren so kriegerisch und schlagfertig. Die, welche es nicht waren – davon hatten wir sämmtlich die Ueberzeugung – thaten jedoch das Mögliche, dem Feinde durch Lieferungen aller Art, von Reit- und Zugthieren, Lebensmitteln und dergleichen, allermindestens und allermeist aber durch sichere Nachricht über unsere Stärke, Aufstellung, Pläne etc. Vorschub zu leisten und uns Abbruch zu thun. Dieses Spionirsystem war – wir konnten daran nach den Erfolgen nicht zweifeln – auf das Vollständigste organisirt. Der Nachbar ritt zum Nachbar, dieser zu dem weiteren – eine Frau, ein Kind, ein Neger, ja ein Hund stattete den Nachbarsfrauen, Kindern, Negern, Hunden „freundschaftliche Besuche“ ab, und doch dienten eben diese Besuche mündlichem oder schriftlichem Verrathe gegen uns.

Wir saßen im Spinnennetze, wir kannten die Spinnen – allein alle Schlauheit unsererseits war vergeblich, wir konnten keine dieser Spinnen beim Ziehen ihrer Fäden ertappen – sie waren auf steter Hut, sie waren eben schlauer als wir. Wir thaten nur, was wir konnten. Wir „berequirirten“ sie fleißig, fast unablässig, das heißt, wir forderten ihnen eine Quote ihrer landwirthschaftlichen Erzeugnisse jeglicher Art ab für die Union und in deren Namen, für unser dringendes, unabweisbares Bedürfniß. Natürlich erhielten sie dafür eine von dem Oberst oder Major oder den sonstigen Befehlshabern ausgestellte schriftliche Anweisung (Bon) auf Zahlung im Hauptquartiere zu Washington. Allein ihr Schuldbewußtsein – vielleicht auch andere Umstände, die wir schon bei der Aushändigung dieser Bons so gut kannten, wie sie – hielt sie meist davon ab, von diesen Anweisungen Gebrauch zu machen. Im Uebrigen verlautete ziemlich allgemein, daß, wenn Einer einmal doch in Washington den Versuch gemacht, derselbe an irgend einem Formfehler oder sonstigem Mangel des Bons gründlich gescheitert sei. – Soldaten sind eben keine Diplomaten – oder sind sie es dennoch?

Nicht alle Farmer huldigten aber der von mir gedachten politischen Richtung der Mehrzahl. Es gab auch Ausnahmen, und eine solche lernte ich kennen auf dem Eingangs erwähnten Requisitionszuge im October 1862.

Ich war von meinen Cameraden abgekommen, als der Abend schon hereinbrach. Mein Ruf erreichte sie nicht mehr. Bald umringte mich dichte Finsterniß. Ich wußte nur, daß ich etwa vier Meilen Weges bis zu meiner Lagerstelle zurückzulegen hatte, in welcher Richtung aber, das war mir völlig unklar. So lange ich noch Kraft hatte, marschirte ich dennoch auf gut Glück weiter. Das einzige Glück, das mir dabei zu Theil wurde, war eine neue wollene Decke, die ich heute Nachmittag requirirt hatte, denn es fing auch noch an zu regnen. Der Boden ward sehr schlüpfrig, er wich förmlich unter meinen immer wankender werdenden Schritten. Ich konnte nicht weiter. Ich blieb unter einem Baume, an dessen Stamm ich so derb angeprallt, daß der Rückstoß mich zu Boden geworfen, liegen. Ich nahm den Unfall für ein Omen, wickelte mich dichter in die Decke und machte mir’s bequem, etwa so, wie ein Hund es sich bequem macht, wenn er nach sechsmaligem Umdrehen und einigem Kratzen auf die harten Dielen sich knurrend auf ihnen weich bettet. Dieser Vergleich kam mir eben in den Sinn und erheiterte mich fast, als ich schnell auffuhr. War ich wirklich ein Hund geworden und hatte eben unwillkürlich nach meiner neuen Art, meine Empfindungen auszudrücken, mich geäußert? Oder träumte ich nur? Dem dumpfen Knurren, so dicht an meinem Ohre, daß es mir eben geschienen, als kämen die Töne aus meinem Innern, folgte, offenbar von einem Hunde, so lauter Anschlag, daß ich den heißen Athem der Bestie spürte und, mich um und um kugelnd, eiligst meine Ohren aus dem Bereich der Zähne des Inhabers dieser fürchterlichen Stimme zu bringen mich bestrebte. Dadurch hatte ich mich aus der Decke herausgerollt und erwartete nun, stehend und zum Schlag mit dem Büchsenkolben bereit, das Weitere. Abermaliges kurzes, dann anhaltendes Gebell, aber in größerer Entfernung als das erste, wie mir schien am nämlichen Platze, wo jenes erschollen war.

Schnell entschlossen rückte ich, die Büchse vor mich hinstreckend, gegen den Hund an. Ich hörte sein Anspringen und sein Abprallen. Er umkreiste mich nicht, sprang immer an einer Stelle und erreichte mich nicht. Es mußte ein Hinderniß zwischen uns sein. Mein Büchsenlauf stieß bald auf dasselbe; seine horizontale Wendung nach rechts und links rief das Geräusch hervor, das der Knabe so gern mit einem Stecken verursacht, wenn er an einem Lattenstaket vorbeigeht. Es war unzweifelhaft: ich stand an einer Fenz. „Die Fenz ist da – wem gehört die Farm? Einem Freunde? Das konnte ich hier kaum hoffen. Einem Feinde? Ja, Einem, dem konnte ich schon trotzen – aber wie, wenn (wie oft der Fall) eine nächtliche Versammlung in der Farm stattfand? Dann lieber zurück in die finstere Nacht, in den Regen!“ Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, und schon bereute ich, das Dasein eines Menschen verrathen zu haben. – Horch, was war das? In noch nicht fünfhundert Schritt Entfernung Galoppschlag! Schlugen auch die Hufe nicht schallend auf den breiigen Boden, war das Geräusch deshalb auch bald verklungen, dennoch stand es klar vor mir: eine nächtliche Versammlung galoppirte dort hinweg. Ich zog mich langsam von der Fenz zurück. Der Hund schlug wüthender an.

„Halloh, Hiob, was giebt’s, mein Hund?“ Der Ruf schallte kräftig genug durch die Nacht zu mir. Ich verhielt mich ruhig. Der Hund aber – bellte nicht mehr, er schrie förmlich. „Halt, wer ist da?“ Es klang so entschlossen, so kriegerisch drohend, daß ich mein Schweigen zu bewahren für geratener hielt und meinen Rückzug still fortsetzte. „Halt, halt!“ scholl es feldgerecht, und ebenso feldgerecht krachte augenblicklich die Büchse des Anrufers. Ein Zipfel meiner lose umgehangenen Decke flog so ungestüm von mir weg, daß ich einen Ruck fühlte – die Kugel hatte sich in der nassen Wolle gefangen.

„Halloh, Farmer, gut Freund!“ beantwortete ich die Begrüßung in äußerst vernehmbarem Englisch – „müßt Ihr denn einem Verirrten gleich die Knochen entzwei schießen, wenn er sich in der Finsterniß so an einen Baum gerannt hat, daß ihm Hören und Sehen vergangen ist? Weg mit dem Schießprügel, guter Freund, oder Ihr sollt spüren, welchen Pfiff meine Büchse führt!“

„Verirrt und habt eine Büchse und steht an einer Fenz – Mann, warum schießt Ihr denn da nicht, damit der Lärm Euch Einlaß schafft?“

„Könnt Ihr, wenn Ihr es nicht wißt, in solcher Nacht unterscheiden, ob es ein Baum oder eine Fenz ist, an der Ihr Euch um die Besinnung gestoßen habt?“

„Der Hund macht doch aber einen solchen Lärm, daß Todte davon aufwachen müssen – warum antwortet Ihr nicht, Mann, und macht dadurch einen Christen möglicherweise zum Mörder, weil er denken muß, ein Achan strecke seine Hand aus nach dem Eigenthum seiner Kinder?“

„Ei, Farmer, fürchtet Ihr Euch denn so sehr, daß Ihr einen müden und hungrigen verirrten Fremdling in Regen und Finsterniß stehen laßt, während Ihr unter Dach und Fach Betrachtungen anstellt?“

„Dank, daß Du mich an meine christliche Pflicht erinnerst! Joe Zedekiah Salomom hat noch keinen Müden und Hungrigen von seiner Schwelle gewiesen, er wird auch Dich pflegen. Greif Dich nur links an der Fenz hin, ich komme gleich zu Dir – ruhig, Hiob, und her zu mir!“

Bald begegnete der Sprecher mir, und seine Hand leitete mich

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