Seite:Die Gartenlaube (1863) 754.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ungethüme dem Ufer zu. Man hatte schon öfter den Versuch gemacht, die gefräßigen Thiere aus der Nachbarschaft zu vertreiben, weil ihnen doch hin und wieder ein Schwein, das seine Jungen tränken wollte, zum Opfer fiel, allein es war ihnen in ihren Schlupfwinkeln schwer beizukommen, da sie eine Büchsenkugel nicht sehr achten und sich nur selten auf das Land wagen. Zwar hatte ein unternehmender Yankee Herrn Lafitte den Vorschlag gemacht, er wolle sie mit Strychnin vergiften, und dann könne man aus den kolossalen Leichen eine Menge Stearin gewinnen; der argwöhnische Südländer aber, der die Neu-Engländer aus dem Grunde seines Herzens haßte, ging auf den seltsamen Vorschlag nicht ein und war schon zufrieden, wenn einer seiner Aufseher zuweilen eine solche Bestie durch einen Kernschuß in das Auge tödtete.

Der Pflanzer war seit langen Jahren Wittwer, und viele seiner nähern Bekannten, denn eigentliche Freunde hatte er nicht, waren der Meinung, daß die Härte seines Charakters erst nach dem Verluste seiner Frau, welche er wirklich geliebt habe, in ihrer ganzen Schroffheit hervorgetreten sei. Die Verstorbene, eine Französin von Geburt, die er als junger Mann bei einem flüchtigen Besuche in Paris hatte kennen lernen, war nach einem zweijährigen Aufenthalt in Louisiana dem gelben Fieber erlegen, zur großen Trauer ihrer Sclaven, deren Loos sie mit zarter Weiblichkeit und durch die größte Nachsicht zu mildern suchte, da ihren europäischen Anschauungen das ganze System widerstrebte. Die einzige Frucht dieser kurzen Ehe war eine vielversprechende Tochter, Blanche getauft, welche der Vater, als sie ein Alter von acht Jahren erreicht hatte, nach St. Louis brachte, um ihr dort in dem Institute der grauen Schwestern eine standesgemäße Erziehung geben zu lassen. In diesem Kinde concentrirte sich seine ganze Liebe, und wenn er durch die unmenschliche Abnutzung seiner Neger Reichthümer auf Reichthümer häufte, so geschah das, wie er sagte, um dereinst Blanche zu der begehrtesten Erbin des Staates zu machen.

Die junge Creolin hatte endlich ihr vierzehntes Jahr vollendet, ein Alter, in dem diese frühreifen Töchter südlicher Breiten in die Welt zu treten pflegen, und ihr Vater glaubte nun die Zeit gekommen, wo sie ihm durch ihre Gegenwart sein einsames, abgeschlossenes Leben erheitern könne. Ehe er nach St. Louis abreiste, um Blanche zu holen, wurde das ganze Haus einer vollständigen Restauration unterworfen und mit jedem möglichen Luxus ausgestattet, um die junge Herrin würdig zu empfangen.

Es war an einem schönen Sommerabend, als sich sämmtliche Sclaven der Pflanzung vor der Veranda versammelt hatten, um Herrn Lafitte und dessen Begleiterin, deren Heimkehr stündlich erwartet wurde, ihren Respect zu bezeigen. Man hatte ihnen zu diesem Zwecke einen halben Feiertag zugestanden, und sie hatten diesen benutzt, um sich vom Schweiß der Woche zu reinigen und sich so gut wie möglich herauszuputzen. Die armen Schwarzen wollten auf ihre junge Herrin einen guten Eindruck machen, weil sie instinctmäßig hofften, dieselbe würde, gleich ihrer seligen Mutter, durch ihre Fürsprache dazu beitragen, daß Nachsicht gegen die Alten und Schwachen geübt werde. Selbst die greise Urrica, deren Alter man auf hundert Jahre schätzte, hatte ihre im Palmettodickicht des nächsten Hügels gelegene Hütte verlassen, um die Enkelin des berühmten Piraten, der sie geeignet hatte, zu begrüßen. Ihr jetziger Herr, der sonst dem Grundsatze huldigte, die durch Abnutzung unbrauchbar gewordenen Sclaven zu jedem Preise zu verkaufen und durch neue Kräfte zu ersetzen, hatte bei ihr eine Ausnahme gemacht und ihr das Gnadenbrod geschenkt, anscheinend aus Pietät gegen seinen Vorfahren, aber in Wirklichkeit aus andern Gründen. So sehr auch der Pflanzer den Nationalisten spielte und sich öffentlich als einen Anhänger Thomas Payne’s und Voltaire’s gerirte, so war er doch, wie alle Creolen, heimlich im ernstesten Aberglauben befangen, und die alte Urrica imponirte ihm, weil man ihr allerlei böse Künste zutraute und die ganze Nachbarschaft der Meinung war, daß sie mit dem „bösen Auge“ viel Schaden und Unheil anrichten könne, wenn sie gereizt werde. Ihre ganze Nachkommenschaft war auf der Plantage unter ihren Augen verdorben und gestorben, ohne daß sie eine Thräne nachgeweint hatte, nur ein einziger Enkel blieb ihr noch übrig, ein starker, intelligenter Neger. Namens Schocko, dem sie mit aufrichtiger Liebe anhing. Dieser war verheirathet, wenn überhaupt von Sclavenehen die Rede sein kann, und Vater von zwei hübschen schwarzen Buben, die sich lustig mit den jungen Hunden und Schweinen zwischen den Negerhütten herumzutummeln pflegten, da sie zu jung waren, um zur Arbeit angehalten zu werden.

Endlich fuhr der Wagen vor, der Herrn Lafitte und seine Tochter von dem Landungsplatze des Dampfbootes geholt hatte, und die versammelten Sclaven empfingen die Ankommenden mit einem lauten Hurrah, während die beiden Aufseher in ihrem Sonntagsstaate den Schlag öffneten und bei dem Aussteigen behülflich waren. Des Pflanzers Miene war düster und herrisch wie immer, und nachdem er flüchtig mit der Hand gegrüßt und Blanche in das Haus geleitet hatte, trat er wieder auf die Veranda und fing heftig an zu schelten: „Ihr faulen schwarzen Schlingel, wartet nur, Ihr habt wohl die Peitsche eben nicht geschmeckt, während ich abwesend war. Schon unterwegs habe ich gesehen, wie liederlich Ihr gearbeitet habt. Ist das eine Wirthschaft, so viel Unkraut unter dem Zuckerrohr zu dulden, und die Baumwolle fault in ihren Kapseln!“ Als nun die beiden Aufseher sich rechtfertigen wollten und die Erklärung gaben, daß sie nicht schuld wären, daß aber die Neger die ganze Zeit über widerspenstig und träge gewesen seien und daß sie Schocko – den sie wegen seines männlichen Charakters am wenigsten leiden mochten – für den Anstifter hielten, kannte die Wuth des Pflanzers keine Grenze mehr. Er riß die schwere Wagenpeitsche aus ihrem Futteral und schlug den armen Neger einige Mal über das Gesicht, daß dicke Blutstropfen hervorquollen, und wäre mit der Züchtigung fortgefahren, wenn nicht Blanche, welche an das Fenster getreten war, ihn mit Thränen in den Augen gebeten hätte, seinem Zorn Einhalt zu thun und zu ihr hereinzukommen. Die Neger schlichen betrübt nach ihren Hütten zurück, und Schocko schwankte mit geschwollenen und geblendeten Augen an der Seite seiner Großmutter nach dem benachbarten Bache, um sein brennendes Gesicht im Wasser zu kühlen, während die beiden Aufseher von ihrem Brodherrn zu größerer Strenge ermahnt wurden.

Das Leben auf der Pflanzung nahm nun freilich nach Blanche’s Ankunft einen anderen Charakter an, aber das Loos der Sclaven wurde darum nicht besser, da Lafitte, der sonst seiner Tochter in Allem zu Willen war, ihr ein für alle Mal erklärte, von diesen Verhältnissen verstände sie nichts, und sie möchte ihr Mitleid für ihre weißen Mitmenschen sparen. Trotz aller Vergnügungen, welche der Vater ihr zu bereiten suchte, trotz der zahlreichen Besuche, welche die benachbarte Gentry im Hause des Pflanzers machte, um der schönen und jungen Erbin ihre Achtung zu bezeigen, fühlte sie sich einsam und unglücklich und hatte eine Art Vorgefühl, als wenn sie etwas Schreckliches erleben würde. Der rohe, geldgierige Pflanzer hatte freilich keine Idee davon, daß es auch außer Reichthum und Luxus noch etwas Anderes giebt, wodurch unsere Zufriedenheit bedingt wird, und so ließ er es sich nicht einfallen, daß Blanche, der er jedes pecuniäre Opfer brachte, durch die Scenen der Grausamkeit, welche sie täglich zu sehen bekam, in ihrem innersten Gemüthsleben erschüttert wurde. So liebevoll und nachsichtig er sonst auch gegen seine Tochter war, eben so ausfallend und rauh benahm er sich gegen sie, wenn sie sich unterfing, ein Wort zu Gunsten der mißhandelten Sclaven zu sprechen, und so kam es denn, daß sie zuletzt ganz schwieg. Dieses Stillschweigen wurde aber von den Negern, welche sich von ihrer Anwesenheit auf der Pflanzung so viel versprochen hatten, als eine stumme Billigung der Härte ihres Vaters ausgelegt und sollte furchtbare Folgen nach sich ziehen.

Eines Tages erschien Daly, einer der beiden Aufseher, auf der Veranda, wo Lafitte gerade Gäste empfing, und meldete, daß bei der Baumwollenpresse so eben ein Maulthier, das nicht recht angespuannt gewesen sei, das Bein gebrochen habe. Wüthend fragte der Pflanzer nach dem Namen des Schuldigen, und als er hörte, daß es Schocko sei, befahl er, ihn auf das Grausamste zu geißeln. Dem Unglücklichen wurden beide Daumen mit einem dünnen Strick zusammengebunden, und dieser dann über einen etwa acht Fuß hoch in einen Baum eingeschlagenen Nagel so fest angezogen, daß nur die Zehen des Negers den Boden berührten. In dieser qualvollen Stellung erhielt derselbe auf den bloßen Rücken mit der schweren Peitsche so lange die unbarmherzigsten Hiebe, bis das Leben fast erloschen schien und der Rasen um seine Füße förmlich mit Blut getränkt war. Dann wurde er losgebunden und bewußtlos in die Calebuse (Negergefängniß) geschleppt, wo er acht Tage lang bei Wasser und Brod zubringen sollte, bis seine Wunden wieder geheilt seien. Wäre dieses doch sein härtestes Loos gewesen! Vielleicht hätte Schocko bei seinem angeborenen Stoicismus die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_754.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)