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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

 

Bei den meisten Arten finden nämlich zwei Generationen statt, durch besondere weibliche Individuen, von welchen die einen ohne Begattung lebendige Junge gebären, die anderen dagegen sich mit den kleineren Männchen begatten und Eier legen, welche zur Fortpflanzung der Art über die Winterzeit hinaus bestimmt sind. Die Männchen sind immer geflügelt, die Weibchen bald geflügelt, bald ungeflügelt, je nach den verschiedenen Arten, ohne daß man eine bestimmte Regel aufstellen könnte. Man hat mit vieler Ausdauer die verschiedenen Generationen beobachtet, welche während eines Sommers aus einer Blattlaus hervorgehen können, und sich dabei überzeugen müssen, daß, wenn nicht Feinde und Schädlichkeiten aller Art die Zahl dieser Blattläuse außerordentlich beschränken, die Nachkommenschaft eines einzigen lebendig gebärenden Blattlausweibchens während eines Sommers in die Millionen gehen könne. Denn bei der Apfelblattlaus, wo Schmidtberger die gediegensten Beobachtungen angestellt hat, dauert es gewöhnlich sieben bis zwölf Tage, bis ein neugebornes Weibchen selbst wieder Junge zu gebären beginnt, und zwar werden von einem jeden Weibchen wenigstens dreißig bis vierzig Junge etwa während acht Tagen zur Welt gebracht. Man kann sich aus dieser schnellen Vermehrung erklären, wie Gewächse, an denen nur eine einzige Blattlaus den Nachforschungen entgangen ist, in kurzer Zeit über und über mit Blattläusen besetzt sein können. Uebrigens hängen alle diese Generationen, welche sich ununterbrochen folgen, sehr von dem Wetter, der Sonne und der Nahrung ab, welche die Thier finden, und namentlich die geflügelten Weibchen scheinen dazu bestimmt, Kolonien auf anderen Pflanzen zu gründen, während die ungeflügelten die Vermehrung auf der Stammpflanze besorgen.

Aeußerst interessant ist das Verhalten der Blattläuse gegen die Ameisen, welches ich schon in einer früheren Vorlesung berührte. Die Blattläuse sind wirklich die Milchkühe der Ameisen, und es giebt sogar einige unter der Erde an Wurzeln lebende, gänzlich ungeflügelte Arten, welche von den Ameisen im Winter mit großer Sorgfalt gepflegt, durch Ueberbaue geschützt und gewissermaßen wie Stallvieh behandelt werden. Da die Colonien der Blattläuse sich häufig auf der Unterseite der Blätter oder selbst in Auswüchsen aufhalten, welche sie durch ihr Saugen erzeugen, und häufig schwer zu finden sind, so hält es leicht, sie zu entdecken, sobald man nur den Ameisen folgen will, die stets gebahnte Wege zu allen Blattlauscolonien haben. Und nun beobachte man eine solche Ameise, wie sie von Blattlaus zu Blattlaus geht, mit ihren Fühlhörnern sie streichelt, ihnen sanft aus den Rücken klopft, sie auf alle Weisen liebkost, bis endlich aus der Honigröhre auf dem Hinterleibe ein klares Tröpfchen hervordrängt, das süß schmeckt und von der Ameise mit Begierde geschlürft wird! Hat sie sich gesättigt, so läuft die Ameise zurück und läßt andere zu, welche dasselbe Spiel wiederholen.

Es ist keine Frage, daß bei bedeutender Anhäufung die Blattlausarten, deren Zahl Legion ist, großen Schaden verursachen können. Unter unseren Blumengewächsen sind es namentlich die Geranien und Rosen, unter unseren Nutzgewächsen die Apfelbäume und Johannisbeeren, welche in günstigen Jahren von den Blattläusen auf außerordentliche Weise mitgenommen werden, so daß alle Schossen verkrüppeln und man häufig genöthigt wird, die Pflanzen soweit als möglich zurückzuschneiden, um ihnen wieder einen ordentlichen Trieb zu gestatten. Zwar haben sie außerordentlich viele Feinde an den Sonnenkäferchen, den rothen Milben, den Larven der Flor- und Schwebfliegen, den meisten fleischfresenden Wanzen, ja selbst den kleinen Grasmücken und Zaunkönigen; allein nichts destoweniger sind die Anstrengungen aller dieser Feinde geringfügig im Verhältniß zu der ungeheueren Vermehrung, welche einzelne Arten darbieten. Zerdrücken, Abbürsten, Abspritzen können niemals vollständig zum Ziele führen; doch liegt es nahe, auf Hopfenpflanzen die Larven von Sonnenkäferchen zu suchen, die dort häufig vorkommen, und von diesen die Blattläuse auffressen zu lassen.

Das seßhafte Element, das in der Natur ebenso gut wie in der menschlichen Gesellschaft vorkommt und lieber auf dem Platze verdorrt, als daß es sich bewegte, wird unter den Halbflüglern von den Schildläusen (Coccus) repräsentirt. Die Untersuchungen über diese seltsamen Thiere sind bei Weitem noch nicht abgeschlossen, indem man namentlich über den Punkt noch nicht im Reinen ist, ob eine geflügelte Generation, welche äußerst klein ist und keinen Schnabel besitzt, wirklich, wie man bisher glaubte, dem männlichen Geschlechte angehört. Neuere Untersuchungen lassen vermuthen, daß diese kleinen geflügelten Dinger vielmehr ebenfalls Weibchen sind, welche die Bestimmung haben, die Colonien auf andere Pflanzen zu übertragen.

Genauer bekannt sind eigentlich nur die schildförmigen, seßhaften, ungeflügelten Weibchen, welche an vielen Pflanzen, namentlich Rosen, Pfirsichen, Pomeranzen, Reben, Eichen sich finden und in ihrer äußeren Form bald einer Linse, einem breiten Schiffchen oder einem Schilde gleichen. Der braunen Farbe wegen sehen diese Thierchen meist einer Warze oder einem Auswuchse ähnlich, und an den Rosen namentlich werden sie leicht mit einem nicht ausgebildeten Dorne verwechselt. Untersucht man das regungslos an das Gewächs geheftete Thier, so sieht man, daß es auf der unteren Kopfseite einen Stechschnabel besitzt, mit welchem es sich in die Rinde eingebohrt hat, sodaß man es häufig nur nach Zerbrechen dieses Schnabels loslösen kann; daß seine Beine meist verkümmert, die Geschlechtsteile dagegen außerordentlich entwickelt sind. Die so gestalteten Weibchen legen nun ihre Eier unter ihren eigenen Körper und decken dies Häufchen vollständig wie ein Schild selbst nach ihrem Tode, der nach beendigter Fortpflanzung eintritt. Sie trocknen ganz aus und bilden nun ein horniges Blättchen, unter welchem manchmal Tausende von Eiern geschützt liegen. Die Jungen, welche nach wenigen Tagen hervorkriechen, laufen anfänglich sehr hurtig umher, setzen sich aber nach mehrfacher Häutung fest, um dann ebenso wie die Alten der Fortpflanzung obzuliegen. Vor Allem haben die Pfirsichbaume, sowie die Orangen, Citronen und Oleander, die wir in unseren Kalthäusern ziehen, außerordentlich unter diesen Schildläusen zu leiden, die man nur schwierig mittelst energischen Abbürstens entfernen kann.




Blätter und Blüthen.

Reliquien von Felix Mendelssohn. Berlin besitzt zwei interessante Familien, beide jüdischen Ursprungs, in denen das Talent gleichsam erblich, der Ruhm als ein Fideicommiß erscheint. Es sind dies die wohlbekannten Häuser Beer und Mendelssohn, vom Himmel außerdem noch reichlich mit irdischen Schätzen gesegnet. Aus dem ersten Hause stammt der berühmte Componist der Hugenotten und des Propheten, Meyerbeer, in diesem Augenblick der unumschränkte Beherrscher der Oper, der Dichter Michael Beer, dessen Trauerspiel „Struensee“ ihn überlebt hat, und der ebenfalls bereits verstorbene Agronom Wilhelm Beer, der mit dem Staatsrath Mädler in Dorpat die beste Mondkarte herausgegeben hat. – Der Ahnherr des Mendelssohn’schen Hauses war der Philosoph Moses Mendelssohn, der Freund Lessing’s, der Reformator seines Volkes und einer der feinsten Denker des vergangenen Jahrhunderts. Unter seinen Nachkommen, die sich sämmtlich durch Gediegenheit und Bildung auszeichneten, nimmt Felix Mendelssohn-Bartholdy als einer der größten Componisten unserer Zeit eine besonders hervorragende Stellung ein. Seine musikalischen Werke sichern ihm den wohlverdienten Ruf, der ihm nicht nur in Deutschland, sondern in der gamzem gebildeten Welt zu Theil geworden ist. Auf der Höhe seines Ruhms, mitten in seinem Wirken und Schaffen wurde er durch einen allzufrühen Tod der Kunst und dem Vaterlande entrissen. Sein Andenken lebt in seinen herrlichen Compositionen, in seinen unsterblichen Liedern, die fort und fort erklingen und den Namen ihres Schöpfers preisen.

Aber nicht nur den Künstler, auch den Menschen lernen wir lieb gewinnen durch seinen vor Kurzem von seinen Angehörigen herausgegebenen Briefwechsel, der bei Hermann Mendelssohn in Leipzig erschienen ist. Diese Briefe legen ein lautes Zeugniß für den Charakter, die Seelenreinheit und die geistige Bedeutung des berühmten Componisten ab, sie gestatten uns einen tiefen Einblick in die Werkstätte seiner Kunst, in das Innere seines Lebens und Denkens. – Nach allen Seiten hin war Felix Mendelssohn eine echte Künstlernatur, ein vollendeter Mensch, harmonisch angelegt und ausgebildet, einer der hervorragendsten Geister seiner und aller Zeiten, wie aus diesen kostbaren Reliquien genügend hervorgeht. Ihm wurde das seltene Glück zu Theil, einer Familie anzugehören, die seinen Genius vollkommen erkannte und würdigte, ihm keine Hindernisse in den Weg legte, sondern seine freie Entwickelung nach Kräften förderte. In den Briefen des Vaters erkennen wir überall den gediegenen, lebensklugen Mann, der auch für die Kunst ein angeborenes, natürliches Urtheil besitzt und dies unbefangen dem Sohne gegenüber geltend macht, selbst als dieser bereits auf der Höhe seiner Kunst stand und als berühmter Componist gefeiert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_687.jpg&oldid=- (Version vom 4.3.2024)