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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

bald ungleichartig sind, indem die vorderen theilweise lederartig und undurchsichtig sind – eine unvollständige Metamorphose, ruheloses Wandern und Häuten, bei welchem allmählich die Flügel ausgebildet werden – das sind die allgemeinen Kennzeichen, welche den Schnabelkerfen (Rhynchota) als Ordnung zukommen. Im Einzelnen finden sich aber viele sehr große und wesentliche Verschiedenheiten, so daß die Thiere einander ziemlich unähnlich sehen.

Die Wanzen vor allen Dingen gleichen gewissermaßen den Käfern: ihre Flügeldecken sind häufig sehr hart und mit glänzenden und metallischen Farben geziert. Die meisten unter ihnen sind räuberische Bestien, welche mittelst ihres starken, spitzen Schnabels andere Insecten anstechen und aussaugen und dadurch selbst häufig eine gewisse Nützlichkeit erlangen. Unausstehlich ist der Geruch, der den meisten anklebt und der auch an Fingern und Kleidern so fest haftet, daß es schwer hält, ihn loszuwerden. Im Uebrigen scheinen die Wanzen hochorganisirte und intelligente Thiere zu sein, die, in gewisser Beziehung den Ameisen ähnlich, nur ungesellig und nicht in geordneten Gesellschaften lebend, alle Gelegenheiten zu benutzen wissen, um zu ihrem Ziele zu gelangen. Weiß man ja doch von der Bettwanze, diesem ekelhaftesten aller Schmarotzer, daß sie auf unzugängliche Betten von der Zimmerdecke sich herabfallen läßt, um dem Schlafenden das Blut auszusaugen, und daß sie mit großer Schlauheit sich zu verstecken weiß, sobald ihr irgend welche Gefahr droht. Nicht minder scheint bei den meisten Wanzen die Sorge für die Jungen eine äußerst zärtliche und ausdauernde zu sein. Die Mutter hütet die Eier und setzt sich darauf, als wolle sie sie ausbrüten, sie leitet die jungen Wänzchen, die anfänglich keine Flügel haben, ganz in der Weise wie eine Henne ihre Jungen, deckt sie mit ihrem Leibe gegen Gefahr oder trägt sie selbst auf dem Rücken davon. Unter sich scheinen die Wanzen weit verträglicher als viele andere Insecten. Anderen Arten aber werden sie durch ihren giftigen Stachel selbst dann verderblich, wenn sie auch im Allgemeinen auf pflanzliche Nahrung angewiesen sind.

Ich erwähne hier nicht weiter die Bettwanze (Acanthia lectularia) welche niemals, auch im vollkommenen Zustande nicht, Flügel erhält und von der trotz aller gegentheiligen Behauptungen die alten Griechen und Römer schon eben so geplagt wurden, als die modernen Nationen. Am schauderhaftesten sollen sie in Nordamerika hausen, und in New-York namentlich soll man sich auch mit der größten Reinlichkeit ihrer niemals vollständig erwehren können. Man hat allen Ernstes den Vorschlag gemacht, die häßliche Kothwanze (Reduvius personatus), welche im Kehricht und Staub sich aufhält und mit ihrem starken gekrümmten Stachel andere Insecten nächtlicher Weile überfällt und aussaugt, als Kammerjäger gegen die Wanzen anzustellen. Ich glaube indeß, das Vertilgungsmittel wäre übler, als das Uebel selbst; denn die Kothwanze stinkt noch ärger als die Bettwanze, und sticht noch weit empfindlicher und schmerzhafter als diese. In unserem Nachbarlande Savoyen, dessen zum Theil unzugängliche Binnenthäler sich gerade nicht der größten Reinlichkeit erfreuen, scheint man hie und da der Ansicht zu sein, als wenn Wanzen und Flöhe im Kriegszustande mit einander lebten. Wenigstens antwortete eine Wirthin einem meiner Freunde auf die Frage, ob nicht viel Flöhe in dem Bette seien, wo er die Nacht zubringen sollte. „Flöhe? Wo denken Sie hin, lieber Herr! Die Wanzen haben sie alle gefressen!“

Die Wanzen, welche in Garten und Feldern von Pflanzen sich nähren und unter welchen namentlich die Kohlwanze (Cimex oleraceus) sich auszeichnet, durchbohren die grünen Pflanzentheile und namentlich die Blätter mittelst ihres Rüssels so, daß dieselben wie ein Sieb aussehen und absterben. Häufig stechen sie auch die Früchte an, die sie außerdem noch durch den Geruch, den sie ihnen mittheilen, ungenießbar machen. Außer der erwähnten Kohlwanze habe ich in Nizza und Genf äußerst häufig auf Artischocken eine sehr schädliche Wanzenart gefunden, deren Larven vollkommen schwarz sind und in ungeheuerer Menge die jungen Setzlinge überfallen, so daß dieselben häufig absterben. Leider habe ich versäumt, die Art, welche ich nirgends erwähnt finde, näher zu bestimmen und ihre Lebensart genauer zu studiren. Am unangenehmsten werden alle diese Gartenwanzen im Herbste, wo sie auf alle Weise in die Häuser sich einzuschleichen suchen, um in einem Verstecke zu überwintern und mit ihrem Geruche die Möbel zu verpesten.

Auch die Cicaden dürfen wir unter den schädlichen Halbflüglern nicht vergessen. Unbegreiflich ist es, wie die Alten diesen unleidlichen Sängern mit ihrem großen Kopfe, großen breiten Augen und meist durchsichtigen Flügeln, welche die Gewächse auf erbarmungswürdige Weise aussaugen, den Preis des Gesanges zuerkennen konnten. Ich muß gestehen, daß mir diese eine Thatsache einen höchst unvortheilhaften Begriff von der musikalischen Bildung der Griechen und Römer beigebracht hat; denn es giebt für ein einigermaßen musikalisch empfindliches Ohr keine ärgere Qual als das entsetzliche Gezirpe und Gezwicker der Tausende von Cicaden, welche in Italien auf allen Sträuchern und Bäumen vom Sonnenaufgang bis spät in die Nacht die Ankunft des Frühlings feiern. Anakreon hat zwar eine äußerst liebliche Ode über sie, deren Uebersetzung ich mich nicht enthalten kann hier mitzuteilen:

„Glücklich nenn’ ich dich, Cicade,
Daß du auf den höchsten Bäumen,
Von ein wenig Thau begeistert,
Aehnlich einem König singest;
Dein gehöret all’ und jedes,
Was du in den Feldern schauest,
Was die Jahreszeiten bringen;
Dir sind freund die Landbebauer,
Weil du keinem lebst zu Leide;
Und die Sterblichen verehren
Dich, des Sommers holden Boten;
Und es lieben dich die Musen,
Und es liebt dich Phöbus selber;
Er gab dir die klare Stimme,
Und dich reibet nicht das Alter,
Seher, erdgeborner Sänger,
Leidenlos, ohn’ Blut im Fleische –
Schier bist du den Göttern ähnlich!“

Virgil weiß es aber besser: nach ihm wiederhallen die Sträucher bei brennender Sonne von schrillenden Cicaden, und offenbar scheint ihm nach dem Beiworte, das er braucht, der Ton nicht allzu musikalisch.

Bei uns sind glücklicherweise diese großen lärmenden Cicaden selten, und nur hier und da findet man auf Ulmen eine größere Art, deren mit sonderbaren Vorderfüßen ausgestattete Larven mir schon öfter gebracht wurden, da man sie für ein gänzlich fremdes Thier hielt. Unter den kleineren Springcicaden ist namentlich eine kaum linienlange, blaßschwefelgelbe Art zu ermähnen, welche auf Rosen außerordentlich häufig ist und die Blätter derselben siebartig durchbohrt (Cicada rosae), sowie die Schaumcicade (Cercopis spumaria), deren Larve besonders gerne an Grashalmen und Wiesenkräutern, sowie an Weiden saugt und sich gänzlich in ihren schaumigen Unrath hüllt, der einem Tropfen Speichel sehr ähnlich sieht. Das Volk nennt dieses den Kuckucksspeichel, und wenn auch gewöhnlich diese Schaumcicaden den Gewächsen keinen allzugroßen Schaden zufügen, so habe ich doch schon Trauerweiden unter ihrer großen Menge kränkeln und zuletzt absterben sehen. Unangenehm werden die Thiere aber noch dadurch, daß der schaumige Zuckersaft, den sie aus dem Baume hervorziehen, um so lebhafter abtropft, je wärmer es ist, sodaß es unmöglich ist, des Schattens der Bäume zu genießen, auf denen sie sich in großer Menge aufhalten.

Den Cicaden nahe stehen die Blattflöhe oder Sauger (Psylla), welche ebenfalls Springbeine besitzen, den Rüssel zwischen den Vorderbeinen tragen, wie wenn er aus der Brust entspränge, und deren Weibchen mit einer großen und dicken Legeröhre versehen sind, mittelst deren sie ihre Eier in den Haarfilz der Knospen und zwischen die Blätter derselben einschieben. Auf dem Apfel- und Birnbaume namentlich giebt es zwei verschiedene Arten (Psylla pirisuga und mali), die im Frühjahre erscheinen und deren Larven und Nymphen Blüthen und Laubknospen dergestalt verbohren und aussaugen, daß die Schossen sich krümmen, verwachsen, trauern und absterben, und die demnach wirklich äußerst schädliche Thiere sind.

Noch schädlicher aber sind die Blattläuse (Aphis), die wohl jeder meiner Leser kennt und deren äußerst zahlreiche Arten sich auf einer Unzahl von Gewächsen finden, welche meistens unter diesen Schmarotzern in bedeutender Weise leiden. Es sind langbeinige, dickleibige, plumpe Thiere mit glasähnlichen Flügeln, langen, fadenförmigen Fühlern und gewöhnlich zwei eigenthümlichen Röhren auf dem Rücken des Hinterleibes, durch welche sie kleine Tröpfchen von Honigsaft von sich geben können. Sie sitzen meist auf der Unterseite der Blätter oder an den grünen Schossen der Gewächse in dichten Haufen zusammen, wechseln, nachdem sie sich einmal mit ihrem geraden, langen Rüssel eingestochen und angesaugt haben, kaum mehr während ihres Lebens den Platz und zeigen höchst eigenthümliche Verhältnisse hinsichtlich ihrer Fortpflanzung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_686.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)