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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

während die ihren heller sind und blond, sie machen es uns zum Vorwurf, daß wir fest halten an den Gebräuchen und an dem Glauben unserer Väter, aus unserer Treue machen sie uns ein Verbrechen. Uns, den armen Juden! Aber wenn wir sind die reichen Juden, dann vergeben sie uns alle unsere vermeintlichen Verbrechen und nehmen uns willig auf in ihre Gesellschaft und haben keinen Anstoß an unsern Nasen und unserm Haar und unserm Jargon! Es ist also für den Juden die Hauptsach’, daß er ist reich, denn wenn er Reichthum hat, so hat er Ehre und Ansehen. Das hab’ ich erkannt, als ich mich hab’ umgeschaut in der Welt, und als ich damals vor drei Jahren bin heimgekehrt aus Fürth, wo ich bei meinem alten Oheim hab’ durchgemacht und durchgehungert die Lehrzeit, als ich bin heimgekehrt nach Frankfurt und in die Judenstadt, da bin ich still gestanden an unserm Thor und bin niedergefallen auf meine Kniee, Niemand hat’s gesehen, denn es war Abend und Alles war dunkel. Da bin ich niedergefallen und habe geschworen zu dem Gott meiner Väter, daß ich will werden ein reicher Mann, ein Millionär! Nicht aus erbärmlichem Geiz und auch nicht aus Hochmuth und Stolz, und nicht aus persönlichem Ehrgeiz. Nein, ich will werden reich um meines Volkes willen, um für Euch die Ehre, die Freiheit zu erkämpfen. Ich will werden reich, um das Volk Gottes zu rächen an dem Volke des Sohnes Gottes. Ich will werden ein Millionär, um die Macht zu haben, das Volk Gottes hervorzuziehen aus dem Staube, um es aufzurichten aus seiner Erniedrigung und ihm seine heiligen Menschenrechte wiederzugeben. Ich will werden ein Millionär, damit die eisernen Gitter fallen, welche den Juden vom Christen trennen, damit sie uns sollen als Bürger aufnehmen in die Gemeinschaft des Volkes, damit sie uns sollen das Recht gönnen, zu denken und zu glauben nach unserem Gewissen und unserer Ueberzeugung, und doch dabei uns zu fühlen als berechtigte Bürger des Staates, in welchem wir geboren.

Seht, das habe ich mir geschworen, als ich an dem Eingang unserer armen Judenstadt kniete: ein Millionär will ich werden um meines Volkes willen. Und ich werde meinen Schwur halten. Hatte mir schon ein kleines Capital zusammengebracht, hatte gescharrt und gespart all diese Jahre her, hatte gehungert und Noth gelitten um meines großen Zweckes willen, weil aus dem kleinen Capital sollt’ werden ein großes, damit ich ein selbständiges Geschäft könnt’ anfangen. Hab’ mir keine Minute Zeit und Erholung gegönnt, habe nicht, wie andere junge Leute, meinem Vergnügen gelebt. Wenn ich Abends bin heimkommen vom Comptoir, dann hab’ ich kein ander Vergnügen gewollt und begehrt, als zu Euch herüberzukommen und mit Vater Baruch und mit Schwester Gudula ein Stündchen zu verplaudern, und dann bin ich heimgegangen in meine Kammer, um die Nacht aufzusitzen und die Bücher von den Geschäftsleuten, die sie mir anvertraut hatten, in Ordnung zu bringen und zu reguliren. Ich hab’ im Winter gefroren dabei, im Sommer Hitz’ ausgestanden, ich war oft müd’ zum Sterben und immer hungerig, aber ich hab’ immer gedacht daran, daß ich arbeitete, um zu vermehren mein Capital, und so hab’ ich immer ausgehalten und hab’ gerechnet auf die Zukunft, wenn die Gegenwart traurig war. Und nun,“ fuhr Mayer Anselm mit blitzenden Augen und erhöhter Stimme fort, „nun bietet sich mir auf einmal eine Gelegenheit an, um rascher zu meinem Ziel zu gelangen und Jahre voll Noth und Entbehrung mit einem schnellen Entschluß zu überspringen, auf einen Schlag zu werden ein reicher Mann, damit ich werde desto eher ein Millionär für mein Volk. Sagt, soll ich diese Gelegenheit nicht ergreifen?“

Der alte Baruch schwieg und schaute sinnend und mit fragendem Ausdruck auf seine Tochter hin; Gudula hatte längst ihre Arbeit in den Schooß fallen lassen, und mit strahlendem Ausdruck, mit verklärten Mienen hatte sie der glühenden Rede Mayer Anselm’s zugehört. Jetzt bei seiner letzten Frage erhob sie sich langsam und schritt in gemessener, feierlicher Haltung zu ihm hin.

„Mayer Anselm,“ sagte sie, indem sie ihre weiße Hand auf seinen Arm legte und ihm mit einem köstlichen Lächeln in’s Antlitz schaute, „Mayer Anselm, Du sollst diese Gelegenheit ergreifen, um zu werden reich, damit Du werdest ein Millionär zur Ehre und zur Erlösung Deines Volks! Gehe hin, Mayer Anselm, und sage dem reichen Nathanson, daß Du willst heirathen die Veilchen Rahel und willst werden sein Associé.“

„Thue, wie die Gudula es sagt,“ rief der alte Baruch feierlich, „denn das Wort Gottes ist auf ihrem Munde, und die Liebe ist in ihrem Herzen; als Dein guter Engel wird sie Dir gerathen haben.“

„Ja, als mein gnter Engel wird sie mir gerathen haben,“ wiederholte Mayer Anselm, indem er die kleine weiße Hand des Mädchens sanft von seinem Arme nahm und einen innigen Kuß auf dieselbe drückte. Gudula erbebte leise, und eine tödtliche Blässe flog über ihre Wangen hin, aber der junge Mann sah das nicht, er hatte das Haupt noch über Gudula’s Hand gesenkt und hielt sie noch immer an seinen Lippen, schweigend, gedankenvoll. Gudula aber zog mit einer sanften Bewegung ihre Hand fort, und nun erbebte Mayer Anselm und schien wie aus tiefem Sinnen zu erwachen.

„Du bist also einverstanden, daß ich den Vorschlag annehme, Gudula?“ fragte er. „Aber hast Du auch das bedacht, daß ich das Mädchen nicht liebe? Werd’ ich kein Unrecht begehen, wenn ich sie heirath’, ohne dabei zu denken an sie selber, sondern nur zu denken an ihr Geld? Werd’ ich sie glücklich machen können ohne Liebe?“

„Du wirst sie glücklich machen, Mayer Anselm,“ erwiderte Gudula, indem sie langsam, als geschähe es ganz zufällig, ihr Haupt abwandte, „Du wirst sie glücklich machen, denn sie liebt Dich und wird Dich besitzen. Aber jetzt leb wohl, Mayer Anselm,“ fuhr sie fort, indem sie hastig die weißen Tücher, an welchen sie genäht, zusammenpackte, „ich kann nicht länger bleiben, ich habe noch einen weiten Gang zu machen. Wenn Du willst bleiben bei dem Vater, so thu’s.“

„Nein,“ sagte Mayer aufstehend, „ich muß auch fort. Muß die ganze Nacht aufsitzen und arbeiten, denn ich muß all die Bücher in Ordnung bringen und abschließen, die ich bisher für mehrere Handelsleut’ geführt habe. Muß sie morgen abliefern und Rechnungsabschluß geben, da ich jetzt natürlich sie nicht weiter führen kann. Das kleine Geschäft ist zu Ende, und der Compagnon vom reichen Nathanson hat größere Geschäfte und Arbeiten zu vollbringen. Lebt denn wohl, Vater Baruch, und morgen, wenn wir uns wiedersehen, ist Alles vorüber, und ich bin dann der Compagnon vom Nathanson.“

„Und der Bräutigam von seiner Tochter Veilchen Rahel,“ sagte Gudula, indem sie ein Tuch um ihre Schultern warf und sich zum Gehen anschickte.

„Und dann wirst Du natürlich auch hier fortziehen aus der kleinen schmutzigen Judengasse,“ sagte Baruch, „wirst in die vordere große Gasse ziehen, wo die Reichen von unserem Volk wohnen, wirst Dir vielleicht, wie der Nathanson, für schweres Geld die Erlaubniß erkaufen, da draußen zu wohnen außerhalb der Judenstadt, draußen auf der prächtigen Zeil, wo die großen Kaufherren wohnen.“

„Nein, nie und nimmer werde ich das thun,“ rief Mayer Anselm lebhaft. „Würde ja damit werden untreu meinem Volk und mir selber, und würd’ scheinen zu verachten mein Volk in seiner Niedrigkeit und Armuth, wie’s die dummen Christen thun. Nein, mitten unter meinem Volk hier will ich leben, will ich wohnen, und will die guten Tage mit Euch theilen, wie Ihr getheilt habt mit mir die schlimmen. Wenn ich meine Frau habe, und die Rahel Veilchen in meinem Hause ist, dann wird die Schwester Gudula nichts haben dagegen einzuwenden, wenn Du, Vater Baruch, mit der Tochter bei mir wohnst, wie ich hab’ gewollt wohnen bei Euch und mit Euch machen gemeinsame Menage, als ich hierher kam, was aber die Schwester Gudula nicht gewollt hat, weil sie meint, es schickt sich nicht. Jetzt, wenn ich eine Frau habe, wird Niemand sagen können, daß es sich nicht schickt, wenn wir beisammen wohnen, und der Gedanke macht, daß ich die Veilchen Rahel ordentlich lieb habe, und darnach mich sehne, daß sie meine Frau ist, denn dann wird Vater Baruch und Schwester Gudula in meinem Hause wohnen.“

„Nun, wir sprechen noch ein Weiteres davon, Mayer Anselm,“ sagte Gudula, indem sie die Thür öffnete. „Jetzt muß ich fort, muß hinaus zur Gräfin Tettenborn, die auf der neuen Anlage an der andern Seite der Stadt wohnt. Lebe wohl, Vater, und auch Du leb wohl, Mayer Anselm.“

Sie schritt hastig zur Thüre hinaus, aber bevor sie noch die Schwelle des Hauses überschritten hatte, war der junge Mann an ihrer Seite. „Es beginnt schon zu dunkeln, Gudula,“ sagte er. „Du hast einen weiten Weg. Es ist aber Abends nicht recht geheuer auf den Straßen, namentlich hier in unsern engen Gassen

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