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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Ja, und in ihr habe ich mir die Verzeihung meines Vaterlandes erkämpft. Darf ich Ihnen erzählen, wie?“

„Ich werde zuhören.“

„Ich war in französische Dienste getreten – Sie wissen, wie, Therese.“

Sie antwortete ihm nicht; sie nickte nur leise mit dem Kopfe.

„Ich hatte mich dem Feinde meines Vaterlandes verkauft. Ich will, ich kann mich nicht damit entschuldigen, daß es im Wahnsinn geschehen war. Ja, Therese, im Wahnsinn!“

Er sah sie an. Sie hatte die Augen niedergeschlagen. Er fuhr fort:

„Das französische Regiment, bei dem ich stand, wurde erst vor wenigen Wochen nach Deutschland geschickt. Es war eines der letzten, denn es hatte in einer der entferntesten Garnisonen gestanden. Es war mir bisher nicht vergönnt meinem Vaterlande dienen zu können, jetzt sollte ich gegen meine Brüder kämpfen! Es war mir nicht möglich. So viele Schuld, so viele Schmach konnte ich nicht auf mein Haupt laden. In dem ersten Kampfe trat ich offen, mitten im Kugelregen, zu den Preußen über, und ich kämpfte von da an in ihren Reihen, auch bei Leipzig. Ich zog dann an der Spitze der Verfolger, die den fliehenden Franzosen auf den Fersen waren. Wir hatten noch Gefechte mit ihnen zu bestehen; in einem derselben, gestern, schon auf westphälischem Boden, wurde ich verwundet; ich erhielt einen Schuß in den linken Arm, einen Säbelhieb über den Kopf. Ich war vom Pferde gesunken und wurde für todt unter den Pferdehufen fort vom Kampfplatze getragen. Mit meinem Vaterlande war ich jetzt ausgesöhnt; seine Verzeihung hatte ich erhalten. Mir mußte noch eine andere werden, und sie konnte ich mir nicht erkämpfen; ich mußte sie mir erbitten, erflehen. Der Wundarzt hatte mich verbunden. Er erklärte meine Wunden nicht für lebensgefährlich; ich bedürfe nur der Ruhe und Pflege. In der Nähe des Kampfplatzes waren nur elende Dörfer, in der weiteren Nachbarschaft lagen nur kleine Städte, die noch jeden Augenblick der Unruhe und für mich der Gefahr des Durchzuges der Franzosen ausgesetzt waren. So wurde beschlossen, mich zu meinem väterlichen Schlosse zu bringen. Es geschah auf die bequemste Weise, die in dem Bauerndorfe unter den Unruhen des Krieges zu beschaffen war. Aber unterwegs kam das Wundfieber über mich, mit ihm das Gefühl des Sterbens. Und ich konnte nicht sterben ohne jene andere Verzeihung. Ich ließ mich hierher fahren.“

Er schloß seine Erzählung. Sie hatte die Augen wieder gesenkt.

„Sie haben mir nichts zu sagen, Therese?“ fragte er.

Sie sah stumm vor sich nieder.

„Sie haben mir verziehen, Therese – aus dem Grunde Ihres Herzens, sagten Sie.“

„Gewiß,“ sagte sie leise.

„Also nicht mit Haß im Herzen?“

„Nein –“

„Und Sie hätten so vielen Grund, mich zu hassen! Wie manche, wie schwere Leiden habe ich auf Sie gehäuft!“

Sie unterbrach ihn. „Freiherr Adalbert, Sie bedürfen der Ruhe.“

Freiherr Adalbert! Sie hatte ihn nur an dem ersten Tage so genannt, da sie als Kinder sich kennen gelernt hatten, seitdem nie wieder. Es gab ihm einen Stich in das Herz.

„Der Ruhe?“ rief er. „Wozu? Um wieder zu genesen? O Therese, jetzt, da ich Ihre Verzeihung habe, kann ich doch nicht sterben, darf ich nicht sterben. Therese, meine Hand ist wieder frei. Mein Herz hat Ihnen immer gehört, immer, immer, trotz seiner Verirrung. Glauben Sie es mir, Therese! Sie müssen es mir glauben. Und nun, Therese, entscheiden Sie über mein Leben, über meinen Tod! Sie sagten in der gestrigen Nacht, ich dürfe, ich solle nicht stechen. Soll ich es nicht – Therese, leben kann ich nur, wenn ich Ihr Herz, wenn ich Ihre Liebe wieder habe, wenn Sie wieder mir gehören, mein Weib werden wollen. Therese, Therese, sage das eine Wort, daß auch Du mich noch liebst!“

Er hatte ihre Hand ergriffen und sah ihr so liebend, so treu und so reuig und so ehrlich in das Gesicht. Und sie – sie hatte ihn ja immer geliebt, trotz seiner Verirrungen, trotz ihrer Leiden. Sie hatte ihm ihre Hand gelassen. Er zog sie an der Hand an seine Brust.

„Sei wieder mein, Therese!“

„Ich bin es.“

„Jetzt für immer!“

„Für immer!“

Sie hatte nicht anders gekonnt, mit ihrem Herzen voll treuer, gegenüber dem seinigen voll reuiger Liebe. Sie waren glücklich; sie waren es wieder, wie sie es nur je gewesen waren. Und mit diesem Glücke hatte sie der kranken Großmutter vorlesen müssen, aus irgend einem vortrefflichen, langweiligen Buche, über dem die alte Frau beinahe eingeschlafen war.

Und in dieses Glück war dann auf einmal jene Gefahr und jener Schrecken des Krieges hineingetreten. In der Nähe des Schlosses wurde gekämpft zwischen den Franzosen und Verbündeten, und aller Wahrscheinlichkeit nach mußten die Franzosen Sieger bleiben. Fast eben so wahrscheinlich war es, daß die Flucht der Besiegten sich in die Richtung des Schlosses Hawichhorst werfen werde. Auch die siegenden Franzosen kamen dann hierher. Kamen sie, so drangen sie auch in das Schloß. Waren sie im Schloß und fanden sie den preußischen Officier, der aus den Reihen der Franzosen zu den Preußen übergetreten war – das Loos des Deserteurs war eine Kugel. Und der Verwundete konnte nicht fort, und wie leicht konnten sie ihn in dem nicht großen Gebäude finden, in das sie als rohe, übermüthige Herren nach einem blutigen Siege eindrangen, das sie wie eine Beute, wie ihr Eigenthum betrachteten!

Die Tante Therese mußte es sich sagen, als sie über den Erschöpften sich hingebeugt hatte, mit der Thräne im Auge, mit der schweren Angst im Herzen, aber auch mit dem klaren Muthe, den sie gefaßt hatte, der sie nicht wieder verließ. Der Verwundete erholte sich wieder. Er schlug die Augen wieder auf und sah in das muthige Auge der Tante. Nur den Muth zeigte sie ihm. Und der ruhige, feste Muth kam auch über ihn, der Muth, der klar dem Tode in das Auge zu schauen vermag.

„Du kannst nicht fort,“ sagte die Tante, „Du siehst es.“

„Ja, ich sehe es. Therese. Und so erwarten wir ruhig, was über uns kommen wird.“

„So sei es, mein Adalbert. Hoffen wir Alles und vertrauen wir auf Gott! Er kann die Gefahr von uns abwenden, er kann sie über uns schicken; er kann sie, wenn er sie auch zu uns führt, an uns vorübergehen lassen. Wir wollen das Unsrige dazuthun. Du bleibst ruhig hier; ich habe keinen verborgenern Platz im Hause, und außer der alten Christine und mir weiß Niemand, daß Du hier bist; selbst meine Mutter nicht. Ich wollte ihr in dieser Zeit der Angst und der Sorge das Herz nicht noch schwerer machen. Ich gehe, Anstalten für unser Aller Sicherheit zu treffen. So wird Alles gut werden. Sollte aber“ – das Herz wurde der armen Tante doch schwer – „sollte aber das Unglück dennoch über uns hereinbrechen, dann, Adalbert, dann sterben wir zusammen!“

Sie küßte ihn, und er umfing sie.

„Nein, Therese,“ rief er, „wir werden Beide leben. Wir müssen es!“

Das Eine, wie das Andere sagt und glaubt das liebende Herz so oft. Die Tante verließ den Kranken. In ihrem Herzen war edler, fester Muth.




4. Ein gutes Werk.

Die Tante Therese war aus dem heimlichen, verborgenen Stübchen des Kranken herausgetreten, leise und vorsichtig, wie sie hineingegangen war. Sie schloß eben so vorsichtig die Thür zu, steckte den Schlüssel zu sich und wollte durch den engen Gang, über die schmale, dunkle Wendeltreppe in den unteren Theil des Hauses zurückkehren, wo sie noch, unter schweren Sorgen, so Manches zu besorgen hatte.

Sie blieb einen Augenblick an der Thür stehen und horchte in den Gang hinein; sie schien etwas zu fürchten. Sie hörte ein Geräusch, nur ein sehr leises; sie glaubte nur, es zu hören, in der Mitte des Ganges, dort, wo der Seitengang hineinmündete; in diesem Seitengange schien es zu sein. „Der Freiherr?“ sagte sie erschrocken. Aber sie hörte nichts weiter; sie mußte fort; sie konnte sich auch verhört haben. Sie ging schnell und muthig in den Gang hinein.

Mitten im Gange wurde sie aufgehalten. Aus dem Seitengange sprang hastig Jemand auf sie zu. Es war ein ältlicher Mann, klein, dürr, häßlich verwachsen; seine Haare waren grau und

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