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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


hervor, und die Schlußrede von Dr. A. Wiesner (allen Oesterreichern noch in gutem Andenken) schilderte, was der Heldensänger vor einem halben Jahrhundert Deutschland war, und was er gegenwärtig Amerika, dem Asyl der unterdrückten Nationen, ist. Beide Reden fanden ein sehr dankbares Publicum. Auch die musikalischen Partien des Programms wurden sämmtlich mit Präcision und vielem Verständniß vorgetragen. Als jedoch der greise Lützower mit schneeweißen Locken und auf die Brust herabfließendem Bart am Katafalk seines längst verewigten geliebten Führers der Versammlung vorgestellt wurde, fühlte sich Jeder elektrisirt und lauschte in athemloser Stille den Worten des ehrwürdigen Veteranen, der einst für Deutschlands Befreiung focht und jetzt zwei Söhne für Amerika’s Einheit und Freiheit in’s Feld stellte. Stand doch ein Bote aus einer längst verrauschten, ereignißvollen Zeit, ein Kampfgenosse des Gefeierten, einer der so gefürchteten schwarzen Reiter von Lützow’s „wilder verwegener Jagd“ leibhaftig vor der aufgeregten Versammlung. Der wackere Mann, der trotz seines hohen Alters noch physisch und geistig rüstig ist, erzählte unter Andern, nachdem er eine Nachricht dortiger Zeitungen, als sei Körner in seinen Armen gestorben, als unwahr zurückgewiesen, wie er als Oberjäger unter Körner, seinem Lieutenant, diente, und wie er, nachdem der jugendliche Held am 20. August durch eine Kugel aus dem Hinterhalt erschossen worden, bei Nacht an dessen Leiche wachte, um sie vor Verunglimpfung durch den noch in der Nähe weilenden Feind zu schützen. Körner, theilte er ferner mit, erhielt einen ordentlichen Sarg, während die mit ihm gefallenen Cameraden in nothdürftig zusammengezimmerte Kisten gelegt wurden, um ihrem Führer in’s Grab zu folgen.

Als der Veteran unter den Zeichen der lebhaftesten Sympathie den Katafalk verlassen hatte, dauerte es noch eine Weile, bis die Versammlung sich von ihrer Aufregung erholen konnte.

Unter den lebenden Bildern, die nun folgten, zeichnete sich die „trauernde“ wie die „siegreiche Germania“, von Frau Mojean dargestellt, durch treffliche Auffassung und überraschende Wirkung aus. Auch das Körnermonument nahm sich recht gut aus.

Unter den Klängen der Musik, welche amerikanische und deutsche Volkshymnen spielte, endete das schöne Todtenfest, das Allen, die demselben beiwohnten, unvergeßlich bleiben wird. Viele der Gäste konnten sich nicht so leicht von dem greisen Lützower trennen, sondern folgten ihm in sein Hotel, wo sie im Gespräch über Körner, seine und unsere Zeit, noch lange verweilten, wobei noch manches Glas perlenden Rheinweins auf Deutschlands und Amerika’s Freiheit und Einheit geleert wurde.

Die Todtenfeier wurde, wie ich zum Schluß noch bemerken muß, ohne Festsetzung eines Eintrittspreises, zum Besten unserer verwundeten und kranken Krieger gegeben, und die freiwilligen Beiträge des Publicums reichten nicht blos hin, die bedeutenden Kosten der Feier zu decken, sondern ließen auch noch einen Ueberschuß, der wieder Mittel gewährt, viele unserer braven deutschen Invaliden in den Spitälern mit erwünschten Gaben zu erfreuen.




Die Kunstmethoden der Londoner Langfingerei.
Ein modernes Industriebild.

Die englischen Policemen sind bekanntlich ein wahres Muster von Höflichkeit – für den unverdächtigen Theil der menschlichen Gesellschaft und wissen, daß sie zum Schutz und nicht zur Plage und Brutalisirung des Publicums erschaffen und blaubefrackt und weißbehandschuht sind, wovon ihren deutschen grün- und roth- und gelb- und blaukragigen Cameraden erst eine äußerst vage Ahnung aufzudämmern beginnt. Ich sollte mich von diesem Contraste selbst recht angenehm überzeugen und ihm eine sehr interessante Bereicherung meiner Kenntniß von dem Londoner Leben verdanken.

Es war so recht ein lustiges Erntewetter – für die Gassenfeger und namentlich meine besondern kleinen Freunde, die rothblousigen Schuhwichser, die heute, bei einem echt Londoner zähen Schmutzbrei, mit welchem der fallende Nebel Pflaster und Macadam überkittete, auf ihren verschiedenen Stationen mit ihren Kasten und Flaschen und Bürsten in unaufhörlicher Bewegung waren und ihr „Stiefeln, Herr?“ den Vorüberwandelnden nicht lange sehnsuchtsvoll entgegenzurufen brauchten. Ich hatte aber noch meinen speciellen Liebling unter den flinken Jungen, einen intelligentäugigen kleinen Blondkopf am Trafalgarsquare, mit dem ich gern ein paar Minuten verplauderte, während er meine Unterthanen civilisirte, und freute mich, als ich mir durch das Gewühl des Strandes Bahn brach, schon auf das leuchtende Gesicht, mit dem er mir den heute erriebenen Kupfersegen vorweisen würde. Sein Posten war auf den breiten Stufen des Brunnenbeckens, in welches die fadendünnen Fontainen ihren ärmlichen Wasserstrahl tröpfeln, – und richtig, da kniete er in vollster Thätigkeit und der ganzen Würde seines Berufes, um die breite Grundlage eines riesigen Polizeisergeanten zu behandeln, und bemühte sich, einer solchen Respect- und Angstperson, wie es für die gelegentlich einmal nicht durchaus „koscheren“ kleinen Wichskünstler die Diener der heiligen Sicherheitswache zu sein pflegen, mit aller Sorgfalt gerecht zu werden. Der heute mit seinem kurzen Wachstuchschultermantel bedeckte Blaufrack wollte sofort artig zurücktreten, um meinen glanzbedürftigen Füßen den Vorrang auf dem Wichskasten einzuräumen, und es kostete mich wirklich meine besten englischen Höflichleitsphrasen, den Mann dahin zu bewegen, daß er auch dem zweiten seiner Stiefeln noch den „vollendenden Strich“ angedeihen ließ, ehe ich mich den sachkundigen schwarzen Händen meines Rothkittels anvertraute.

Wartend lehnte ich mich an die Brustwehr der weiten Wasserschale und rückte mich in die gehörige Positur zurecht, um der Arbeit meines Schützlings behaglich zuschauen und dabei den ohne Aufhören an mir vorüberfluthenden Menschenstrom lässig mustern[WS 1] zu können. Eben wanderte ein modisch gekleideter Herr von mittlerem Alter vorüber mit blankgebürstetem Cylinder und feinem Paletot, wie mir däuchte, so ganz das, was der Londoner einen „Swell“ nennt, das heißt ein Stutzer der zweiten Classe; Uhrkette, Wäsche, Handschuhe, – das Alles ließ wenig oder nichts zu wünschen übrig. Der Elegant schien Eile zu haben und huschte mit ungewöhnlicher Schnelle in der Richtung der Nationalgallerie über den großen Square hinüber. Da zupfte mich der Constabler sanft am Rocke. Neugierig und einigermaßen erstaunt wandte ich mich nach ihm um.

„Ein Dieb, Herr, der Swell da!“ flüsterte er, „und ein geriebener und gefährlicher dazu. Schon einmal deportirt gewesen und blos beurlaubt. Wir haben ein scharfes Auge auf ihn, aber der Bursche ist fein, er läuft uns so leicht nicht in’s Netz. Kriegen ihn schließlich indessen doch, und dann giebt’s keinen Urlaub wieder für den Gauner.“

„Urlaub?“ frug ich verwundert, „wie so, beurlaubt?“

„Nun, Herr, wissen Sie nicht – ach nein, Sie sind ja ein Fremder, – ein Deutscher, Herr, nicht wahr? – muß ein braves Volk sein, die deutschen, ehrlich, sehr ehrlich; denn unter den vielen Fremden, die Jahr aus Jahr ein mit uns genauere Bekanntschaft machen, sind verhältnißmäßig nur wenig Deutsche.“

Ich nickte, um für das Compliment zu danken.

„Also, Sie wissen nicht, Herr,“ fuhr er fort, „daß Sträflinge, die sich in den großen Zuchthäusern von Milbank und Pentonville, auf den vor Woolwich und in Portsmouth ankernden Strafschiffen, den sogenannten Hulks, oder in den Bußcolonien, die wir haben, während einer längern Zeit unausgesetzt ordentlich führen und zu keiner Rüge oder Züchtigung Anlaß bieten, für den noch übrigen Theil ihrer Strafdauer Urlaubskarten erhalten und bis auf Weiteres ihrer Haft entlassen werden, ohne darum völlig frei zu sein. Das heißt, wenn sie sich bei der geringsten Ungesetzlichkeit betreten lassen, so wird ihnen der Urlaub entzogen, und sie spazieren in ihre Zelle oder zu ihrer Strafarbeit zurück. Natürlich sind sie uns besonders auf die Seele gebunden und stehen unter unserer strengen Aufsicht. ’s ist aber ein nichtsnutziges System, dieses Urlaubssystem, denn die schlimmsten Verbrecher, die spielen die Frömmsten in den Strafanstalten und fügen sich am besten in die Gefängnißzucht. Ganz wie draußen in der Welt die Duckmäuser, die sich bei den Inspektoren und Directoren durch ihr gehorsames Wesen einzuschmeicheln wissen. – das sind die Gefährlichsten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: muster
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_782.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)