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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

geopfert haben. Rings herum hier ist noch heute die Gegend voll von allerlei Spukgestalten, und wenn wir Nachts die Reusen auslegen, können wir die Gespenster dutzendweis sehen, wie sie durch das Rohr huschen oder über den Wasserspiegel schweben, oder auf den Forstberg schlüpfen, auf dessen Höhe sie ihre Tänze ausführen, wie sie ehedem um den rauchenden Opferstein getanzt haben. Es heißt der Berg noch heute bei dem verfluchten Wendenvolke, das hier um Potsdam wohnt, der Baberow, woraus sie auch Babersberg machen, zum Andenken an jene Baba, für die sie oben auf dem Berge geopfert.“

„Und die Insel?“ fragte der Fremde, „wie kommt sie damit zusammen?“

„Hab ich Euch nicht gesagt, daß da auch Teufelswerk getrieben wurde? Wenn ich nun das Alles zusammennehme, so kann ich doch nur denken, daß der Kunckel, der auf dem Werder wohnt, mit dem Gottseibeiuns verkehrt, denn wie würden ihn sonst die höllischen Geister in Ruhe lassen? Er hat zwei Teufel bei sich. Einer ist in Menschen-, der andere in Hundsgestalt. Der Mensch ist ein gelbliches, verwachsenes Geschöpf mit Triefaugen und langer Nase. Er hat ein furchtbares Maul und ist stumm, auch hinkt er auf einem Fuße, der offenbar ein Pferdefuß ist, und ist boshaft wie alle seines Gleichen. – Der andere Geist ist in Hundsgestalt um ihn. Seht nur, wie das Höllenvieh Nachts die Runde um die Insel macht, die Augen wie Feuerräder im Kopfe, die blutige Zunge aus dem Rachen hängend, so läuft es keuchend am Ufer herum.[1] – Und mit diesem Geschmeiße zusammen lebt der Herr Kunckel einsam auf dem wilden Dinge, das jetzt sein eigen ist, schon seit sechs Jahren. Nachts hört man wundersame Töne aus dem Hause erklingen, dann steigen Funken empor, und man gewahrt Glanz von Lichtern, die man nicht sieht. Ein Mal ist schon Alles heruntergebrannt, und das war eben durch den Teufel gemacht, dem Herr Kunckel nicht ordentlich seinen Pakt gehalten.“

„Aber,“ warf der Fremde ein, „wie erklärt Ihr es, daß der Kurfürst den Teufelsbanner in Sold hat?“

„Lieber Herr, die Großen dieser Erde sind oft nicht so weitsehend in solchen Dingen, als wir, die Niedrigen, denn vor ihnen geben sich die Höllenkünstler nicht wie sie sind. Unser gnädiger Herr hat auch vielleicht die besten Absichten gehabt, aber Gold ist ein mächtig Ding, es schmeckt gut, und die Herren sehen nicht, woher es fließt, bis sie in den Schlingen des Bösen sitzen. Gott lenke Alles zum Guten!“

Unter solchen Gesprächen war man bis an den Werder gelangt. In Finsterniß gehüllt, lag er vor den Ankommenden. Der Fremde steuerte auf den Zuruf des Schiffers das Boot gegen das Ufer. Es fuhr in den Sand, und der Gelandete erhob sich, um auszusteigen. „Wo finde ich das Haus des Kunckel?“

„Das ist weit entfernt, am andern Ende der Insel,“ entgegnete der Schiffer.

„Warum habt Ihr mich nicht dahin gefahren?“

„Nein, Herr, Ihr habt mir ein gut Stück Geld gereicht, daß ich Euch bis hierher bringe; ich bin arm, darum hab ich Euch den Willen gethan; aber in die Nähe des Teufelshauses bringt mich Niemand, dazu hab’ ich meine Seele zu lieb. Auch Euch, Herr, rathe ich ab. Ihr scheint mir ein braver Cavalier, ich weiß nicht, was Ihr vorhabt. Wollt Ihr aber durchaus, so geht in das dichte Gebüsch hier hinein, dann soll man auf eine lange Reihe doppelt stehender Eichen kommen, die Reihe führt auf das Haus. Seid Ihr morgen noch am Leben und wollt zurück, so ruft nur gegen Sacrow zu: „hol’ über!“ da lande ich hier an, Euch zu fahren. Nun Gott befohlen! Ich will machen, daß ich zurückkomme, ehe ich den Schwerenothshund wieder zu sehen kriege.“

Der Fremde zog seinen Mantel fester um sich, während der Schiffer abstieß und bald in der Dunkelheit mit seinem Boote verschwand, doppelt froh, als er endlich das jenseitige Ufer erreicht hatte. – Unterdessen schritt der Fremde in dem finstern Gebüsche vorwärts. Die ungeheuren Bäume, welche sich neben und über ihm erhoben, schienen die ganze Insel anzufüllen. Nur hie und da glaubte er ein freies Plätzchen zu bemerken. Der Boden, durch den Regen schlüpfrig gemacht, ließ den Fuß des Wandrers oft ausgleiten. Zuweilen war es ihm, als husche irgend etwas Lebendiges über den Weg. Der Fremde schien jedoch keineswegs von Vorurtheilen befangen zu sein. Er murmelte nur mit leiser Stimme: „Ein nichtswürdiges Wetter, ein schändlicher Weg! Beim Himmel, man kann es den Leuten nicht verdenken, wenn sie den Kunckel für den bösen Roland halten. Wie kann man sich als Gelehrter solch einen Wohnplatz wählen! Freilich das Laboratorium und die kurfürstliche Bestallung als Kammerdiener, und,“ fügte er lachend hinzu, „das Geschenk. Eine ganze Insel als Geschenk! Ja, wenn ihm die letzte Sache noch gelingt, ist Kunckel ein gemachter Mann.“

Unter diesen Selbstgesprächen und Betrachtungen war der Fremde an eine Bucht des Ufers gekommen. Von jetzt an führte der Weg dicht am Flusse entlang. Noch wenig Schritte hatte der nächtliche Besucher gemacht, als er plötzlich einen grellen Lichtschein auf dem Wasserspiegel der Havel gewahrte. Die Wellen zitterten innerhalb des bläulichen Feuerkreises, der sich genau in Cirkelform auf dem Wasser abzeichnete. Es war, als werde das Licht durch das runde Glas einer magischen Laterne geworfen. Zuweilen ward es matter, dann strahlte es wieder so hell, daß es den Augen wehe that. Der Fremde erinnerte sich jedoch, früher nie einen ähnlichen Lichtglanz, eine Lichtfarbe so eigenthümlicher Art gesehen zu haben.

Frostschüttelnd schlug er sich, dem Wege nachgehend, in ein aus Weimuthskiefern und Ginstern zusammengesetztes Gebüsch. Hier durfte er nur noch einige dreißig Schritte thun, als er vor einer aus Bohlen gezimmerten Parkthüre stehen bleiben mußte. Trotz der Dunkelheit gewahrte er Dächer des in geringer Entfernung befindlichen Gebäudes, aus dessen nach der Flußseite führenden Fenstern jener wundersame Lichtglanz strahlte. Er fuhr mit der Hand an der Thüre herum, die Klinke zu suchen, und erfaßte den schweren eisernen Klopfer. Er hob ihn, und schnell hintereinander hallten die dumpfen Schläge durch die Nacht und das Heulen des Windes.

Diese Aufforderung um Einlaß beantwortete ein furchtbares Hundegebell. Das Licht verlosch, und der Fremde hörte, wie eine Thür geöffnet wurde. Schlürfende Tritte näherten sich dem Hofthore, das Hundegeheul begleitete dieselben. Während von innen das Schlüsselloch gesucht ward, sprang der einen Fremden witternde Hund an der Thüre empor und kratzte mit seinen ohne Zweifel ungeheuren Pfoten an den Bohlen.

Der Fremde zog unter seinem Mantel ein Jagdmesser hervor, die Thüre sprang auf, und schon wollte sich ein großer, zottiger Hund auf den Ankömmling werfen, als eine mächtige Stimme das Ungeheuer zurückschreckte. Diese Stimme kam aus dem der Eingangsthüre gegenüberliegenden Hause, an dessen Parterrefenster ein Mann sichtbar war. Er hatte sich einen Schlafpelz übergeworfen. In seiner linken Hand hielt er eine brennende Nachtlampe, welche den Hof theilweise erhellte, seine Rechte umklammerte den Hals eines schußfertigen Doppelhakens, dessen Lauf im Scheine des Lichtes blitzte. – Der Fremde hatte die ganze berüchtigte Bevökerung des Kaninchenwerders vor sich. Der Oeffnende war der stumme hinkende Diener in Begleitung des Teufelshundes, und am Fenster zeigte sich Herr Johannes Kunckel, dem seine Mitbürger die Ehre vindicirten, ein Teufelskünstler zu sein.

„Wer ist da? Wer seid Ihr?“ rief Kunckel, das Feuerrohr hebend.

„Setzt ab!“ lachte der Fremde nähertretend. „Ihr braucht keine Kugel zu vergeuden.“ Er schlug den Mantel zurück und ließ seine Gesichtszüge hell von der Lampe bescheinen.

„Ihr seid es,“ rief Kunckel, ebenfalls lachend. „Ihr, Herr Kirchmayer! Willkommen, tretet ein!“ Die Hausthür öffnete sich, und der Alchymist streckte dem Freunde die Hand entgegen. „Crutzemann,“ herrschte er dem Diener mit schreiender Stimme zu, „schließe das Hofthor! Wodan, verdammter Hund, gieb Ruhe! Kommt in’s Zimmer, Kirchmayer!“ Kunckel schritt seinem Gaste voran in ein großes, sehr geräumiges Zimmer. Dasselbe war mit Büchern umstellt und durchaus wohnlich eingerichtet. In dem hohen Kamine prasselte, mit Berücksichtigung des kühlen Abends, ein helles Feuer. Bald war der Tisch gedeckt, prächtige Gläser mit Wein gefüllt umstanden eine mächtige Hirschkeule, Früchte verschiedener Art lagen in krystallenen Schalen. Der Teufelshund knurrte in der Kaminecke, und der dämonische Diener wartete auf.

Das ganze Aussehen Kunckel’s zeigte keineswegs den mürrischen vertrockneten Gelehrten, sondern vielmehr den heitern, frischen


  1. Der stumme, verwachsene Diener und der Pudel, so wie die Gerüchte über die Insel und Umgegend sind historisch. Wahrscheinlich suchte Kunckel sich absichtlich in den Ruf eines Höherbegabten zu bringen. Er verfuhr darin wie Thurnneißer.
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