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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


schleicht immer Abends allerlei verdächtig Gesindel umher, besonders seit der Herr Landgraf von Hanau von seinen Reisen zurückgekehrt ist und in Hanau residirt. Soll ein gar lockerer Herr sein, der Herr Landgraf, und allen Schönheiten nachstellen, und wie man sagt, besonders die schönen Töchter von unserm Volk lieben. Er ist seit acht Tagen hier in Frankfurt –“

„Ich weiß es,“ unterbrach ihn Gudula ruhig.

„Wie, Du weißt es?“

„Ja, ich habe ihn vorgestern gesehen bei der Gräfin Tettenborn. Ich war dort, als der Landgraf kam, und die Gräfin hieß mich warten, bis er fortgegangen. Ich blieb also bei der Kammerjungfer und wartete. Aber auf einmal ward ich in den Salon gerufen. Der junge Herr Landgraf wollte sehen, ob ich dem Bilde gliche, das er gekauft hat und das sie die Judenkönigin nennen.“

„Du hättest nicht hineingehen sollen!“ rief Mayer heftig.

„Warum nicht?“ fragte sie mit einer stolzen Ruhe.

„Weil der Landgraf ein berüchtigter Mädchenräuber ist, dem, wie man sagt, Keine widersteht und –“

„Nun, ich werde ihm widerstehen,“ sagte Gudula ruhig, „und mir wird er mein Herz nicht rauben. Leb wohl jetzt, Mayer Anselm!“

„Willst mir nicht erlauben, daß ich Dich begleite zu Deiner Gräfin Tettenborn? Beiläufig gesagt, ich hab’ noch niemals von der Dame gehört. Woher kennst du sie denn? Wohnt sie schon lange in Frankfurt?“

„Nein, sie wohnt erst seit einigen Wochen hier. Sie ließ mich rufen, um mir Stickereien aufzutragen, ich war ihr von der Baronin von Nimzwitsch empfohlen, und sie bezahlt gut. Leb wohl, Mayer Anselm.“

„Ich soll Dich nicht begleiten?“

„Nein, Mayer, du hast zu thun und die Zeit ist Geld!“

Sie ging mit raschem kräftigem Schritt vorwärts. Der Mond beleuchtete ihre schlanke, zierliche Gestalt und warf einen langen Schatten derselben über die Straße hin. Mayer Anselm stand drüben auf der andern Seite der Straße und schaute der schönen Gudula nach, bis sie um die Ecke der Straße verschwunden war, dann wandte er sich langsam um und trat in das niedrige Haus ein, in welchem er eine Dachkammer bewohnte.

„Ich hätte sie doch begleiten sollen,“ sagte er gedankenvoll vor sich hin; „sie ist viel zu schön, um Abends so allein auf der Straße gehen zu können. Es wär’ vielleicht gut, wenn ich ihr nachging’ und – Aber nein,“ unterbrach er sich selbst, „die Gudula würd’ mich auslachen und verspotten, sie würd’ es vielleicht gar übel nehmen, wenn ich ihr nachginge, würde vermeinen, daß ich ihr mißtraute und nicht glaubte, sie könne sich selber beschützen. Dann, Gudula hat wohl Recht, die Zeit ist Geld. Ich will also arbeiten!“

Und er setzte sich an den wackligen alten Tisch, auf welchem hochaufgestapelt die schweren großen Comptoirbücher lagen, und begann zu arbeiten. Aber mitten in der Arbeit hielt er zuweilen inne, um sich zu beunruhigen bei dem Gedanken, daß Gudula so ganz allein den weiten Weg in die neuen Anlagen gemacht, und zwischen Zahlen und Zeilen schaute es ihn zuweilen an mit Gudula’s großen, glühenden Augen.

„Hätt’ nimmer geglaubt, daß man sich so könnte ängstigen um eine Schwester,“ sagte Mayer Anselm achselzuckend über sich selber. „Aber es ist eine Dummheit von mir, und ich will nicht mehr daran denken, sondern arbeiten. Die Bücher müssen alle fertig werden diese Nacht.“ Und er stürzte sich in die Arbeit und vertiefte sich in die Zahlen und rechnete, rechnete und schrieb eifrig, unverdrossen. Stunde nach Stunde verging, die Nacht war angebrochen, auf der Straße war Alles still geworden, jedes Geräusch des Lebens verstummt. Sie schliefen Alle, sie ruhten aus von der mühseligen Arbeit des Tages, die armen, schwergeplagten Bewohner der Judenstadt. Mayer Anselm freute sich das zu denken, er athmete höher auf und rief im Geist allen Brüdern und Schwestern seines Volkes ein Gute Nacht zu. Da mußte er auch wieder an Gudula denken, und er stand auf, nur um einmal aufzuathmen, und trat an’s Fenster, um hinüberzuschauen nach dem dunklen Hause da drüben und der lieben Schwester Gudula auch ein Gute Nacht hinüberzurufen. – Seltsam! das Haus da drüben war noch nicht dunkel, es brannte noch Licht hinter den Fenstern von Baruch’s Stube, und ein unruhiger Schatten ward an dem herabgelassenen Vorhang sichtbar, kam und verschwand und kam wieder in gleichmäßigen Pausen. Es war nicht der Schatten von Gudula’s schlanker zierlicher Gestalt, ein breiter Männerschatten. Der alte Baruch mußte es sein, welcher da so auf und nieder schritt, so ruhelos kam und ging. Etwas Ungewöhnliches mußte also dem alten Baruch geschehen sein, daß er jetzt noch wachte, jetzt noch, statt zu ruhen, in der Kammer auf und ab schritt. Niemals seit den drei Jahren, daß Mayer Anselm ihm gegenüber wohnte, niemals hatte Baruch das gethan, jeden Abend mit dem Glockenschlage Zehn hatten sich die Fenster da drüben verdunkelt. Mayer Anselm hatte das jeden Abend beobachtet, und er hatte dann gewußt, daß Vater Baruch und Schwester Gudula zur Ruhe gegangen. Und jetzt hatte es von den Thürmen schon die zwölfte Stunde geschlagen, und Baruch wachte noch und ging immer noch unruhig in der Kammer auf und ab! Und wo war denn Gudula? Nicht ein einziges Mal sah er ihren Schatten neben dem ihres Vaters! Wo war denn Gudula?“

Als Mayer Anselm sich das zum zweiten Male fragte, sprang er mit einem raschen Satz auch schon nach der Thür hin, riß sie auf, eilte die Treppe hinunter, aus dem Hause hinaus und stand auf der Straße.

Der Schatten da drüben hinter den Vorhängen der Parterrefenster bewegte sich immer noch mit derselben unruhigen Gleichmäßigkeit hin und wieder.

Mayer Anselm stand einen Moment mitten auf der Straße still, zaudernd, unentschlossen, was er thun solle. „Meinetwegen,“ sagte er dann beinahe laut zu sich selber, „mag Gudula mich immerhin verlachen mit meiner Furcht. Es ist besser, das zu ertragen, als noch länger diese Angst zu erdulden. Ich geh’ hinüber!“

Und mit zwei Sätzen war er drüben und klopfte laut an die Scheiben.

Der Vorhang hinter dem Fenster ward heftig aufgerissen und Baruch rief, schon ehe er das Fenster geöffnet hatte, laut und freudig. „Bist du’s, Gudula? Kommst du endlich?“

„Sie ist also noch nicht heimgekommen, Vater Baruch?“ fragte Mayer Anselm, und er hatte ein Gefühl, als ob zwei eiserne Klammern sich um seinen Hals legten und ihm die Kehle zudrückten.

„Es ist nicht die Gudula!“ jammerte der Alte. „Es ist nur der Mayer Anselm!“

„Ja, ich bin’s nur! Aber laßt mich ein, Vater Baruch, schnell. Wir müssen besprechen, was zu thun ist!“

(Fortsetzung folgt.)


Jörn Jäger.
Eine Erinnerung aus dem schleswig-holsteinischen Feldzuge von 1850.
(Schluß.)


Nachdenkend und schweigend saß Jörn heut an dem großen eichenen Tische in seiner Stube und trommelte ab und zu einmal mit den Fingern auf die Platte, als quäle ihn ein beunruhigender Gedanke.

„Du schast leeber morgen nich mitgahn,“ wandte er sich endlich an mich.

Ich stellte ihm vor, daß ich unmöglich zurückbleiben dürfe und dies auch unter keiner Bedingung thun würde, jetzt, wo ich gemerkt, daß Gefahr mit im Spiele sei. Er schien zu überlegen, dann stand er auf, ging auf seine Gewehre zu und nahm eins derselben herunter.

„Denn nümm aberst düsse Flint’ mit, mien Jung’, de schütt’ am besten,“[1] sagte Jörn, mir das Gewehr überreichend.

Es war eine herrliche Doppelflinte mit damascirten Läufen. Während ich meine Augen an der prächtigen Waffe weidete, ordnete der Alte Kugeln und Schrot, Pulver und Zündhütchen, damit es mir am andern Tage an nichts fehle. Spät erst kehrte ich nach Meggerdorf zurück. Schlafen konnte ich nicht. Ich hatte es ja dem lieben Jörn deutlich genug angemerkt, daß er nichts Gutes

  1. Dann nimm aber diese Flinte mit, mein Junge, die schießt am besten.
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