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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

mein Freund. Den Geist, der in jenen Absonderungen verborgen liegt, hat Herr Brandt geglaubt sich allein dienstbar gemacht zu haben. Ha! ha! ha! ich habe ihn mir auch citirt und werde ihn besser zu verwerthen wissen. Das ist ein Stoff, der noch erst von der Nachwelt ausgebeutet werden wird, ein Stoff, in dem Alles verborgen liegt; er ist vielleicht die Ursache des ganzen menschlichen Seins, und jedenfalls, das glaube ich gewiß, strömt sein geheimnißvolles Fluidum durch alle Canäle des Körpers.“

„Und wie nennt Ihr den wunderbaren Stoff?“ fragte Kirchmayer.

„Phosphor – mein Freund. Phosphor! der Lichtträger, der da leuchtet, ohne zu brennen, und der, wenn er sich entzündet, strahlt, brennt und flammt wie das himmlische Feuer. Noch Vielerlei, ich sag’ es Euch, wird man diesem Stoffe verdanken. Mag Herr Brandt der Entdecker sein, ich habe ihn auch entdeckt. – Ist es doch, als wenn sich zwei Väter streiten, wer das Kindlein gezeuget. Der aber ist der beste Vater, der es groß ziehet und schön stark in die Welt sendet, und dazu bin ich der Mann. Nicht ein blindes Ohngefähr, wie es bei Brandt der Fall war, hat mich die seltene Materie finden lassen. Nein, ich habe Tag und Nacht gesonnen, um ihrer habhaft zu werden, und darum soll mein Name verknüpft bleiben mit dem leuchtenden Stoffe. Mein Kurfürst wird sich freuen. Ich bin dem Brandt dankbar, daß er den Geheimnißvollen spielte. Selbst ist der Mann.“

„Man fürchtet Euch schon,“ sagte Kirchmayer lachend. „Was wird erst geschehen, wenn die neue Entdeckung bekannt wird! Ihr seid dann vollends ein Teufelspriester, sobald das Höllenlicht leuchtet.“[1]

„Die Narren!“ entgegnete Kunckel[WS 1]. „Wer ein wenig mehr Gehirn hat als sie, die Tröpfe, der muß mit dem Teufel zusammengehen. Es ist wahrlich für den gehörnten Gesellen gar kein so übles Compliment, daß man alle gescheidten Leute mit ihm in Verbindung bringt. Wenn die alle wirklich in der Hölle sitzen, so muß die Gesellschaft wahrhaftig unterhaltend genug sein.“ – Die Freunde lachten. „Nachdem ich Euch,“ fuhr Kunckel fort, „eine ernste Arbeit von wissenschaftlichem Werthe gezeigt, sollt Ihr nun auch Spielereien und Kunststücklein sehen.“ Der Adept öffnete die Seitenthüre eines Cabinets, ging hinein und zündete einige Kerzen an. Als Kirchmayer das Zimmer betrat, stieß er einen Ruf der Verwunderung aus. Er befand sich in dem Gemache, welches die Krystall- und Glasfabricate des Adepten enthielt.

Hier standen auf Bretern, in Schränken und hinter Gittern eine Menge der schönsten Gläser von allerlei Farben und Formen. Das helle Kerzenlicht wiegte sich und blitzte auf den prächtigen Erzeugnissen, die gleich edlen Steinen Strahlen schossen. Kunckel nahm verschiedene Exemplare herab und zeigte sie Kirchmayer, der sie mit den Blicken des Kenners prüfte. Besonders interessant war die große Schale, welche der Adept für den Kurfürsten gefertigt hatte. Sie bestand aus einem sehr künstlich zusammengesetzten Untergestelle, auf dem sich ein muschelförmiges Gefäß erhob. Die Verschmelzung vieler Krystalle war hier gelungen, und das kostbare Glas glich einem ungeheuren ausgehöhlteu Rubin.[2]

Während aller dieser Betrachtungen hatte der Regen draußen nachgelassen. Der Mond war hinter dem zerrissenen Gewölk hervorgetreten und warf seinen Schimmer auf das einsame Haus und dessen Umgebung. Die Freunde, in eifrigem Gespräch begriffen, hatten nicht bemerkt, daß der große Hund in das Gemach gekommen war. Plötzlich ward das Thier unruhig. Seine Ohren spitzten sich. Den Körper gestreckt, den Kopf lang vorgebogen, näherte sich der Hund mit leisem Knurren dem Fenster. Diese Anzeichen waren für Kunckel keine neue Erscheinung; er wußte, daß er Feinde hatte, die auf sein Verderben ausgingen, und schon einmal hatten sie durch Brandstiftung seine Glashütte und sein Vorrathshaus in Asche gelegt. Kunckel eilte mit seinem Doppelhaken hinaus, ein Schuß krachte, und eilige Ruderschläge verriethen die Flucht eines glücklich entkommenen Feindes. Kunckel hatte seinen Mann erkannt, er bezeichnete ihn Kirchmayer als den alten Holzschreiber Lauer, der vergeblich nach einem Privilegium zum Bau einer Glashütte trachte.

Zwei Tage später verließ Kirchmayer die Insel. Eilig ruderte ihn der Schiffer vom Ufer hinweg, um nicht lange in der Nähe Kunckel’s zu bleiben, der dem Freunde das Geleit bis zum Boote gegeben hatte.

Ohne sich an die Einflüsterungen der Feinde oder an die abenteuerlichen Gerüchte zu kehren, gewährte Kurfürst Friedrich Wilhelm dem Adepten seinen Schutz und seine Gnade. So lange er am Leben blieb, hatte Kunckel die Machinationen der Gegner nicht zu fürchten. Sein tadelloser Wandel und seine trefflichen Arbeiten sprachen überdies zu seinen Gunsten. Er verschönerte nun die ihm als Eigenthum überlassene Insel und baute ein neues Haus, welches nur in geringer Entfernung von der heutigen Meierei auf der Insel lag. Seine Prophezeiung begann sich, wenn auch langsam, zu erfüllen. Schon war der Phosphor ein Gegenstand der höchsten Aufmerksamkeit aller Gelehrten und Aerzte geworden. Zwischen Arbeit und Plänen zur Verschönerung seines Besitzthums die Zeit theilend, lebte er größtentheils auf dem Pfauenwerder oder auch zuweilen in Berlin, woselbst er in der Klosterstraße ein Haus besaß. Der Ruf seiner Geschicklichkeit und seiner Kenntnisse verbreitete sich auch im Auslande, seine Schriften fanden in England vielen Beifall.

Im Jahre 1688 beschäftigte ihn ein Verfahren, durch welches er eine Glasmasse herzustellen hoffte, die sich gleich dem Silber oder Golde durch Hämmer bearbeiten ließe. – Nacht für Nacht stand er in seinem Laboratorium. Aufmerksam betrachtete er die glühenden Massen der Asche, welche in der Reverberir-Büchse wallten.

Aber heute wollte ihm kein Versuch gelingen. Stets fand sich irgend Etwas in der Mischung, was die Bemühungen des Adepten vereitelte. Es war die Nacht vom 28. auf den 29. April, und Kunckel war den Tag über in Potsdam gewesen. Die Veranlassung zu jenem Aufenthalte war keine freudige. Sein hoher Gönner, der große Kurfürst Friedrich Wilhelm, lag auf dem Sterbebette; an der Wassersucht leidend, erwartete er seine Auflösung mit dem Muthe eines Helden. Noch im Laufe des Vormittags hatte der Sterbende den herbeigeeilten Kunckel an das Schmerzenslager befohlen, und der Anblick einiger schönen Gefäße, welche der Günstling vorzeigte, erfreute den sterbenden Fürsten. Friedlich Wilhelm unterhielt sich mit Kunckel eine Zeit lang. Im Gespräche über die Zukunft verhehlte der Adept seinem Herrn nicht, daß er Sorge um seine fernere Existenz trage, daß er wisse, wie seine Feinde nur den Augenblick erwarteten, der den neuen Herrn an die Stelle des alten setze, um ihm seine Rechte zu schmälern. Besonders ängstigte Kunckel die über ihn zu verhängende Untersuchung wegen der vom Kurfürsten erhaltenen Gelder. Der Kurfürst beruhigte ihn bald hierüber, indem er zwei im Zimmer anwesende Diener herbeirief und in ihrer Gegenwart Kunckel von aller Verantwortlichkeit freisprach, auch den Rest der noch ausstehenden Schuld ihm erließ.[3] – – Kunckel trennte sich mit schwerem Herzen von seinem Gebieter. – Auf dem Pfauenwerder angekommen, suchte er seine trübe Laune durch Arbeit zu zerstreuen. – Aber, wie gesagt, es wollte nichts glücken.

Kopfschüttelnd betrachtete Kunckel die widerspenstigen Mischungen. Immer neue Zutaten warf er in die Gefäße, heftiger schürte er das Feuer seines Ofens. Die Nacht war vorüber, der Morgen dämmerte herauf, die Sonne warf ihren ersten Gruß durch die Fenster des Laboratoriums, noch immer stockte der Glasfluß in den Büchsen; eine kostbare Mixtur lag unter der Asche verborgen; mit kundiger Hand suchte der Chemiker durch neue Erhitzung den Fluß zu erzielen – da – plötzlich walten die stockenden Massen hoch auf, sie zischten und knisterten, ein heißer Dampf wirbelte empor, ein heftiger Knall, von sprühenden Funken begleitet, erschreckte den Adepten – prasselnd sprangen und barsten die Retorten, und aus dem zerrissenen Ofen schoß eine dunkelrothe Flamme. – Silberschlacken, zischende Glasmassen, grünliche und gelbe Krystalle bedeckten weit umher den Boden des Laboratoriums – dann beruhigte sich Alles wieder, die Flammen des Ofens erstickten in ihrer eigenen Asche. – Die Uhr schlug die neunte Morgenstunde!

Kunckel stand unbeweglich, starr inmitten der Verwüstung. Endlich ging er langsam zu dem Ofen, öffnete die Klappen und Fänge, warf einen Blick auf die Trümmer und verließ das Gemach,


  1. Kirchmayer hat über die Erfindung des Phosphor eine besondere Abhandlung geschrieben, in welcher er seines Freundes Kunckel mit großer Wärme gedenkt. Sie trägt den Titel: Noctiluca constans etc. Wittenberg 1687.
  2. Verschiedene Arbeiten Kunckel’s sind noch vorhanden. Der größte Theil derselben kam, wahrscheinlich nach dem Tode König Friedrich’s I., als viele Kunstsachen verkauft wurden, in Privatbesitz oder in das Ausland. Kunckel’s Hauptverdienst bestand in der Erzeugung des Rubinglases.
  3. Historisch. Kunckel hielt den Kurfürsten sogar von Geldausgaben zurück, worauf der Fürst erwiderte: „Kümmert Euch nicht darum. Ich habe ehedem wohl 12,000 Thaler und mehr verspielt.“
  1. Vorlage: Kunkel
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_779.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2018)