Seite:Die Gartenlaube (1863) 709.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Es war vergebens. Alles verschlossen. Nirgends ein Licht. Das ganze Haus wie ausgestorben, die Bewohner müssen geflüchtet sein.“

Die Stimme war meiner Tante unbekannt. Eine sanfte, klagende Frauenstimme antwortete ihm.

„Und wo werden wir bleiben mit dem kranken Kinde? Wir sahen seit einer Stunde kein Haus. Die Nacht wird dunkler.“

„Und das Schießen kommt näher!“ sagte der Mann, mit jenem Trotze und Ingrimm, den die Hoffnungslosigkeit giebt.

„Mache noch einen Versuch!“ bat ihn die Frau.

Der Mann ging auf das Einfahrtsthor zu und wollte noch einen Versuch machen.

„Oeffne das Thor, Christian!“ befahl die Tante dem Knechte.

Der Knecht öffnete das Thor. Der Herr draußen hatte es gerade erreicht. Als er noch einmal anpochen wollte, that es sich schon vor ihm auf, und er stand vor der edlen Gestalt, vor dem schönen, klaren, ruhigen Gesichte meiner Tante. Er war überrascht; aber seine Sorge war verschwunden, da er nur einen halben Blick in das Antlitz meine Tante geworfen hatte.

„Meine Gnädige,“ sagte er, „darf ich Sie um Aufnahme für eine flüchtige, hülflose Familie bitten? Für ein krankes Kind, für eine leidende Frau?“

„Sie sollen,“ erwiderte ihm die Taute, „hier jede Hülfe finden, die Ihnen in diesem Augenblicke unser Haus zu gewähren vermag. In der Nähe wird gekämpft. Ich will nicht hoffen, daß der Kampf sich hierher ziehe. Aber Sie werden in ihm einen hinreichenden Grund finden, daß das Haus verschlossen war und daß Sie nicht sogleich Einlaß erhielten. Entschuldigen Sie es.“

„O meine Gnädige,“ sagte der Fremde, „wie kann ich ein anderes Gefühl als Dank haben? Gestatten Sie, daß ich den Wagen in den Hof fahren lasse.“

„Ich bitte darum.“

Er ging zu dem Wagen zurück, der nun durch das Thor auf den Hof fuhr. Der Knecht Christian verschloß sorgfältig das große Thor wieder, und die Tante wandte sich an die alte Magd, die dageblieben war.

„Wir bringen sie in die Zimmer des Freiherrn; wir haben keine andern für sie. Hole die Schlüssel und ordne schnell darin.“

Die Magd ging. Der Wagen hielt vor dem Hause.

(Fortsetzung folgt.)



Pariser Bilder und Geschichten.
Von Sigmund Kolisch.
Ernst Renan.

Es wäre mir ein Leichtes gewesen, mich durch einen gemeinschaftlichen Bekannten bei Herrn Renan, dem Verfasser des vielbesprochenen „Leben Jesu“, einführen zu lassen, ich zog es jedoch vor, mich selber dem Gelehrten vorzustellen, und in dem Empfange, welcher mir zu Theil wurde, gab sich der schlichte Hausgebrauch und dann der Mann von feiner Sitte und liebenswürdiger Einfachheit zu erkennen. Eine Magd, die ein blondes Kind an der Hand führte, hieß mich, ohne auch nur zu fragen, wer ich sei, in einen Salon treten, der kaum fünf bis sechs Personen zu fassen vermochte, und der sich durch die Glanzlosigkeit der Einrichtung hervorthat. Auf einem Stuhl lag ein Blatt; ich las ein wenig erstaunt: „Deutsche Blätter, Beigabe zur Gartenlaube etc.“, nachher erfuhr ich, daß Auerbach das Exemplar dem Verfasser des „Leben Jesu“ zugeschickt.

„Wen soll ich anmelden?“ frug die Magd.

„Herr Renan kennt mich nicht, sagen Sie gefälligst, daß ihn ein Fremder zu sprechen wünsche,“ versetzte ich.

Das Mädchen ging in die angrenzende Stube, und keine Minute war verflossen, als Herr Renan eintrat. Nach einer kurzen Auseinandersetzung meinerseits, den Zweck des Besuches anlangend, wurde durch die leichte gefällige Weise des Gelehrten ein behaglicher Verkehr, eine angenehme Berührung zwischen ihm und mir hergestellt. Er behandelte mich mit einer Freundlichkeit, die so wohl that, weil sie gleich entfernt von Steifheit, wie von Uebertreibung bleibt, weil sie so absichtslos, so zwangslos auftritt.

Der Mann, welcher seit einiger Zeit die civilisirte Welt beschäftigt, ist von stämmiger, gedrungener Gestalt, sein kräftiger Körper verspricht lange den Mühen und Anstrengungen des Geistes Stand zu halten. Die Züge des Gesichts sind scharf ausgeprägt, aber durch den Ausdruck von Gutmüthigkeit und durch ein sanftes gewinnendes Lächeln gemildert, das ab und zu um die hübschen Lippen spielt. Die Haare von blonder Schattirung haben bereits eine gewaltige Lichtung erlitten; es scheint, daß die Gedanken an dem Umfang der Stirn, ob er gleich beträchtlich ist, nicht genug haben und sich nach oben hin auszubreiten suchen. Auf den ersten Anblick macht Herr Renan den Eindruck eines behäbigen Bürgers, der sich redlich nährt. Spricht er aber, dann beleben sich die Züge, das dunkle Auge erglänzt und der vornehme Geist giebt sich zu erkennen, den Natur und Gewohnheit dem Niedrigen und Gemeinen fern hält, der, den höchsten Interessen des Lebens zugewendet, die alltäglichen Jämmerlichkeiten verachtet oder im besten Falle bemitleidet. Dann gewahrt man, daß man es nicht nur mit einem Gelehrten, sondern mit einem würdigen unabhängigen Denker zu thun habe.

Die Unterhaltung drehte sich um den Lebensweg des Orientalisten, um die Verhältnisse und Schwierigkeiten, durch die er geführt, um die Personen und Dinge, welche Einfluß auf die bereits reich ausgefüllte und noch vielverheißende Existenz geübt haben. Natürlich, daß ich es war, der diese Wendung des Gespräches herbeiführte. Herr Renan sprach sich mit einem Freimuth über die Angelegenheiten aus, denen er mit seiner Wirksamkeit und seinen Ueberzeugungen gegenübergestellt wurde, aus welchem sich die ganze Unabhängigkeit seines Charakters, so wie die Echtheit seiner liberalen Ansichten ergab. Schade, daß mir eine leicht begreifliche Discretion verbietet, seine auf diesen Gegenstand bezüglichen Aeußerungen hier aufzuzeichnen.

Das eben erwähnte Blatt brachte einen Augenblick das Gespräch auf die deutsche Sprache und auch auf Berthold Auerbach. Der Gelehrte versicherte, daß er mit dem lebhaftesten Interesse den Roman „Spinoza“ gelesen habe, auf den er einen außerordentlichen Werth lege, daß er des Deutschen hinreichend mächtig sei, um Bücher in germanischer Sprache mit Leichtigkeit zu lesen, nur wisse er sich auf Deutsch nicht auszudrücken, weil er allein für sich unsere Sprache gelernt habe, ohne Ohr und Zunge zu üben. Die Energie des wissenschaftlichen Strebens, welche aus diesem Zuge spricht, kennzeichnet die Laufbahn des Orientalisten.

Herr Ernst Renan ist am 23. Februar 1823 zu Treguier in der Bretagne geboren, und es hat etwas Pikantes, daß der Verfasser des Lebens Jesu ein Kind dieser altgläubigen fanatischen Provinz ist. Von seinen frommen Eltern für den priesterlichen Stand bestimmt, bezog er mit sechzehn Jahren das kleine Seminarium, welches der Abbé Dupanloup leitete, der, nunmehr Bischof von Orleans, einer der eifrigsten, jedenfalls der begabtesten von den Gegnern des Herrn Renan ist. Nachdem er später zwei Jahre lang in der Schule von Isoy Philosophie studirt hatte, trat er in die Anstalt von St. Sulpice zu Paris. Daselbst lag er den theologischen Wissenschaften ob und trieb mit besonderer Vorliebe und mit Fleiß Hebräisch. Allein je mehr sich sein Geist entwickelte und in die Tiefen der Geschichte eindrang, je mehr sein Forschen an Gründlichkeit, sein Urtheil an Kraft gewonnen, desto weiter entfernte sich sein Verstand von der blinden unbedingten Annahme überlieferter Wahrheiten unfehlbarer Dogmen, desto klarer wurde ihm die Unvereinbarkeit seines Gewissens mit der erwählten Laufbahn. Und als ein Mann, der entschlossen ist, seiner Würde nichts zu vergeben, entsagte er dem geistlichen Beruf (1845), aller Gegenvorstellungen seiner Meister ungeachtet, die in dem jungen Theologen eine kräftige Säule des Glaubens und der Kirche vorhersehen mochten. Im Vollgenuß der Unabhängigkeit und der freien Verfügung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_709.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)