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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und vornehmsten jungen Damen dieses Hofes geheirathet. So erfuhr es auch der Bruder meiner Tante, mein Onkel Fritz, der damals so eben sein Examen als Advocat gemacht hatte. Er war der Vertraute der Tante; er eilte nach Hawichhorst und mußte der armen Schwester die entsetzliche Nachricht mittheilen. Sie nahm sie mit großer Fassung auf.

„Konnte er,“ sprach sie, „ein Feind seines Vaterlandes werden, so konnte er auch keine Liebe zu mir mehr in seinem Herzen bewahren.“

Weiter sprach sie kein Wort, weder über ihn noch über sich. Sie zeigte keinen Schmerz, wie gewaltig er in ihrem Inneren wühlen mochte. Sie war still, freundlich; sie konnte heiter sein und erhielt nach einiger Zeit sogar ihre frische, blühende Farbe wieder, die sie nur auf Wochen verloren hatte.

Meine Mutter, mein Onkel Fritz, meine Großmutter, die von Beiden, dann von ihr selbst Alles erfuhr, mußten sie bewundern in der Stärke, in der Größe ihrer Seele. Sie blieb so, auch als später weitere Nachrichten über den Freiherrn Adalbert eintrafen. Er war noch ein Jahr lang in der Adjutantur des Kaisers geblieben; auch ein Jahr lang hatte seine Ehe gedauert, nur ein Jahr lang. Eines Tages hatte er seine schöne und geistvolle Frau in den Armen eines schönen und geistvollen jungen Franzosen betroffen. Den jungen Franzosen hatte er erschossen und von seiner Frau sich scheiden lassen. Dann hatte er vom Kaiser seinen Abschied verlangt; derselbe war ihm nicht bewilligt, dagegen war er zu einem Regimente in einem der entlegensten Winkel Frankreichs verwiesen worden; dort lebte er wie ein Gefangener. Das erfuhr man noch von ihm. Dann hörte man über ihn nichts mehr. Sein alter Vater hatte vielleicht noch Nachrichten; er theilte sie Niemandem mit. Sie mochten ohnehin den Stolz des westphälischen Freiherrn kränken.



3. Ein preußischer Officier.

In der Nacht vor dem Tage, an welchem meine Großmutter und meine Tante von dem Gewehrfeuer am Walde erschreckt wurden, war von der Haide her ein mit zwei Pferden bespannter offener Bauerwagen langsam auf das Schloß Hawichhorst zugefahren und hatte an dessen Rückseite gehalten. Er war bis fast an den Rand der Leitern mit Heu angefüllt. Als er aber hielt, richtete langsam und mühsam ein Mann in einem Mantel sich in dem Heu auf. Er hatte den Kopf verbunden und trug den linken Arm in einer Binde.

Der Bauer, der den Wagen fuhr, war an ihn herangetreten. Ihm zeigte der verwundete Mann im Wagen eines der unteren Fenster an der Rückseite des Schlosses, an der sie hielten.

„Klopft leise an das Fenster,“ sagte er zu dem Bauer – seine Stimme war matt – „und wenn dann eine alte Frau öffnet, so sagt ihr, ein Sterbender lasse sie bitten, zu ihm herauszukommen.“

Der Bauer that, wie ihm befohlen war. Das Fenster öffnete sich.

„Wer ist da?“ fragte die alte Magd Christine hinaus.

„Ein Sterbender dort im Wagen läßt Euch bitten, zu ihm herauszukommen.“

Es war Mondschein. Die alte Christine sah einen Menschen und einen Wagen, die sie beide nicht kannte. Sie war zweifelhaft, was sie thun solle. Da rief aus dem Wagen eine matte Stimme leise ihren Namen. Sie erschrak, denn sie erkannte die Stimme, oder glaubte sie zu erkennen.

Die alte Magd war eine verständige Person. Auch sie hatte in jener bewegten Zeit so Manches erlebt und das Verhältniß der Tante Therese zu dem Freiherrn Adalbert war ihr, der alten, treuen, vertrauten Dienerin des Hauses, nicht unbekannt geblieben. Auch die späteren Schicksale des Freiherrn kannte sie, und zu dem Kriege, der jetzt noch von Napoleon in Deutschland geführt wurde, hatte der Kaiser auch den letzten Mann, der in Frankreich die Waffen tragen konnte, über den Rhein kommen lassen. Die Schlacht bei Leipzig war vor wenigen Tagen geschlagen. Eine Menge kleiner Gefechte, meist unglücklich für die zersprengten, fliehenden Franzosen, waren ihr gefolgt.

„Ich komme,“ sagte die Magd.

Sie verschloß leise ihr Fenster und trat leise aus einer Hinterthür des Hauses. Ein Geheimniß lag hier unter allen Umständen vor. Sie ging an den Wagen.

Der Verwundete im Wagen richtete sich auf.

„Nenne meinen Namen nicht, Christine.“

Es war der Freiherr Adalbert. Sie konnte ihm vor Zittern nicht antworten.

„Ist die Mamsell Therese zu Hause?“ fragte der Freiherr sie.

„Ja.“

„Bitte sie zu mir. Aber sie muß allein kommen, lasse ich sie bitten. Außer ihr und Dir darf Niemand wissen, daß ich hier bin.“

„Ich gehe zu ihr,“ sagte die Magd.

Sie kehrte in das Haus zurück. Nach zehn Minuten war sie mit meiner Tante Therese wieder da. Die Tante war leichenblaß. Die alte Magd nahm den Bauer auf die Seite. Was der Verwundete im Wagen und ihre Herrin sich zu sagen hatten, das durfte kein Dritter hören.

„Kommt, Mann. Ihr werdet durstig sein. Ich habe Euch zu trinken mitgebracht.“

Meine Tante und der Freiherr waren allein. Sie war an den Wagen herangetreten. Er erhob sich, er hatte sich zurücklegen müssen, als die Magd in das Haus ging, ihre Herrin zu rufen, denn er war zu schwach, um sich lange aufrecht zu erhalten. Der Mond beschien voll sein verwundetes, blasses, erschöpftes Gesicht. Er wollte zu der Tante sprechen; da er sie sah, vermochte er es nicht. Ein Sterbender wollte sie sprechen, hatte der Fuhrmann zu der alten Christine gesagt. Die Magd hatte es ihrer Herrin wiedergesagt. Die Tante sah das zum Sterben matte Gesicht vor sich. Der Anblick wollte ihr das Herz zuschnüren, aber Worte hatte auch sie nicht.

(Fortsetzung folgt.)


Der Liebling des deutschen Volkes.

Bis vor wenigen Wochen war es in unserm schönen Vaterlande noch eine unerhörte, nie dagewesene Erscheinung, daß einem deutschen Fürsten aus allen Gauen des weiten Landes der Dank des deutschen Volkes votirt wurde. Dieses eiserne Kreuz des Volksdankes hat sich bis jetzt nur ein Fürst errungen und dieser merkwürdiger Weise nicht durch eine große Kriegsthat, sondern einfach durch seine feste volks- und verfassungstreue Haltung seinen fürstlichen Opponenten gegenüber. Es ist in diesen Blättern bereits früher darauf hingewiesen worden, daß es der Eckstein Friedrich von Baden war, an dessen granitner Festigkeit ein schlimmer deutscher Sonderbund gescheitert ist, und wir glauben deshalb, die Leser der „Gartenlaube“ werden es uns Dank wissen, wenn wir ihnen in flüchtigen Zügen das Bild des Mannes zeichnen, der sich so rasch die volle Liebe eines guten ehrlichen Volkes erworben hat.

Mit Leopold, dem Vater des jetzigen Großherzogs, dem ältesten Sohne Karl Friedrich’s und der Gräfin von Hochberg (aus dem Geschlechte der Geyer von Geyersberg), trat Baden 1830–32 endgültig aus dem Kreise der Maitressen- und Günstlingswirthschaft heraus. Dafür entfaltete der Verfassungskampf seine vollsten Schwingen; der Bismarck Badens hieß Friedrich Landolin Karl von Blittersdorf. Ein und derselbe Fürst, Leopold, sollte nach dem Willen des Geschickes die höchste Spannkraft der dem Volksrechte feindselig gegenübergestellten Kronrechte erlahmen und die Orgie der Umsturzbewegung austoben sehen. Sein Leben brach unter der eisernen Aufgabe. Nach 22jähriger Regierung übertrug der müde Vater seinem zweitgebornen Sohne Friedrich Wilhelm Ludwig, geb. den 9. September 1826, die stellvertretende Sorge für die Regierung. Unter dem Ahnen Karl Friedrich hatte das patriarchalische System sich innerlich gewandelt; unter Friedrich sollte das constitutionelle System seine „neue Aera“ haben.

Die erste Jugend des Fürsten fällt in die Jahre, in welchen das Verfassungsrecht seine bittersten Erfahrungen machte. Aber doch ist der jetzt regierende Großherzog der Erste, dessen Jünglingszeit, obwohl in den gewohnten Bahnen der deutschen Prinzenerziehung vielfach dahingleitend, doch auch die unauslöschlichen Eindrücke empfing, mit denen ein kämpfend bewegend Verfassungsleben jede

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_692.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)