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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

der Leser der Gartenlaube an. Zur Zeit der Verheirathung des Prinzen von Wales mit der Prinzessin Alexandra von Dänemark waren natürlich alle Zeitungen mit Berichten und erklärenden Illustrationen über das Ereigniß des Tages gefüllt. Auch das genannte Blatt brachte in einer Nummer eine Illustration, welche zufolge der Unterschrift die Abreise der fürstlichen Braut von Kopenhagen darstellen sollte. Ohne sehr genau auf dieselbe zu blicken, fand ich, daß die dargestellte Scene nicht Kopenhagen, sondern Berlin war; da war das Palais des früheren Prinzen von Preußen, mit der Universität gegenüber, dem Monument des großen Friedrich und dem Anfang der Lindenpromenade im Hintergrund. Die die Straße besetzt haltenden Truppen waren klar und deutlich als preußische Garden zu erkennen, zum Ueberfluß sah man linker Hand auch noch ein Stück der Façade des Opernhauses, und endlich schritten den königlichen Equipagen voran Processionen der Gewerke, Fahnen tragend, auf deren vorderster ganz deutlich das Wappen der Stadt Berlin zu erkennen war. Das Ganze schien mir ein alter Holzschnitt zu sein, der gelegentlich der Krönung des jetzigen Königs von Preußen gemacht war, in irgend einem Blatte damals gedient hatte, und den Einzug des Königs in Berlin nach seiner Rückkehr von Königsberg vorstellte. Dabei scheuete sich die Redaction jedoch nicht, noch besonders zu bemerken, daß ein speciell engagirter Künstler die Illustrationen an Ort und Stelle aufgenommen habe.

Am meisten amüsiren mich jedoch die Illustrationen, welche in demselben Blatte bezüglich des jetzt und seit Jahr und Tag in Amerika zwischen den Nord- und Südstaaten wüthenden Krieges dem leichtgläubigen und leicht zu befriedigenden englischen Publicum aufgeheftet wurden. Kurz zuvor hatten erst der kurze, doch ereignißvolle italienische Krieg und dann die Scharmützel zwischen den Truppen Franz’ II. und Victor Emanuel’s Anlaß zur Anfertigung einer Menge von Holzschnitten, Schlachtscenen darstellend, gegeben. Diese mußten nun wiederholt die Literatur schmücken und sich nolentes volentes dem nordamerikanischen Bürgerkriege anpassen lassen. So finde ich Seite 681 (Monat August 1862) eine Illustration mit der Unterschrift: „Zurückwerfung der Nordstaatentruppen in der Nähe von Richmond.“ Ein nur oberflächlicher Blick auf das Bild zeigt uns den französischen Kaiser mit seinem Gefolge, französische Infanterie und Artillerie zum Gefecht vorrückend im Vorgrunde, und den historisch gewordenen Wartthurm auf der Höhe vor Solferino mit den einzelnen Pappeln dabei im Hintergrunde.

Seite 408 desselben Blattes (Monat April 1862) bietet eine Abbildung im großen Format, angeblich die große Schlacht am Sugar Creek in Arkansas darstellend. Wiederum finden wir französische Truppen zur Attake vorrückend, unverkennbar französische Generale sie anfeuernd und österreichische Soldaten in ihren kurzen, weißen Röcken und engen ungarischen Beinkleidern als Todte und Verwundete das Schlachtfeld bedeckend.

In ihrer Nummer vom 1. November 1862 geben unsere Weekly News zwei Bilder auf einer Seite, das obere mit der Unterschrift. „Südstaaten-Truppen im Marketender-Zelt“, das andere: „Angriff der Conföderirten auf Corinth“. – Das obere Bild stellt in Wirklichkeit französische Chasseurs d’Afrique dar und zeigt uns ein treues Portrait einer französischen Cantinière in Uniform; das zweite kann keinem vernünftigen Menschen als etwas Anderes denn Messina erscheinen. Man sieht neapolitanische Truppen, auf deren Fahnen das Wappen von Neapel, und den Aetna im Hintergrunde der Meeresbucht.

Das non plus ultra jedoch bleiben zwei auf die französische Occupation Mexicos bezügliche Holzschnitte auf Seite 488 vom 9. Mai 1863, beide angeblich Gefechte der französischen mit den mexicanischen Truppen vorstellend und beide augenscheinlich aus der Zeit herrührend, in welcher Spanien mit Marokko im Kriege war; denn auf beiden sieht man die nicht zu verkennende spanische Uniform, namentlich die eigenthümliche Figur der spanischen Militär-Kopfbedeckung, und auf beiden präsentiren sich deutlich die weißen, flatternden Bournusse der Araber und Beduinen.

Ich könnte so in diesem Genre noch lange fortfahren, denn fast eine jede Nummer dieses unvergleichlichen Blattes bringt eine ähnliche Lüge im Bilde; doch genug davon, lassen sich die Alles wissen wollenden Engländer solchen Unsinn aufheften, so mögen sie es thun; ein deutsches Blatt würde mit solcher Frechheit nicht aufzutreten wagen. Man vergleiche nun die äußere Ausstattung, Papier und Druck des mehrerwähnten Blattes mit unserer Gartenlaube, der Illustrirten Zeitung oder irgend einem ähnlichen deutschen Blatte. Auch hier, welche Differenz! – Zeitungsdruck, wie man sich ihn nur denken kann, und Papier, welches – mit einem Worte richtiges Strohpapier. Von dem aus allen Zeitungen zusammengestoppelten Inhalt, der von Druckfehlern wimmelt, will ich gar nicht sprechen, es ist unmöglich, in ihm nur einen Originalbeitrag herauszufinden.

Nun giebt es noch eine andere Art von Literatur in wöchentlichen Lieferungen hier in London, die billiger als billig ist, denn sie wird umsonst verabreicht. Ein hiesiger Kaufmann (Materialist) giebt jedem seiner Kunden wöchentlich gratis eine Nummer eines acht Seiten haltenden Blattes, welches er auf seine Kosten eigens redigiren und drucken läßt und dessen Inhalt eine Mischung von Fabeln, Märchen, Novellen, Gedichten, Schauer- und Geistergeschichten etc. ist. Ellerby und Comp. ist die Firma dieses (auch meines) Thee- und Kaffeelieferanten, der dieses Mittel mit Erfolg benutzt, um theils Kunden anzuziehen, theils seine Waaren anzupreisen, wozu ihm die erste und letzte Seite seines „Journals“, wie er es stolz nennt, prächtig dient.

Zum Schluß noch eine jedoch sehr wahre Anekdote, welche eigentlich mehr in das Annoncenfach einschlägt, das bereits früher in der „Gartenlaube“ einmal besprochen wurde. Gestern führte mich mein täglicher Weg durch Holborn, eine der Hauptpulsadern Londons. Ich sah einen dichten Menschenknäuel um zwei oder drei Männer versammelt, welche – soweit ich es aus der Ferne zu erkennen vermochte – dicke Stöcke von Zetteln unter dem Arm hatten und diese an die Umstehenden vertheilten. Glaubend, daß dies eine der gewöhnlichen, auf den Straßen vertheilten Zettel-Annoncen sei, wie sich Aerzte, Kaufleute, Schnittwaarenhändler, Schneider und Schuhmacher derselben, bedienen und deren man zwei bis drei Dutzend in einem Zeitraum von zehn Minuten in Empfang nehmen kann, wenn man sonst will, wollte ich vorbeipassiren, als meine Aufmerksamkeit durch die eigenthümliche Form dieser Handbills (so nennt man sie) erregt ward. Mit Mühe gelang es mir eines Exemplars mich zu bemächtigen. Was glauben Sie, konnte es sein? Sie würden es schwerlich errathen.

Ein Halskragen von Papier, prächtig weiß, nach dem neuesten und fashionabelsten Schnitt, dessen innere Seite ganz zierlich bedruckt war und die Annonce eines Friseurs und Parfümeriehändlers enthielt. Viele Jungen befestigten sich den erbeuteten Kragen sofort am Hemd. Dies ist nun eine ganz neue Art der Straßen-Annonce, neuer jedenfalls als die Wechsel-Annonce, welche auch sehr ingeniös ist und darin besteht, daß Kaufleute sich Etiquetten sehr fein drucken lassen, welche genau die Rundung eines Penny haben; diese werden dann auf die eine Seite der großen Kupfermünze geklebt und kommen so beim Herausgeben in die Hände des kaufenden Publicums.

K.


Humboldt und ein neuer Münchhausen. In dem „Briefwechsel A. v. Humboldts mit H. Berghaus“ (Leipzig, Costenoble, 3 Bde.), einem Werke, das namentlich für die Geschichte der Erdkunde in den letzten dreißig Jahren von großer Wichtigkeit ist, wird auch Folgendes erzählt:

War Humboldt mit dem Könige in Potsdam, so pflegte er bei gutem Wetter Spaziergänge in der Umgebung der Stadt zu machen und namentlich eine Anhöhe zu besuchen, von der aus man eine Uebersicht der Landschaft und besonders der Havel-Seen hat. Eines Tages saß er auf einer Ruhebank auf dieser Anhöhe (Brauhausberg genannt), als ein junger Mann ihn flüchtig grüßte und sich neben ihn setzte. Humboldt sprach gegen den Unbekannten von der schönen Aussicht.

„Ja, die Aussicht ist ganz niedlich, sogar hübsch, aber was ist sie gegen die Aussichten in der Schweiz und nun gar gegen die vom Chimborazo! Dagegen ist sie gar nichts!“

Humboldt glaubte nach dieser Rede einen ihm noch unbekannten Reisenden vor sich zu sehen, der vielleicht nach Potsdam gekommen sei, ihn aufzusuchen; er fragte also:

„Sie waren in Amerika und auf dem Chimborazo? Ich glaubte bisher, es wären nur zwei Versuche gemacht worden, den Chimborazo zu ersteigen, einmal von Humboldt mit Bonpland und Montufar, dann dreißig Jahre später von Boussingault und Gate. Sie haben also auch den Versuch gemacht?“

„Ich habe nicht nur den Versuch gemacht, sondern bin auf die Spitze hinaufgekommen. Meine Gefährten mußten ein paar tausend Fuß tiefer zurückbleiben.“

„Darf ich fragen, wer Ihre Begleiter bei diesem gefährlichen Unternehmen waren?“

„So arg sind die Gefährlichkeiten nicht, als sie den Leuten vorgeredet werden.“

„Einige Bergreisen habe ich auch und dabei die Erfahrung gemacht, daß außer andern Gefahren die persönlichen Leiden in den höhern Luftschichten doch nicht so ganz unbedeutend sind.“

„Viel Wind dabei, auf Ehre! Nur Courage gehört dazu. Die habe ich; meinen Begleitern ging sie aus, und darum mußten sie zurückbleiben.“

„Darf ich meine Frage nach den Namen Ihrer Gefährten wiederholen?“

„Sie haben sie vorhin selbst genannt. Der Humboldt hatte noch die meiste Courage, er wollte mir nach, aber die Kräfte reichten bei ihm nicht aus. Der Franzose wollte bei jedem Schritte umkehren.“

„Sie scheinen wenig über 30 Jahre alt zu sein,“ sagte Humboldt lächelnd; „Humboldt machte seinen Versuch 1802, und jetzt haben wir 1835. Wie reimt sich das zusammen?“

„Bitte um Vergebung. Sie verwechseln die Zahlen. Nicht 1802, sondern 1820 war ich mit dem Humboldt auf dem Chimborazo. Damals war ich 20 Jahre alt.“

„Ich habe immer gehört, daß mit Humboldt nur zwei Personen waren.“

„Sie irren sich, auf Ehre. Da ich selbst dabei gewesen bin, muß ich es doch besser wissen. Wenn Humboldt mich in seinen Schriften nicht erwähnt, so ist dies aus Neid geschehen, weil ich auf dem Gipfel des Chimborazo war und er nicht nachkommen konnte. Er war seitdem übler Laune und ließ sie oft an mir aus. Ich habe ihm mehrmals meine Meinung darüber derb gesagt. Da kam es einmal zu einem Wortwechsel; ich trennte mich von ihm und kehrte allein nach Europa zurück.“

Jetzt wurde Humboldt ernst und antwortete:

„Ich höre gern Münchhausen’sche Geschichten, wenn sie gut erfunden sind, die Ihrige ist aber schlecht erfunden und dichtet überdies den häßlichen Neid einem Manne an, der sich bewußt ist, von demselben immer frei gewesen zu sein.“

„Kennen Sie den Humboldt?“

„Ich bin es selbst.“

Sobald Humboldt dies gesagt hatte, sprang der Fremde von der Bank auf und verschwand im nächsten Gebüsch. Es war ein Herr von Sch..f, der später Landrath in Friedeberg in der Neumark wurde.



Aus dem Theaterleben. Eine der populärsten Erscheinungen Berlins war der verstorbene Hofrath „Teichmann“, welcher mehr als vierzig Jahre die Stelle eines Secretairs beim Hoftheater bekleidete und die rechte Hand von vier Generalintendanten war. Wer nur jemals mit der Berliner Hofbühne zu thun hatte, erinnert sich gewiß des kleinen, gefälligen Mannes im schwarzen Leibrock, mit dem rothen freundlichen Gesichte, grauen Haaren und gutmüthigen Augen, der unzählige Geschichtchen und Anekdoten aus dem Theaterleben zu erzählen wußte. Es giebt gewiß keinen Künstler, keinen dramatischen Schriftsteller in Deutschland, der nicht den Hofrath gekannt und mit ihm in Briefwechsel gestanden hat. Männer wie Raupach, Tieck etc. durfte er zu seinen Freunden zählen, und der Letztere besonders

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