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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Meine Tante Therese.
Keine erfundene Geschichte.
(Fortsetzung.)

Der Officier sann nach diesen von der Tante Therese erhaltenen Mittheilungen einen Augenblick nach. Sein Gesicht zeigte Besorgniß.

„Ihr hörtet nur Gewehrfeuer,“ sagte er. „Es ist also nur eine schwache Abtheilung der Verbündeten im Kampfe, die rechts vom Walde kämpfen. Jenseits des Waldes läuft die große Heerstraße, die auch nach der Straße führt. Die Verbündeten werden in der Heerstraße auf dem Marsche zur Stadt gewesen sein und haben wahrscheinlich gar keine, oder nur noch eine schwache französische Besatzung darin vermuthet, aber sie hatten sich darin geirrt. Die Franzosen sind ihnen mit Uebermacht entgegengerückt, haben sie zurückgeworfen, aus der großen Straße hinter den Wald gedrängt; die Carabiniers sollen ihnen von der Haide her in den Rücken fallen. So soll die ganze Abtheilung aufgerieben, vernichtet werden.“

„Und es wird geschehen?“ sagte meine Tante.

„Wenn meine Voraussetzungen richtig sind, und wenn sie sich nicht in den Wald werfen können.“

„Werden sie dies können?“

„Infanterie wohl. Nur sie auch wäre dort gerettet, weil Cavallerie ihr nicht folgen könnte, und weil die Nacht ihnen zu Hülfe käme. Bis morgen früh muß das größere Corps, dem sie vorausgeeilt sind, eintreffen und sie befreien.“

Die Tante Therese hatte noch eine Frage, für sie die wichtigste.

„Kann der Kampf sich hierher ziehen?“

Der Officier zögerte mit der Antwort. „Wir wollen es nicht hoffen, Therese, aber es ist möglich.“

„Und Du glaubst daran!“

Der Officier widersprach nicht. Er schwieg; aber er wurde unruhig. Ein desto klarerer, ruhigerer Muth kam über meine Tante Therese.

„Wir müssen klar sehen, Adalbert,“ sagte sie. „Wir dürfen uns selbst und Eins dem Andern nichts verhehlen. Jeder französische Officier von der Besatzung der Stadt kennt Dich.“

„Ja,“ sagte der verwundete Officier.

„Kommen die Franzosen hierher, so bist Du verloren.“

Der Officier antwortete nicht. Er konnte wiederum nicht widersprechen.

„Fort von hier kannst Du nicht.“

Der Officier hatte seinen Entschluß gefaßt. „Ich kann, Therese,“ sagte er. „Ich kann, weil ich muß.“

„Nein,“ sagte entschieden die Tante. „Du kannst, Du darfst nicht. Es wäre Dein Tod.“

Aber er erwiderte ihr, nicht minder entschieden: „Und mein Bleiben, Therese, wäre nicht blos mein Tod; es wäre auch der Deinige, der Deiner Mutter; es wäre Euer Aller Verderben.“

Meine brave Tante ließ sich nicht irren. „Den Anderen“ sagte sie, „kann und wird man kein Leid zufügen, sie wissen von nichts. Und ich, Adalbert – wenn Du mir jetzt wieder entrissen wirst, zum zweiten Male, dann werde ich mit Dir sterben, dann ist der Tod eine Wohlthat für mich.“

„Therese!“ rief der Officier.

Er richtete sich auf und erhob den gesunden Arm, um die Geliebte zu umfassen. Das Gespräch, die Aufregung hatten ihn angegriffen, und erschöpft fiel er auf sein Lager zurück.

„O mein Gott!“ hauchte seine matte Stimme, und die Augen schlossen sich.

Tante Therese beugte sich mit ihrem schönen, bleichen Gesichte auf sein blasses Gesicht und legte leise ihre Lippen auf seine verwundete Stirn. Eine Thräne drang aus ihrem Auge. – Der Tod war schon einmal meiner Tante Therese recht hart an das Herz getreten, und daran mochte sie wohl in diesem Augenblick denken.

Sie war zehn Jahre alt und war frisch, blühend, lebhaft, fröhlich. Sie sprang durch den Wald und flog über die Haide und war das schönste und das anmuthigste Bild, das Wald und Haide jemals gesehen hatten. So fand die Abendsonne eines schönen Maitages sie in der Haide, am Saume des Waldes. Und in den Strahlen der untergehenden Sonne fand sie so eine glänzende, mit vier Pferden bespannte Equipage, in welcher ein vornehmer Herr und ein bildschöner Knabe von zwölf Jahren mit blonden Locken und wilden schwarzen Augen saß. Der Wagen flog vorüber mit dem vornehmen Herrn und dem schönen Knaben. Aber es waren kaum zehn Minuten vergangen, da stand der Knabe wieder vor ihr und sah sie mit den feurigen Augen so scheu und ehrerbietig an, als wenn sie ein höheres Wesen wäre.

„Saßest Du nicht eben in der schönen Kutsche, die hier vorbeifuhr?“ fragte das zehnjährige Kind des einsamen alten Schlosses den Knaben, als er sehnsuchtsvoll zu ihr zurückkehrte und in seiner Schüchternheit nicht den Muth hatte, ganz an sie heranzutreten.

„Ich saß in dem Wagen.“

„Und wo kommst Du denn schon wieder her?“

„Ich komme aus unserem Schlosse?“

„Aus Eurem Schlosse?“

Aber so wie die rasche Frage den frischen rothen Lippen entschlüpft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_689.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)