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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Der Schmollwinkel eines verbannten Königs.
Von Ludwig Storch.

Die Dichter künftiger Zeiten werden in der poetischen Darstellung der unsrigen zumeist das gänzliche Mißverstehen des nach seiner vollständigen Reife und der dieser entsprechenden freien Bewegung empordrängenden Volksgeistes als tragischen Hebel für den Sturz der Könige und der Dynastien gebrauchen; in jedem Falle ein poetischer Vorwurf und um so bedeutender, wenn die Träger der sich feindlich gegenüberstehenden Ideen, und namentlich der unterliegende, als Individuen unsere Achtung, zuweilen sogar unsere Verehrung in Anspruch nehmen dürfen.

Diese Betrachtung kam mir im verwichnen Frühling im einsamen Wohnsitz eines von der Welt vergessenen Fürsten, der, einem alten, durch Verkehrtheiten und Schicksale der seltsamsten Art ausgezeichneten Regentenstamme entsprungen, die unbeneidenswerthe Mission hatte, den intriguanten und despotischen Geist dieser Dynastie in seiner Person zur verderblichsten Gipfelblüthe zu bringen, eines der schönsten und reichsten Länder Europa’s, ganz im Sinne seiner fluchbeladenen Ahnen, zum Schauplatze eines abscheulichen Bürger-, beziehentlich Bruderkriegs zu machen und desslen staatliche und sociale Entwickelung auf geraume Zeit zurückzuwerfen.

Ich hatte mehr als ein Motiv, von Wertheim den lieblichen Taubergrund aufwärts zu wandern. Die hauptsächlichste Veranlassung war der ewig junge Reiz der Natur, der milde, warme, süße Charakter des südlichen Deutschlands, der in diesen Gegenden des untern Mains und des Odenwaldes so klar zu Tage tritt; eine zweite: die alten berühmten Stätten unserer Vorfahren zu besuchen, die sich unter dieser milden Sonne wohnlicher und gastlicher erhalten haben, als sonst wo. Und darunter nimmt die ehemalige Cistercienserabtei Brombach nicht die niedrigste Stelle ein. Ein dritter, obwohl untergeordneter Grund war, zu sehen, wie das alte Klostergebäude sich als Residenz des ehemaligen Königs, beziehentlich Usurpators der Krone von Portugal, jetzigen Herzogs von Braganza, Dom Miguel, ausnehme.

Man ist in Franken daran gewöhnt, die zahlreichen, meist leidlich erhaltenen, ehemals prächtigen Gebäude der säcularisirten Klöster zu den verschiedensten Zwecken verwendet zu sehen. In den Städten sind sie meist Casernen geworden, auf dem Lande Fabriken; die reichste und prächtigste Abtei Frankens, wahrscheinlich ganz Deutschlands, das Cistercienserkoster Ebrach im Steigerwalde ist – Gott sei’s geklagt! – ein Zucht- und Zwangsarbeitshaus, und die stolze Benedictinerabtei Banz ein eben so stolzes Fürstenschloß. Brombach hat als Wittwe keine Schwester; sie allein ist Residenz eines im Exil lebenden Königs.

Ich war doch neugierig, wie sie zusammenpassen möchten, die alte Abtei und der Sproß des alten Königsgeschlechts, und wie der Ruhm des Hauses, so war auch der ihres fürstlichen Insassen mir nicht unbekannt geblieben. Der Ruhm Dom Miguels? wird der Leser erstaunt fragen. Gewiß! Auch ich war erstaunt, als ich von diesem Ruhm zuerst vernahm, nachdem ich in meiner Jugend diesem Fürsten wegen seiner Aufführung mehr und länger gegrollt, als irgend einem Andern.

Es ist ein natürlicher Zug des Menschen, unter den Mitlenbenden an den Altersgenossen, zumal in der Jugend, den meisten Antheil zu nehmen. Als ich zuerst anfing das Auge von Homer und Virgil auf die Weltbegebenheiten zu werfen, die mit mir zugleich auf der Lebensbühne in Scene gingen, waren nach dem Wartburgfeuer 1817, dessen Funken in meiner Seele die Flammen der Begeisterung für Recht, Tugend, Wahrheit und Schönheit und für Deutschlands Größe und Herrlichkeit entzündet hatten, Sand’s blutige That, die Karlsbader Beschlüsse, deren nächste Folgen uns armen Gymnasiasten übel aufspielten, und die Revolution in Portugal mit Dom Miguel’s politischem Debüt die Dinge, die mich zumeist bewegten. Der portugiesische Prinz war nur einige Monate älter als ich, was Wunder, wenn ich seine schmutzige Laufbahn mit bitterem Groll und zuletzt mit verbissenem Haß verfolgte. Derweil ich und meine Altersgenossen auf dem Gymnasium uns mit den griechischen und lateinischen Autoren abmühten, um etwas Erkleckliches zu lernen, und von unseren Lehrern wahrlich nicht als Herren behandelt wurden, kam dieser Knabe von Brasilien nach Lissabon, um eine gerechte Volkserhebung in Blut zu ertränken, nach der Krone seines Vaters zu greifen, die kaum errungene liberale Verfassung umzustürzen, Pfaffen und Junkern wieder den alten verderblichen Einfluß zu geben, und die Fackel der Zwietracht gleichsam in jedes Haus des unglücklichen Landes zu werfen. Nach drei Jahren hatte er dermaßen Alles untereinander geworfen, daß der vertraute Rathgeber seines Vaters, des Königs Johann IV., der Marquis Loulé ermordet, die Minister verhaftet und der König im Palaste streng bewacht wurde. Freilich geschah dies Alles und noch weit mehr Schlimmes auf Antrieb seiner intriguanten, herrschsüchtigen Mutter, einer spanischen Infantin, die den unliebenswürdigen Prinzen, nichtsdestoweniger ihren Liebling, in Brasilien wie einen wilden Rangen hatte aufwachsen lassen und nun zur Ausführung ihrer volksfeindlichen Pläne zu benutzen suchte. Aber das saubere Weiber-, Pfaffen- und Junkerstückchen mißlang, und Prinz Miguel mußte mit seiner Mutter nach Wien auswandern, wo er wie ein Held aufgenommen, wohl gepflegt und so zur Fortsetzung seiner ungezügelten Lebensweise aufgefordert wurde. So trieb er’s denn zwei Jahre lang, bis zum Tode seines Vaters 1826, um nun das Hauptstück in Scene zu setzen, dessen Vorspiel er geliefert und in welchem er eine so wenig dankbare Rolle spielte. Dom Pedro, Kaiser von Brasilien, war auch der gesetzliche Erbe der portugiesischen Königskrone, entsagte aber derselben zu Gunsten seiner siebenjährigen Tochter Donna Maria da Gloria, nachdem er dem Lande eine Verfassung gegeben hatte. Die volks- und freiheitfeindliche Partei der Königin Wittwe erklärte dagegen Dom Miguel zum rechtmäßigen Thronerben. Aber Dom Pedro hatte diese Pläne dadurch vereitelt, daß er den Bruder zum künftigen Gemahl der jungen Königin und bis zu deren Volljährigkeit zum Landesregenten erklärt hatte. Auf diese Weise wurde die Partei der Königin Wittwe in Schach gehalten. Dom Miguel nahm die Anerbietungen Dom Pedro’s an, verlobte sich mit dessen Tochter, beschwor dessen Constitution und wurde von diesem zum Regenten ernannt. Im Februar 1828 in Lissabon angekommen, übernahm er die Regentschaft, löste die Versammlung der verfassungsmäßigen Landesvertreter auf und berief die alten feudalen Cortes, von welchen er sich zum legitimen (absoluten) König von Portugal erklären ließ. Somit war die Constitution, der Pfahl im Fleische der Junker- und Pfaffenpartei, beseitigt, und der Absolutismus fuhr übermüthig mit vollen Segeln einher. Die Königin Wittwe und ihre Partei hatten ihr Ziel erreicht, ihr Liebling war absoluter König, die unumschränkte Gewalt war hergestellt, Junker und Priester reichten sich vergnügt die Hand zur Unterdrückung und Verhöhnung der Volksrechte. Und das Glück begünstigte das nichtswürdige, treulose Unternehmen. Was half es, daß Dom Pedro seinen eidbrüchigen Bruder aller ihm zugestandenen Rechte für verlustig erklärte und dessen Verlobung mit seiner Tochter aufhob; er war im fernen Brasilien, und sein hülfloses Kind segelte eben von dort her der portugiesischen Küste zu, von welcher, durch den Machtbefehl des Usurpators zurückgewiesen, es nach England ging, wo ein kalter Empfang seiner wartete, da das Ministerium des Königs Georg IV. auf Dom Miguel’s Seite stand.

Die zehnjährige Königin sah sich deshalb veranlaßt, im folgenden Jahre 1829 nach Brasilien zurückzukehren. In Portugal entbrannte zwar der Kampf der Parteien, aber er war von kurzer Dauer. Dom Miguel’s Waffen siegten, die Partei der Donna Maria da Gloria floh, vollständig geschlagen, aus dem Lande, theils nach England, theils nach Brasilien, und die aristokratisch-klerikale Partei hatte nun ganz freie Bahn. Und Dom Miguel benutzte sie nach Herzenslust. Das scheußlichste Schreckenssystem, vom frechsten Uebermuthe und hohnlachender Tyrannenlaune gehandhabt, wurde jeder liberalen Regung im Lande verderblich. Der sechsundzwanzigjährige König überließ sich allen tollen Eingebungen seiner zügellosen Begierden. Alle nidrigen Eigenschaften der Dynastie Braganza, die das Verdienst beanspruchen darf, das unter dem großen Könige Emanuel einst so blühende Portugal moralisch und materiell an den Bettelstab gebracht zu haben, kamen in ihm noch einmal und zwar zur höchsten Blüthe. So wahnsinnig hatte keiner seiner Vorfahren gewirthschaftet. Er zeigte für nichts Sinn als für Jagden, Jäger, Hunde, Pferde, Stiergefechte und Weiber und beging mit den adligen und geistlichen Dienern

seiner Lüste unerhörte Ausschweifungen. Alle Zeitungen waren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_682.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)