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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Jörn Jäger.[1]
Eine Erinnerung aus dem schleswig-holsteinischen Feldzuge von 1850.

Das Bombardement von Friedrichsstadt war aufgegeben worden. Der Sturm auf den Platz am Abend des 4. Octobers, der Tausenden braver Schleswig-Holsteiner nutzlos das Leben kostete, hatte nur die Ehre der Armee retten sollen, wie man sich höhern Ortes damals ausdrückte.

Der allgemeine Rückzug begann, und auch unsere Batterie traf schon am 6. October wieder in Rendsburg ein. Es ist kein sehr erhebendes Gefühl für den Soldaten, wenn er sich nach jeder größeren Affaire immer von Neuem hinter den Mauern einer Festung verkriechen muß! Wir waren daher Alle mürrisch geworden und hätten weit lieber im offenen Felde mit dem Feinde Kugeln gewechselt, anstatt in der Festung nun wieder den Wachdienst versehen zu müssen. Mir, als Freiwilligem, war aber eine derartige Verwendung ganz besonders lästig; man wird sich daher denken können, wie freudig mir das Herz schlug, als mich nach wenigen Tagen schon die Nachricht ereilte, daß ich als provisorischer Feldwebel zu einer halben sechspfündigen Batterie versetzt sei und schleunigst an meine neue Bestimmung abzugehen habe.

Marschordre, – mit welcher beseligenden Empfindung erfüllt sie den jungen Krieger! Eifrig wird der Tornister gepackt, nur das Nothwendigste wandert mit in die Ferne, darunter ein letzter Abschiedsbrief an die Lieben, falls eine feindliche Kugel all’ unserem irdischen Kämpfen und Hoffen ein jähes Ende bereiten sollte. Alles Uebrige nimmt entweder den Weg durchs Fenster oder wird an Zurückbleibende verschenkt, weil uns stets der Gedanke, bald laut, bald leise, durch die Seele weht: Ich kehre ja doch nicht wieder.

So waren auch meine Habseligkeiten rasch geordnet, und rüstig und wohlgemuth schritt ich am Morgen des 10. October in Begleitung eines Cameraden, der mit mir zu jener Halbbatterie versetzt worden war, meiner neuen Bestimmung entgegen. Es war ein trüber Herbsttag. Dicke Nebel lagerten auf dem Boden. Nachmittags zogen sie sich höher und verkündeten dem Wanderer keinen guten Abend. Unser Marsch war ziemlich weit, denn unsere neue Abtheilung stand in Meggerdorf in der Nähe von Johannisberg, der Besitzung des weit und breit gekannten schleswig-holsteinischen Patrioten Tiedemann. Mein Camerad, ein Preuße, verkürzte mir die Zeit durch allerlei witzige Erzählungen und beschwor mich, als wir in ein Dorf gelangten, wo wir Mittagsrast zu halten gedachten, um Gotteswillen nur das Wirthshaus zu meiden, da man in jetziger Zeit das Geld sparen und bei den Bauern um freie Kost anklopfen müsse. Das geschah denn auch, und unsere Wirthe gaben uns nach beendigter Mahlzeit noch einen Schnaps mit auf den Weg und Auskunft, wie wir uns am schnellsten nach Meggerdorf hinüber finden könnten.

Wir mußten durch das Moor marschiren; da, diesseits der an Meggerdorf vorüberfließenden Aue, sollte ein Fischer wohnen, der zugleich die Jägerei betrieb. Er würde uns bereitwilligst über den Fluß setzen und uns so unserm Ziele auf die rascheste Art zuführen. Es dauerte auch nicht allzulange, so bekamen wir ein niedliches Bauernhäuschen in Sicht. Mutig schritten wir demselben zu. Natürlich hatten wir nach dem Namen des fischenden Jägers und jagenden Fischers gefragt, allein nirgends die gewünschte Auskunft erlangen können. Ueberall ward uns blos die Antwort, der Mann sei allgemein unter seinem Vornamen Jörn bekannt, den Zunamen aber wisse man nicht. Deshalb heiße er schlechtweg Jörn Jäger.

Nach kurzem Marsche standen wir vor dem Häuschen, dessen zierlich grün angestrichene Fensterrahmen mir sogleich verkündeten, daß wir den Weg nicht verfehlt haben konnten und daß hier unbedingt der Jäger und Fischer wohnen mußte. Bescheiden pochten wir an die Hinterthür, die auch hier, wie bei allen holsteinischen und schleswigschen Bauernhäusern, der Breite nach aus zwei sich zugleich oder einzeln öffnenden Theilen bestand. Bereits war es dämmerig geworden; das mochte der Grund sein, weshalb auf unser Klopfen vorsichtig nur die obere Luke aufgethan wurde. Ein bildschönes, einfach, aber äußerst reinlich gekleidetes Bauernmädchen fragte freundlich nach unserm Begehr.

Auf unsere Frage, ob hier Jörn Jäger wohne, den wir bitten möchten, uns über die Aue zu setzen, öffnete das Mädchen auch die untere Thür und erwiderte noch freundlicher: „Vadder kummt glieck to Huus, koamt man so lang’ rin.“

Wir ließen uns dies nicht zweimal sagen, und an dem rüstigen Vorwärtsschreiten meines Preußen merkte ich allsogleich, daß er hier wieder eine herz- und magenstärkende Aufnahme witterte. Bei unserm Eintritte in das ländlich schlichte Zimmer, das zugleich als Wohn- und Schlafstube diente, erhob sich Jörn Jäger’s Frau von ihrem Spinnrocken und lud uns ein, Platz zu nehmen. Mit stiller Wehmuth betrachtete ich die schmucklose, doch desto gemüthlichere Einrichtung des Zimmers, und schmerzlich süße Erinnernugen beschlichen den jugendlichen Soldaten. Hatte er sich einst doch auch der Försterei widmen wollen und war, heiligeren Gefühlen folgend, nur durch die Lage seines unglücklichen Vaterlandes auf das Feld der Ehre gerufen worden.

Da hingen in gehöriger Symmetrie die Gewehre an der Wand, neben ihnen Jagdtasche, Pulverhorn und Schrotbeutel. Rehkronen und Hirschgeweihe waren hier und da an der Wand befestigt, und statt Nägel oder Haken figurirten die Eckzähne von wilden Schweinen. Ein mächtiger Kachelofen reichte beinahe bis an die Decke des niedrigen Zimmers und verbreitete eine im October immerhin behagliche Wärme. Zwei Vorhänge an der Wand verriethen, daß hinter ihnen die Schlafstätten der Familie verborgen lagen, die auch hier, wie fast im ganzen Norden üblich, in der Zimmerwand eingelassen waren. Eine große Schwarzwälder Uhr stand in der Ecke und ließ ihre gemessenen Pendelschläge durch das Gemach ertönen. Ein umfänglicher eichener Schrank, ein Tisch und einige Stühle bildeten das übrige Geräthe in Jörn Jäger’s einfacher Behausung. Gott weiß es, war es die Vorahnung, hier einen wahren Freund meines armen Vaterlandes zu finden, oder hatte ich mich längst schon vergebens nach einer solchen ländlichen Gemüthlichkeit gesehnt, – ich empfand ein seltenes Behagen und fühlte mich immer froher, je länger ich in dem bescheidenen Stübchen weilte.

Jörn blieb heute Abend lange aus. Es war inzwischen völlig dunkel geworden, und Stina, seine Tochter, dieselbe, die uns aufgethan, trat mit Licht in die Stube. „Gooden Abend,“ wünschten wir uns allerseits – eine Sitte, deren Beobachtung im Norden nie unterlassen wird.

Darauf begann Stina den Tisch zu decken und bat uns, ein einfaches Abendbrod nicht zu verschmähen. Wie funkelte das sehnsüchtige Auge meines Cameraden, als das junge Mädchen Butter, Brod, Käse, Wurst, geräucherten Aal und Branntwein auftrug! Geräucherter Aal! Das überstieg seine kühnsten Erwartungen, und doch war es gerade dieser Leckerbissen, mit dem die Gäste im Hause Jörn Jäger’s in der Regel bewirthet wurden, weil der Alte jeden Morgen eine gehörige Portion Aale fing und dann selbst zu räuchern pflegte. Noch hatten wir unser Abendessen nicht beendigt, als Hundegebell und der Ruf Stina’s: „De Vadder kummt,“ uns Jörn’s Heimkehr verkündigten.

Die Thür ging auf, und herein trat der arme, aber echte Patriot, der trotz seiner kärglichen Mittel so viel that für die Krieger Schleswig-Holsteins und selbst lieber Hunger und Durst gelitten haben würde, als daß er einen Sohn des theuren Vaterlandes nicht nach Kräften mit Speise und Trank erquickt hätte.

Es war eine hohe Gestalt, die sich in etwas gebückter Haltung unsern Augen darbot. Das längliche, von einem dunklen Backenbarte eingefaßte Gesicht zeugte auf den ersten Blick von seltener Gutmüthigkeit, und aus dem graublauen Auge blickte eine Biederkeit, wie man sie nicht oft gewahr wird. Jörn trug einen dunkelgrünen kurzen Frack, Manchester-Kniehosen, lange Jagdstrümpfe, hohe Stiefeln und eine tuchene grüne Jagdmütze. Er mochte damals einige fünfzig Jahre alt sein, aber die gesunde Gesichtsfarbe, sein seltener Humor und seine ungewöhnliche Rüstigkeit hätten auf ein weit geringeres Alter schließen lassen.

„Gooden Abend, Kinners,“[2] rief er uns zu, indem er freundlich

  1. Indem wir unsern Lesern vorläufig eine „Erinnerung aus dem früheren Schleswig-Holsteiner Kriege“ mittheilen, fügen wir gleichzeitig die Versicherung hinzu, daß die nöthigen Veranstaltungen getroffen sind, die kommenden Ereignisse in dem Lande des „verlassenen Bruderstammes“ durch Wort und Bild in der „Gartenlaube“ zur Darstellung zu bringen. Selbstverständlich werden wir unsere Leser nicht mit Berichten ermüden, die sie in den Zeitungen und Tageblättern schon zur Genüge gefunden.               D. Red.
  2. Kinder
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_774.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2021)