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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

nährt und mit dem besten Erfolge betrieben wird. Wer kennt hier nicht den kleinen Herrn mit den orientalischen Zügen, der jeden Abend das Theater besucht und von dessen Fäusten oft das Geschick eines Dichters oder Künstlers abhängt? Wie der kleine David mit seiner Schleuder den Riesen Goliath, so hat der kleine Beherrscher der Berliner Claque schon manchen großen Schauspieler todt geschlagen, obgleich er nichts weniger als ein blutdürstiger Wütherich ist und mit den Schwachen Mitleid hat.

Geht man an einem Tage, wo ein beliebtes Stück gegeben wird oder ein renommirter Künstler auftritt, an der Theatercasse vorüber, so lernt man gleich einen ganzen Schwarm solcher problematischer Existenzen kennen. Jüngere und ältere Männer von zweifelhaftem Aeußeren stehen und warten auf dem Flur mit wahrhaft rührender Geduld, die nicht allein aus ihrer Kunstliebe zu entspringen scheint, oft bei der härtesten Kälte, bis das Fenster geöffnet wird und das bekannte Gesicht des Cassirers sichtbar wird. Schnell drängen sie sich heran und fordern für mehrere Thaler, die sie aus ihrem abgegriffenen schmutzigen Portemonnaie hervorziehen, Theaterbillete, mit denen sie schleunigst davoneilen. Abends kann man dieselben Kunstliebhaber in der Nähe des Theaters sehen, wo sie eine förmliche Börse eröffnen und die zu den gewöhnlichen Preisen gekauften Billete oft um das Doppelte und Dreifache zum Verkauf anbieten. Wie einträglich das Geschäft sein muß, geht daraus hervor, daß diese Leute den von der Polizei verbotenen Handel immer wieder fortsetzen, trotzdem die Strafe im Wiederholungsfalle 50 Thaler oder entsprechendes Gefängniß beträgt. Aber nicht immer glückt die Speculation, auch diese Börse ist, wie jede andere, großen Schwankungen unterworfen, und zuweilen sieht sich der arme Billethändler genöthigt, seine Waare unter pari loszuschlagen und mit bedeutendem Verluste abzugeben. Dennoch soll auch dieses Geschäft so mancher dunklen Existenz nicht nur das Leben reichlich fristen, sondern noch ganz ansehnliche Ueberschüsse abwerfen.




Eine Ehrenthat. Was Hermann Schulze-Delitzsch, der Gründer der deutschen Genossenschaften, dem deutschen Volke geworden ist, welchen unberechenbaren Segen er durch die von ihm in’s Leben gerufenen Vorschußvereine gestiftet hat, welche Stellung er als einer der hervorragendsten Führer der deutschen Demokratie einnimmt, darüber den Lesern unserer „Gartenlaube“ noch ein Wort sagen zu wollen, hieße Eulen nach Athen tragen. Die Nation weiß, wen sie unter seinem „europäischen Namen“ verehrt, und hat bekanntlich erst neulich dieser ihrer Verehrung einen beredten Ausdruck gegeben. Freunde und Gesinnungsgenossen, Männer aus allen Schichten des deutschen Volkes, namentlich auch Genossenschaften und Vereine, hatten das bedeutende Capital von nahe an 50,000 Thaler zusammengebracht und es dem allgeschätzten Volksmanne, der, ohne an persönlichen Vortheil zu denken, Zeit und Thätigkeit den Interessen des Gemeinwohles widmet, nebst andern sinnigen und werthvollen Gaben am 4. October d. J. durch eine Deputation als ein Zeichen ihres Dankes überreichen lassen.

Und wie hat der Gefeierte den ihn und sich gleich ehrenden Gebern geantwortet? Seine Antwort ist ein neuer Beweis seiner hochherzigen Gesinnung, der Selbstverleugnung gewesen, mit welcher er unablässig und bei Allem nur die gemeine Sache im Auge hat. „Es ist,“ sagt er in seiner Tags darauf durch die Presse veröffentlichen dankenden Erklärung, „meines Wissens das erste Mal, wenigstens innerhalb der liberalen Partei, daß man, um die Thätigkeit eines Mannes für die gemeine Sache zu erhalten, ihm die Mittel zu seinem Lebensunterhalte bietet. Desto ernster und größer ist aber eben deshalb die Verplichtung, welche damit an ihn herantritt.“ Und so hat er das Dargebotene nur bedingungsweise angenommen. Nachdem er, lediglich dem wiederholten Drängen der Genossenschaften nachgebend, einen verhältnißmäßig unbeträchtlichen Theil der gesammelten Summe zum Erwerbe einer bescheidenen Häuslichkeit für sich und die Seinen verwendet, entzieht er das gesammte Capital selbst seiner Einzelverfügung, um es als Stiftung von einem Comité verwalten zu lassen, in dem er sich nur eine einzige Stimme vorbehält, und nimmt, so lange er lebt, blos die Zinsen zu freier Bestimmung für sich in Anspruch. Doch auch diese wesentlich nur im Interesse der Lebensaufgabe, die er sich gestellt hat, nur, um davon den ihm erwachsenden Büreauaufwand zu decken, seine Reisekosten zu bestreiten und nach Befinden selbst einen Ueberschuß zum Honorar gewähren zu können. Nach seinem Rücktritte aber sollen die Zinsen des Capitals zur Besoldung solcher Männer verwandt werden, „deren Wirken und Thatkraft man in der öffentlichen Sache zum Besten des deutschen Vaterlandes in nationaler, politischer und sozialer Hinsicht in Ansprnch nimmt.“

So hat ein deutscher Demokrat gehandelt, ein Mann, welchen die Reaction, die ihren Jüngern mit nicht verschmähten Rittergütern lohnt, aus seiner ursprünglichen Wirksamkeit und Erwerbsquelle gedrängt hat; der, ohne persönliches Vermögen, hinsichtlich seiner Existenz nur auf seine eigene Thätigkeit angewiesen ist, – und darauf als echter Arbeiter zunächst angewiesen bleiben will. Zwar könnte man einwerfen – und hat dies bereits gethan – wie er mit seiner Ablehnung einen Präcedenzfall geschaffen und jede spätere ähnliche öffentliche Dankesgabe schwierig, ja unmöglich gemacht hat – allein nichtsdestoweniger gebührt einer solchen großsinnigen Selbstlosigkeit die volle Bewunderung. Sie hat dem reichen Bürgerkranze des Volksfreundes ein neues unverwelkliches Blatt eingewunden. Wie übrigens die öffentliche Meinung Schulze’s Benehmen zu würdigen weiß, das zeigt der Brief, welcher der Elberfelder Zeitung unlängst von einem geachteten Manne zugegangen ist. Diesem hat „das Beispiel hochherziger Selbstverleugnung, das Herr Schulze-Delitzsch in diesen Tagen gegeben hat,“ den Wunsch rege gemacht, „dem Namen des hochverehrten Mannes in Elberfeld ein bleibendes Andenken zu stiften“. Er schlägt zu diesem Behufe die Errichtung einer Schulze-Delitzsch-Stiftung vor, zu Gunsten eines schon bestehenden ober noch zu gründenden nützlichen oder wohlthätigen Instituts der Stadt Elberfeld, und stellt seinerseits tausend Thaler zu solchem Zwecke zur Verfügung. Möge der angeregte Gedanke nicht blos bei den Mitbürgern des wackern Mannes, sondern auch anderwärts Anklang finden und starke Betheiligung hervorrufen!

Bei dieser Gelegenheit wird es uns zur angenehmen Pflicht, die Leser der Gartenlaube auf ein sehr ähnliches und vortrefflich ausgeführtes Bildniß hinzuweisen, zu welchem Schulze-Delitzsch vor Kurzem gesessen hat. Wir meinen die von dem Bildhauer Carl Dorn in Berlin modellirte Büste, die in drei verschiedenen Größen, in ganzer Lebensgröße mit Gewand, in 2/3 und 1/3 Lebensgröße, für 8, 3 und 1 Thaler vom Künstler – Schönhauser Allee 177 in Berlin – zu beziehen ist. Herr Dorn, ein Schüler des bekannten Professor Bläser, hat mit diesem zusammen bis vor Kurzem an dem kolossalen Reiterstandbilde Friedrich Wilhelm’s IV. gearbeitet, welches die neue Rheinbrücke in Köln schmücken wird.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_704.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)