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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Wirksamkeit mit Recht eine Musteranstalt genannt zu werden verdient, müssen wir das erste Dresdner (sogen. rothe) Dienstmann-Institut hervorheben. Vor zwei Jahren (am 15. September 1861) von dem Kaufmann Eduard Geucke und dem Buchhändler Julius Heinze in’s Leben gerufen, welche Beide, durch ihre sonstigen Geschäfte keineswegs darauf angewiesen, dem Unternehmen in höchst uneigennütziger Weise vorstehen und es in wahrhaft gemeinnützigem Sinne leiten, hat es sich durch seine vortrefflichen Einrichtungen bereits über Deutschlands Grenzen hinaus einen wohlbegründeten Ruf erworben. Mit 50 Mann eröffnet, schafft es heute bereits 300 unbemittelten Arbeitern Brod und Verdienst, und mit ihnen haben noch 25 Inspectoren, Comptoiristen, Aufseher etc. eine einträgliche und gesicherte Stellung erhalten. Es dürfte kaum ein zweites Dienstmann-Institut in Deutschland eine so bedeutende Anzahl Arbeiter beschäftigen und sich solchen Aufschwunges zu erfreuen haben! Es war und ist aber auch nichts Leichtes, den großen Betrieb zu organisiren, zu überwachen, in Gang und Ordnung zu erhalten. Es müssen Tausende an eine Sache gewendet werden, bei der das Resultat keineswegs im Voraus zu berechnen, die Rentabilität vielmehr nächst der Betriebsamkeit der Arbeiter von den Verkehrsverhältnissen im Allgemeinen, ja selbst von der Witterung und einer Reihe von andern Zufälligkeiten abhängig ist.

Das 1. Dresdner Dienstmann-Institut weist gegenwärtig einen Mobiliarbestand an Wagen, Karren und sonstigen Geräthen aller Art, Sommer- und Winterkleidung, Montirungsstücken u. s. w. von über zehntausend Thaler auf; die Abnutzung und Erneuerung namentlich der letzteren erfordert jährlich ansehnliche Summen. Der Bedarf an Löhnen für die Mannschaft und das übrige Personal stellt sich jetzt monatlich auf 3500 Thaler und erreicht im Jahre die immense Ziffer von über 40,000 Thalern.

Rechnet man hierzu die Ausgaben für Reparaturen, Miethzinsen für 11 Comptoire und Remisen, die Herstellung der Marken (von welchen die 300 Dienstmänner täglich 7000, jährlich aber 2,555,000 zum Verbrauch erhalten und die allein einen Aufwand von über 1000 Thlr. verursachen), sonstige Druckkosten und Inserate, so wie alle weiteren Geschäftsspesen, so müssen jährlich über 50,000 Thaler, täglich gegen 150 Thlr. eingenommen werden, ehe nur von einem Ueberschuß, von einem Gewinn für die Unternehmer die Rede sein kann. Fürwahr, es liegt denselben kein Geringes ob, und große Umsicht, Energie und Ausdauer gehören dazu, das Getriebe des vielseitigen Geschäfts im Umgange mit so vielen verschiedenartigen Charakteren unter den Arbeitern und bei den mannigfachen Unannehmlichkeiten, wie sie zweifelsohne bei einem Verkehr mit täglich Tausenden im Publicum vorkommen, im rechten Gleise zu erhalten. Den schönsten Lohn für ihre Mühen erhält die Direction des Instituts durch die Liebe und Anhänglichkeit ihrer Untergebenen. Diese haben die ihnen geschaffenen Wohlthaten, die moralische und materielle Hebung ihres Standes kennen und schätzen gelernt. In jeder Weise ist für sie gesorgt. Nächst vollständiger Kleidung, die ebenso zweckmäßig als anständig ist, und freier Benutzung aller Geräthe, gewährt ihnen das Institut durch festen Lohn eine vollkommen gesicherte, von der Jahreszeit unabhängige Stellung; eine Krankencasse bietet ihnen in Krankheitsfällen täglichen Zuschuß, eine Pensionscasse, wenn sie dienstunfähig geworden, eine willkommene Unterstützung, für die jüngeren, unverheiratheten Mannschaften ist ein Casernirungssystem eingeführt, welches ihnen billigere und gesündere Wohnungen verschafft, und durch Errichtung eines Proviantmagazins wird nach Art der Consumvereine für gute und wohlfeile Nahrungsmittel gesorgt. Aber auch in anderer Weise ist des Arbeiters gedacht: in geselligen Zusammenkünften lernen sie sich unter einander genauer kennen und der Corporationsgeist wird gehoben; sie vergnügen sich in angemessener, fröhlcher Weise, wobei Jeder seine Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Geltung bringen kann, und kleine Festlichkeiten, die die Mannschaft selbst oder die Direction veranstalten, nähren und kräftigen Herz und Seele und schaffen neue Lust zu neuem Tagewerk.

So bildet das Ganze ein einheitliches, harmonisches Zusammenwirken und gegenüber der Unzulänglichkeit früherer Zustände einen überzeugenden Beweis seiner Nützlichkeit. Das Dresdner 1. Dienstmann-Institut wirkt aber nicht allein dort mit großem Segen, es erstreckt seine Thätigkeit auch noch auf einige andere Städte Sachsens sowie Böhmens, in denen es Commanditen errichtete, und wohl die meisten neueren derartigen Unternehmungen sind nach seinem Muster erstanden, so auch das seit dem 15. September dieses Jahres in Leipzig bestehende neue Dienstmann-Institut. Auch bei diesem gilt die Abgabe von sogenannten Garantiemarken, welche jeder Dienstmann dem Auftraggeber je nach dem Kostenpreise der ausgeführten Dienstleistung einhändigen muß, als erster und wichtigster Grundsatz. Nur der Besitz dieser Marken begründet das Recht auf Ersatzpflichtigkeit in Schadenfällen, während sie zugleich als wirksames Controlmittel für die Unternehmer wie für das Publicum dienen. Der Dienstmann, der dem Auftraggeber keine Marke aushändigt, wird sofort seiner Stelle verlustig. Das Markensystem ist eigentlich der einzige sichere Boden, auf welchem die Solidität, die Dauer und der Ruf des Instituts beruht; denn es bildet die Grundlage für die unerläßliche Disciplin unter der Mannschaft, ohne welche selbst die besten Einrichtungen wirkungslos bleiben, und es ist daher ein durchaus übelangebrachter Beweis von Liberalität und ein beklagenswerther Indifferentismus, wenn die Auftraggeber selber die Annahme von Marken ausschlagen; sie bringen dadurch den Dienstmann unwillkürlich in Versuchung und verleiten ihn zu Betrügereien, welche, ob früher oder später, dennoch seine Bestrafung zur Folge haben.

Die beigefügte Illustration zeigt uns eine Revue und Hauptinspection, wie sie alljährlich einmal über die Mannschaften und Utensilien des 1. Dresdner Dienstmann-Institutes abgehalten wird. Die Dienstmänner in ihrer praktischen Kleidung, ihrem blank geputzten Lederzeug, wie nicht minder die elegant und gefällig gebauten Geräthschaften gewähren bei solchen Gelegenheiten einen stattlichen Anblick. Wir sehen nicht nur an der Mannschaft die Bekleidung für die verschiedenartigsten, schwersten wie leichtesten Dienstleistungen eingerichtet, vom lederschürzigen Packträger bis zum leichten Corps der Wichsiers, zu deutsch Stiefelwichser, sondern auch in den Transportgeräthen gipfelt es sich vom Korb und von der Tragbahre bis zum zwei- und vierräderigen Karren und bis zum Koloß von Möbelwagen aus. Dabei zeigt sich auch die Form der Karren und Wagen den verschiedenartigsten Verrichtungen entsprechend. Diese Sorgsamkeit nach jeder Bedarfsrichtung deutet auf eine Achtung vor dem Publicum hin, die dieses dem Institut und seinen Gründern und Leitern recht wohl in gleichem Maße erwidern darf.

Wir können nicht schließen, ohne auf die großen Vortheile hinzuweisen, die durch eine Verbindung der Dienstmann-Institute unter einander für den öffentlichen Verkehr erwachsen müßte. Wir möchten diesen Punkt als eine wichtige Frage für alle betreffenden Unternehmer aufgenommen wissen; vielleicht dient unser Artikel dazu, die Dienstmann-Institute zu einem weiteren Vorgehen im Interesse des Gemeinwohls anzuregen, und ihnen neue Bahnen für ihre nicht genug zu schätzende Wirksamkeit zu eröffnen.




Blätter und Blüthen.

Der Illustrationen-Schwindel der Londoner Pennyblätter. – Eine neue Art der Annonce. – Je öfter ich eine Nummer der Gartenlaube unter die Hände bekomme und mich an den guten Holzschnitten, dem gediegenen Inhalt und der typographischen Ausstattung derselben erfreue, je öfter muß ich mitleidig lächeln über eine gewisse Branche der englischen periodischen Literatur, die, gleich der Gartenlaube, auch für’s Volk bestimmt, ebenfalls reich an Illustrationen und billig obenein ist. Doch welch’ ein Unterschied! – Es wird mich Niemand der Schmeichelei von der einen, noch der Uebertreibung von der andern Seite beschuldigen können, der ein Exemplar des deutschen Blattes und ein solches der „Weekly Illustrated News“ neben einander vor sich hinlegen und vergleichen will. Der Preis beider Zeitschriften differirt kaum: die Gartenlaube kostet jährlich 2 Thaler und das eben citirte englische Blatt liefert 52 Nummern à 16 klein Folioseiten für 52 Pence (1 Thlr. 18 Sgr. 2 Pf.). Doch welch ein Unterschied! rufe ich wiederholt. Betrachten wir zunächst das englische Blatt.

Für den Engländer der Classe, für die es zumeist bestimmt ist, mag es ganz gut sein; indessen scheint es mir doch, daß eine Redaction Niemand – selbst dem einfachen Arbeiter nicht, und diesem erst recht nicht – zumuthen sollte, eine offenbare, handgreifliche Lüge für eine Wahrheit zu halten. Und diese kolossalen Lügen in Wort und Bild kann man dem genannten Blatte, der Illustrated Weekly News, zu Hunderten im Laufe eines Jahres nachweisen. Ich führe einige der frappantesten Beispiele zur Erbauung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_718.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)