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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

nun seine letzte Caserne, den Militärgottesacker San Giovannino vor der Porta Vercellina. Frankl gab 1840 Hilscher’s Nachlaß heraus, der von den damals die Kritik beherrschenden „Hallischen Jahrbüchern“ mit großer Anerkennung behandelt ward. Eine zweite vermehrte Auflage dieser Ausgabe hat die Mittel zu einem Denkmal für den armen unglücklichen Dichter aufgebracht, das in seiner Vaterstadt am 29. Juni 1863 enthüllt worden ist.

Leider hat man nicht zu verschweigen vermocht, daß erst eine czechische Ovation für den Dichter Macha, der in Leitmeritz gelebt und gestorben, die guten deutschen Leitmeritzer daran erinnert hat, daß ihr Hilscher auch ein Dichter gewesen. So sind sie denn in dieser Beziehung ganz wie ihre Landsleute da haußen im Reich, und ich darf ihnen das zurufen, was auch diese sich schon so oft verdient haben.

Des Dichters Erdenloos war bitt’re Noth,
Sein stummer Schmerz ermahnte euch vergebens.
So lang’ er lebte, war er für euch todt;
Jetzt ist er todt: nun freut euch seines Lebens!

Friedr. Hofmann.

Kurze Procedur. Alle Zeitschriften sind voll von Berichten über die Grausamkeiten, welche sich in dem gegenwärtigen furchtbaren Kampfe Russen und Polen einander zufügen. Es wird daher den Lesern der „Gartenlaube“ nicht uninteressant sein, wenn ihnen in ein paar Scenen, die, zwar an sich ohne historische Bedeutung, doch als Sittenbild der Zeit immerhin Beachtung verdienen, vor Augen geführt wird, wie vor hundert Jahren schon das russische Militär gegen die Polen zu Werke ging.

Der Zelotismus der Bischöfe von Krakau und Wilna trieb die Dissidenten (Griechen, wie Protestanten), deren Religionsfreiheit schon seit längerer Zeit auf das Aeußerste verkümmert worden war, massenhaft aus dem Lande. Rußland benützte den Vorwand, sich der Vertriebenen annehmen zu wollen, um sich in die polnischen Angelegenheiten thätig einzumischen. Dagegen widersetzte sich ein Theil des polnischen Adels und schloß, von Frankreich aufgehetzt und angestachelt, zu Bar, einem Städtchen der Ukraine, im Februar 1768 die bekannte Barer Conföderation, welche den ganz von russischem Einflusse beherrschten schwachen König Stanislaus August aus dem Hause Poniatowsky für abgesetzt erklärte und den Anstoß zu einem vierjährigen Kampfe mit Rußland gab.

In Posen stand als russischer Commandant der Oberst von Rönne. Die benachbarte Neumark war mit Pommern, die beide durch die vor wenigen Jahren erst beendeten Kriege mit Rußland und Schweden zum Theile verheert lagen, der Verwaltung Schönberg von Brenkenhof’s unterstellt, eines von Friedrich dem Großen aus Anhaltischen Diensten berufenen kenntnißreichen, energischen und zugleich menschenfreundlichen Mannes, welchem Preußen sehr viel verdankt. Eines Tages hielten die beiden Herren in dem unweit der Posenschen Grenze gelegenen kleinen Orte Zirke eine Zusammenkunft, um verschiedene Grenzstreitigkeiten und Competenzconflicte zum Austrage zu bringen.

Als Brenkhof mit Rönne beim Frühstücke saß, bat dieser den Gast um die Erlaubniß, eine kleine Execution vornehmen lassen zu dürfen. Brenkenhof, der keine Ahnung hatte, um was es sich dabei handelte, nickte zustimmend. Bald darauf wurde ein Marschall der gedachten Conföderation, welchen eine Truppenabtheilung des Obersten Tags zuvor gefangen genommen hatte, in das Zimmer geführt und genöthigt, sich auf einem ausgebreiteten Teppich hinzulegen. Vier Kosaken erhielten dann den Befehl, ihn mit dem Kantschu zu züchtigen. Brenkenhof, der sah, daß es dem Russen voller Ernst war mit der angekündigten „Execution“, machte ihm Vorstellungen über die wunderbare Art, wie er einen gefangenen General behandeln wollte.

Nach vielem Hin- und Widerreden ließ sich denn der Oberst besänftigen und bot seinem Gaste den Marschall zum Geschenk an, und zur großen Freude des Polen acceptirte Brenkenhof die seltsame Gabe.

Bald nachher trat der Letztere zufällig an ein Fenster des Gemachs, aus dem man in den Hof hinabblicken konnte. Dort hatten eben russische Fußcarabiniers einen Kreis geschlossen. Sämmtliche hielten den Hahn ihrer Gewehre gespannt. Ein paar Minuten später ritt ein Kosakenpiguet in den Hof, das vierzig Gefangene escortirte, die alsbald in den Kreis geführt wurden. Die Kosaken saßen ab, drei von ihnen setzten ihre Lanzen auf die Brust eines dieser Kriegsgefangenen und spießten ihn auf. Einem Zweiten und einem Dritten erging es nicht besser.

Das war Brenkenhof zu stark. Er schrie laut auf, öffnete das Fenster und gebot den Kosaken im Namen des Obersten einzuhalten in ihrer Henkerarbeit. Dann wandte er sich an seinen Wirth und forderte Auskunft, was dieser schauerliche Vorgang zu bedeuten habe. „Ich entledige mich meiner Gefangenen,“ war die Antwort.

„Aber ich bitte Sie,“ entgegnete Brenkenhof, „was ist dies für eine barbarische Methode, Krieg zu führen?“

„Was soll ich mit den Leuten anfangen?“ antwortete Rönne. „Ich habe keine Festungen, in denen ich sie interniren, und keinen Fond, aus dem ich ihren Unterhalt bestreiten kann. Ja, wenn sie Wort hielten; aber ich entlasse sie auf ihr Ehrenwort, nicht von Neuem gegen uns zu dienen, und bin gewiß, daß ich mich morgen oder übermorgen wieder mit ihnen herumschlagen muß. Also Sie sehen, es geht nicht anders!“

Da Brenkenhof wahrnahm, daß es dem Obersten blos darum zu thun war, seine Gefangenen loszuwerden, so bat er Rönne, sie ihm zu beliebiger Verwendung zuzuweisen, mit dem Versprechen, daß er sie an westphälische Regimenter absenden und damit den Russen unschädlich machen wollte.

Der Oberst ging den Handel ein und ließ die ihres nahen Todes schon Gewissen aus dem Kreise führen. Einige Tage später war Brenkenhof abermals bei Rönne zu Gaste und nahm diesem das Gelöbniß ab, bei seinem ganzen Corps zu befehlen, daß keine gefangenen Conföderirten mehr getödtet, sondern wiederum ihm überlassen würden. In Folge dieser Vereinbarung erhielt Brenkenhof noch 815 gefangene Polen, die er nach Küstrin bringen und daselbst vorläufig auf seine eigenen Kosten verflegen ließ.


Für Musen und Maulesel. Dem Fremden, der in Berlin zum ersten Male unter den Linden herumwandelt, muß gewiß das große Gebäude auffallen, vor dem jeder richtige Berliner, auch wenn er noch so eilige Geschäfte hat, stehen bleibt, indem er seine Augen in die Höhe richtet, seine Uhr aus der Tasche zieht, um dieselbe nach dem im Mittelfenster angebrachten Chronometer zu richten. Dieses Gebäude ist die bekannte, von dem ersten Könige Preußens auf Vorstellung des berühmten Philosophen Leibnitz gegründete Akademie der Wissenschaften. In diesen Räumen versammeln sich von Zeit zu Zeit die wirklichen und geheimen Unsterblichen, deren Zahl der Tod in den letzten Jahren bedeutend gelichtet hat. Einst saßen in der ehrwürdigen Versammlung Alexander von Humboldt, der originelle Mineraloge Leopold von Buch, der berühmte Geograph Ritter, die großen Sprachforscher Jakob und Wilhelm Grimm, deren Ruf die ganze Welt erfüllte. Sie sind nicht mehr, und mit ihnen hat die Akademie ihre höchsten Zierden verloren. Nur an den Geburtstagen Friedrich des Großen und ihres Stifters Leibnitz tritt die Akademie unmittelbar mit der Oeffentlichkeit in Berührung, indem diese bedeutungsvollen Tage durch öffentliche Vorträge gefeiert werden. Die Wahl der Stoffe entspricht jedoch in den meisten Fällen wenig oder gar nicht den Anforderungen der Zeit, und Reden über die Indefinitesimal-Rechnungen und über die Etappenstraßen der Römer sind gewiß nicht geeignet, die lebendige Wechselwirkung zwischen der Wissenschaft und dem Leben zu unterhalten. Kein Wunder daher, wenn das Publicum keinen besonderen Antheil an der Akademie und ihren Arbeiten nimmt, so segensreich dieselben auch für die strenge Wissenschaft sein mögen. Auch die Kunst hat hier ihren Sitz aufgeschlagen; unsere zukünftigen Raphaels und Michel Angelo’s üben sich in den Sälen im Zeichnen von schiefen Nasen und schielenden Augen, verrenkten Armen und bedauernswerthen Klumpfüßen, bis der Tag, kommt, wo der Genius der Kunst, in der Person des Directors oder Vicedirectors der Akademie, ihnen den ersten Preis ertheilt und somit die Pforten der Unsterblichkeit auch ihnen erschließt. Alle drei Jahre findet in den Sälen eine große Kunstausstellung statt; auch ist die bekannte „Wagner’sche Gemäldesammlung“ hier vorläufig aufgestellt.

Merkwürdiger Weise dient die Akademie der Künste und Wissenschaften noch zu verschiedenen anderen Zwecken, die keineswegs sich mit ihrer sonstigen hohen Bestimmung vereinen lassen. Ein Theil des weitläufigen Gebäudes wird nämlich zu Stallungen für die Pferde des hier garnisonirenden Garde du Corps-Regiments benutzt, während ein anderer Flügel den königlichen Marstall mit seinen herrlichen Trakehner Rossen und prachtvollen Gallawagen beherbergt. Unter diesen Verhältnissen dürfte die lateinische Inschrift, welche ein witziger Kopf für die Akademie vorschlug, vielleicht nicht ganz ungerechtfertigt sein. Dieselbe lautet nämlich: Musis et mulis, das heißt: „für Musen und Maulesel.“

In früherer Zeit befand sich in demselben Gebäude noch die Sternwarte, ein hölzerner Telegraph mit langen Armen und die Anatomie, welche damals hauptsächlich die Leichen der Selbstmörder empfing. So vereinigte das als Akademie bezeichnete Grundstück die verschiedensten und widersprechendsten Elemente, und während in den vorderen Sälen die Wissenschaft ihre erhabene Stimme ertönen, die Kunst ihre Schönheit leuchten läßt, hört man in den hinteren Partien das Wiehern der Pferde, das laute Gelächter der heiter gestimmten Wachtstube und die Stallwitze der königlichen Kutscher. In dieser wunderlichen kleinen Welt wurde auch ein berühmter deutscher Schriftsteller, Karl Gutzkow, geboren, dessen Vater einen Posten im königlichen Marstall bekleidete. Er selbst hat in höchst anziehender Weise die in diesen merkwürdigen Räumen empfangenen Jugendeindrücke in seinem Buche „aus der Knabenzeit“ geschildert und besonders das Grauen, welches ihm die Anatomie mit ihren Leichen einflößete, drastisch beschrieben. Immerhin ist es für Berlin charakteristisch, daß unter demselben Dach Kunst, Wissenschaft, Militär und Marstall friedlich bei einander wohnen.

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