Seite:Die Gartenlaube (1863) 700.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Eben diesen letzten, bedeutsamen Act des Salzburger Drama’s suchte ein deutscher Künstler von bestem Ruf, der Historienmaler Professor Martersteig in Weimar, dem Auge und Herz der Mitwelt gleichsam plastisch vorzuführen, er suchte die bedeutsamsten Momente und Züge jener Auswanderung in ein Ganzes zusammenzudrängen, und so entstand zunächst in Carton jenes ergreifend schöne Bild, welches der beifolgende, so gelungene Holzschnitt wiedergiebt.[1] Von Salzburg her, dessen ragende Festung Hohensalzburg den Hintergrund bildet, bewegt sich unter Militär-Escorte ein Zug vertriebener Protestanten nach der Grenze, um in unbekannter weiter Ferne eine neue Heimath und mit ihr eine Stätte zu finden, wo sie ihrer religiösen Ueberzeugung in Gewissensfreiheit leben können. Sie haben viel Schmach und Qual erdulden müssen, sie haben auch viel, ja fast Alles verloren und verlassen, ihr gewohntes Daheim, ihren häuslichen Heerd, ihre Besitzthümer, aber standhaft, in unerschütterlichem Gottvertrauen ziehen sie der ungewissen Zukunft entgegen. Die kernigen, tröstenden Worte halten sie aufrecht, die ihnen aus der Bibel verlesen werden, aus einer Bibel, die schon bei den frühern nächtlichen Zusammenkünften im Walde als Erbauungsbuch gedient hat und den nachherigen Bibel-Verbrennungen der Pfaffen glücklich entgangen ist. Weil man unter andern auch bei Ruprecht Winter, einem dreiundsiebzigjährigen, kranken Bauer, eines jener verhaßten Bücher im Hause unter der Bank gefunden, wurde er aus dem Bette gerissen, nebst seinem Weibe auf einen Wagen geworfen, an den Füßen geschlossen, ohne Verhör in eines jener schmählichen Gefängnisse gethan und erst, als der kranke Greis den Tod befürchten ließ, gegen hundert Gulden Buße freigelassen. Wir sehen ihn auf dem Bilde links, von inniger Liebe gestützt und von dem treuen Hunde in das Exil begleitet. Einen andern Greis Namens Vierleitner hatten die Unmenschen nicht nur so hart an seinen Füßen geschlossen, daß der eine Fuß unbrauchbar wurde, sondern überdies seinen Sohn an ihn, den Vater, geschlossen und sie beide in ein finsteres, feuchtes, ungesundes Loch, drei Mann tief unter der Erde, geworfen, so daß sie nicht neben, sondern über einander liegen mußten. Auch sie beide erscheinen in unserem Bilde wieder, in dessen Mitte. Ohne Ahnung, ob er wohl die neue Heimath wird erreichen können, schleppt sich der Alte, am Arme des Sohnes und auf die Tochter gestützt, dahin. So ist es, neben der Standhaftigkeit, die Liebe, die uns aus dem Bilde überall entgegenleuchtet. Sie ist es, welche die arme, kranke Frau auf dem Schubkarren dahinführt; sie ist es, welche das Kind in einem umgebundenen Tuche trägt und an sich drückt; sie ist es endlich, welche in Gestalt des kleinen Buben die Mutter, die unglückliche junge Wittwe tröstet, die am Reste ihrer Habe in Schmerz zusammengesunken. Der escortirende Soldat hinter ihr wird sie nicht lange ihrer Trauer überlassen, – und ist sie denn nicht auch noch tausendmal glücklicher, als jene andere Mutter, welcher der Jesuit ihr Kind raubt? Schon im Jahre 1684, als die Tefferegger Protestanten das Land Salzburg zu verlassen gezwungen wurden, mußten dieselben diejenigen ihrer Kinder, die unter vierzehn Jahren waren, zurücklassen. Man steckte sie, wohl 1500 an Zahl, in die Klöster, ohne daß die Vorstellungen der protestantischen Fürsten hiergegen etwas fruchteten. Damals war es die Hochherzigkeit einer deutschen Frau, der Freifrau Henriette Katharine von Gersdorff zu Groß-Hennersdorf, welche wenigstens einige dieser Kinder rettete, indem sie, eine gelehrte Dame, dem Kaiser eine lateinische Ode übersandt hatte und als die ihr nachgelassene kaiserliche Gnade Freilassung der Kinder erbat. Gleiche Grausamkeit, wie 1684, übte man auch bei der Auswanderung im Jahre 1731: man suchte den Eltern die unmündigen Kinder zu rauben und übergab sie den Jesuiten. So hat auch auf unserem Bilde der Pfaffe das Kind bereits gefaßt, und vergebens hält ihn die verzweifelnde Mutter, vergebens schaut der Knabe ängstlich zurück; doch getrost! vielleicht ist es der zehnjährige Balthasar Brandstätter aus Goldegg, welcher, seinen Eltern geraubt und in eine drei Stock hoch gelegene Kammer gesperrt, auf die Straße herabsprang, wohlbehalten unten ankam und allein und auf Umwegen seinen Eltern bis Augsburg nacheilte. Und nun noch eine Figur des Bildes: jenes schlanke, schmucke Mädchen hinter der knieenden Frau und ihrem Knaben. Auch sie hat von dem Land-, Markt- und Berg-Richter den Abzug-Schein erhalten,

„daß sie (so viel wissend) in ihren verrichteten Bauren-Diensten aufrecht und redlich ansonsten sich verhalten, doch aber wegen der verlassenen Römisch-Catholischen Religion, welche in diesem hohen Ertz-Stifft und Lande alleinig geübet und zugelassen, aus eben solchen zu emirgiren und sich zu begeben gehalten worden,“

und weinend blickt sie noch einmal nach dem Dörfchen zurück, das ihr so heimisch lieb, und das sie doch nimmer wiedersehen soll. Sie ahnt nicht, daß auf dieser Wanderung, fern in Altmühl im Oettingischen, ein braver, biederer Bursch in rasch entflammter, inniger Liebe, doch unter dem Vorwand, sie für seinen Vater als Magd zu dingen, sie in das Haus des vermögenden Vaters einführen und ihr ein neues Glück schaffen werde. Sie ahnt nicht, daß sie sechzig Jahre später in dem schönsten aller der Gedichte des größten deutschen Dichters als ein Musterbild deutscher sittiger Weiblichkeit, als Hermann’s Dorothee, wieder aufleben und verewigt werden würde!

Und was nun die übrigen, umgebenden Gruppen des Bildes anlangt, so bitten wir unsere Leser die classischen Verse des eben erwähnten Goethe’schen Gedichts nachzulesen.

Noch war der Künstler, Professor Martersteig, mitten im Schaffen desselben, als der Hülferuf der jetzigen Evangelischen Salzburgs nach den materiellen Mitteln zu einem selbstständigen kirchlichen Leben durch die Zeitungen scholl. Da tauchte in der Künstlerseele der Gedanke auf, ob nicht durch eine patriotische That der deutschen Künstler, durch Beisteuer und Verloosung von Gemälden, jene materiellen Mittel beschafft und damit den Salzburgern geholfen werden könne. Er trug sich mit diesem Gedanken, ließ ihn allmählich reifen und festere Gestaltung gewinnen und theilte ihn sowohl bei Gelegenheit der großen Künstler-Versammlung zu Salzburg im Jahre 1862, als auch nachher in Weimar Geistesverwandten mit. Zu Verwirklichung dieser schönen Idee, aus Beiträgen deutscher Kunstgenossen eine Sammlung von Kunstwerken zu schaffen, durch deren lotteriemäßige Verloosung die Mittel zum Bau einer protestantischen Kirche in Salzburg gewonnen werden könnten, constituirte sich am 23. October 1862 ein Centralcomité in Weimar und erließ zuvörderst an alle Künstler Deutschlands einen Aufruf, in welchem um Unterstützung des Unternehmens durch Zusage und Einlieferung von Kunstwerken gebeten wurde. Die Bitte fand überall, in den Künstlerkreisen Norddeutschlands wie Süddeutschlands, freundliche Aufnahme und guten Anklang. Die Weimarischen Künstler ließen sich nicht die Ehre nehmen, den Reigen zu eröffnen, und zahlreiche Zusagen namhafter Kunstgenossen von fern und nah folgten. Bald, ja in wenigen Monaten verdoppelte sich die Zahl der Geber, während der Werth der Kunstbeiträge seit der Vertheilung des ersten Rechenschaftsberichts das Dreifache erreicht und überstiegen hat. Auch hier war es – nächst dem Vorsitzenden des Comité, Oberhofmeister von Beaulieu-Marconnay zu Weimar – der Professor Martersteig, der durch brieflichen Verkehr mit entfernt wohnenden Künstlern und auf Reisen zu denselben für die gute Sache unermüdlich wirkte. Im zweiten Rechenschaftsbericht konnte das Centralcomité constatiren, daß der Werth der bereits eingegangenen Kunstwerke über 6000 Thaler zu veranschlagen sei, und als zu der protestantischen Kirche in Stadt Salzburg im Laufe dieses Sommers der Grund gelegt wurde, konnte das Comité in den Grundstein ein Denk- und Erinnerungsblatt legen, das mit den Worten schloß:

„Der Grund ist gelegt zu der ersten protestantischen Kirche im schönen Salzburger Lande, gelegt durch die evangelische Standhaftigkeit der Salzburger Protestanten selbst, gelegt unter dem Schutz einer toleranten Regierung. Daß auf diesem Grunde sich bald ein würdiger Bau erhebe, dieses mitzuwirken haben auf den Ruf des Centralcomité schon jetzt viele und namhafte Künstler – ohne Ansehen der Confession – sich bereit und thätig gezeigt, und noch weit mehrere werden gewiß dem gegebenen Beispiele nachfolgen.
Und so dürfen wir in den Grundstein dieses zu erbauenden Gotteshauses – auf den besonderen Wunsch unserer protestantischen Brüder zu Salzburg – dies Gedenkblatt einsenken, als ein Zeugniß frohster Zuversicht für die gedeihliche Vollendung des Werkes und zugleich als eine Bürgschaft werkthätigster Theilnahme daran von Seiten der gesammten deutschen Künstlerschaft – eine Bürgschaft, welche einzulösen diese (so vertrauen wir!) nicht säumen wird.“

  1. Eine vortreffliche Photographie vom Martersteig’schen Carton hat der Maler und Professor Finke zu Altenburg geliefert, ebenso auch von dem sich daran reihenden Bilde Martersteig’s: Der Schwur der Salzburger Protestanten in Schwarzach vom 5. August 1731.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_700.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)